Kapitel 18: Zwischen den Bergen

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Sie waren bereits einige Stunden unterwegs, immer vorsichtig und immer wachsam. Doch es war die ganze Zeit über noch nichts passiert, außer dass das ungute Gefühl in ihrer Magengegend immer weiter zunahm, je tiefer sie in die Berge vordrangen. Auch war von anderen Wegen, von denen Kyvn gesprochen hatte, bislang weit und breit noch nichts zu sehen gewesen. Sie waren einem einzigen, langen Pfad zwischen den Bergen hindurch gefolgt und der einzige, der halbwegs ruhig zu bleiben schien, war Kyvn selbst. Hiros Blicke huschten immer unruhiger zwischen den Felswänden und Gipfeln hin und her und Hokusai behielt angespannt den Himmel im Auge. Die Tiere waren in furchtsames Schweigen vertieft und hatten ihre Blicke auf ihre Füße gerichtet. Celeste atmete tief durch und versuchte, sich an Kyvn ein Beispiel zu nehmen. Sie flüsterte Hokusai beruhigend etwas zu und legte vorsichtig ihre Hand auf die Schulter von Hiro. Beides schien nicht wirklich zu funktionieren, doch sie hatte das Gefühl, irgendwas tun zu müssen. Das hier waren schließlich ihre Freunde und sie wollte nicht, dass es ihnen schlecht ging.
Ein paar Meter weiter öffnete sich auf dem Pfad ein kleiner Tunnel in eine Höhle hinein und Celeste stupste ihren Leiter an. "Kyvn? Sollen wir hier nicht für die Nacht rasten?" Der Dämonenjäger sah missbilligend auf die Höhle, doch als er seine Gefährten ansah, schien er seine Meinung zu ändern. "Na schön", raunte er und wunk die Gruppe in die Höhle hinein.
"Wir werden hier für die Nacht rasten. Ich übernehme die erste Wache, also holt euch alle erstmal eine Mütze Schlaf. Celeste? Ich wecke dich dann später für die zweite Wache." Celeste nickte und unterdrückte ein Gähnen. Vermutlich war das eine gute Idee.
Ihr Nachtlager war schnell bereitet und sie kuschelte sich an Tails heran, da Kyvn verboten hatte, ein wärmendes Feuer zu entzünden. Der Fuchs brummte wohlwollend und drückte seine Schnauze gegen ihr Gesicht, bevor er nach ein paar Minuten in einen unruhigen Schlaf verfiel.

Celestes Schlaf hielt nicht lange an. Sie spürte, wie Kyvn sie sanft wachrüttelte und streckte sich vorsichtig, um ihren Fuchs nicht zu wecken. "Ist während deiner Wache irgendwas passiert?" Kyvn schüttelte den Kopf. "Nicht wirklich. Aber ich habe das Gefühl, dass wir beobachtet werden - und verfolgt. Wenn sich etwas ungewöhnliches tut, dann ruf mich. Sofort!" Er sah sie eindringlich an und sie nickte. "Nagut, das mache ich."
Sie erhob sich und während Kyvn sein Schwert neben seine Schlafstelle legte, setze sie sich auf einen etwas größeren Stein am Höhlenausgang. Nachtwache hatte sie das letzte Mal gehalten, als sie zu viert im Wald übernachtet hatten. Damals hatte die Spinne auf sie aufgepasst und es war nichts geschehen, doch Celeste bezweifelte, dass ein Wesen des Gebirges sie heute Nacht ebenfalls schützen würde.
Sie musste genau auf ihre Umgebung achten. Während die Nacht voranschritt und es allmählich immer dunkler wurde, empfand sie es als zunehmend schwieriger, auf die Umgebung zu achten. Selbst für ihre Dämmersicht, mit der sie bei wenig Licht weiter sehen konnte als die meisten anderen Lebewesen, war es bereits arg dunkel geworden. Das rhythmische Atmen ihrer Begleiter schien ebenfalls immer leiser zu werden, fast als würde sie davongleiten...
Celeste schüttelte ihren Kopf. Sie konnte doch jetzt unmöglich an Schlaf denken! Sie musste die Bergwände und den Himmel im Auge behalten und das war schon ohne ihre Müdigkeit schwer genug. Es war so dunkel geworden, dass sie ihre eigene Hand vor Augen fast nicht mehr erkennen konnte. Selbst der Himmel war tiefschwarz. Es mussten wohl Wolken vor den Sternen hängen. Aber natürlich, hier auf dieser Welt waren ja scheinbar immer diese orangenen Wolken, die zu jeder Tages- und Nachtzeit ihren unheilvollen Schimmer auf alles warfen...
Ihr wurde eiskalt, als es ihr auffiel. Sie konnte die Wolken nicht mehr sehen. Sie konnte die Wolken nicht mehr sehen! Celeste sprang auf und wollte zu Kyvn rennen, doch ihre Muskeln gehorchten ihr nicht mehr. Es war zu spät. Vor ihr zogen sich die Schatten zusammen und begannen zu lodern. Dann trat aus den Schatten ein vierarmiger Dämon.
Seine Augen brannten in orangenem Feuer, seine Statur war die eines Hühnen und auf seinem Rücken trohnten zwei gewaltige, Rabenschwarze Flügel. An seinem Körper verliefen kleine, feine Linien hellen Blaus, quer über seine Muskulatur. Ein verzerrtes, boshaftes Grinsen legte sich über die dunkle Fratze, als er seine vier Hände ausstreckte und zu Fäusten ballte.
"KYVN!", brüllte Celeste aus vollem Hals und Panick stieg in ihr hoch. Der Dämon zwang sie dazu, an Ort und Stelle zu bleiben, doch sprechen konnte sie noch. "KYVN!" Sie hörte hinter sich aus ihrem Lager das Ächzen ihrer Gefährten und ihr gelang es, den Kopf ein wenig zu drehen. Während Kyvn, Hokusai und die Tiere liegen geblieben waren und entweder wimmerten oder verbissen versuchten, gegen die dunkle Macht anzukämpfen, stand Hiro zitternd auf seiner Schlafstelle und grunzte angestrengt bei dem Versuch, seinen Bogen zu heben.
"Interessant", kratzte die Stimme des Dämons durch die Luft. "Sich meiner Macht zu widersetzen gelingt nicht vielen, Mensch." Hiro knirschte mit zusammengebissenen Zähnen und hob seinen Bogen noch einen Zentimeter höher. Die obere Spitze hatte nun fast die Höhe seines Bauches erreicht.
"KYVN!", rief Celeste nochmal verzeiweifelt, was den Dämon mit seiner Zunge schnalzen ließ. "Also bitte, kein Grund hier herumzuschreien. Ich bin nicht hier, um euch weh zu tun." Er machte eine Pause, in der sein grausames Lächeln zurückkam. "Es sei denn, ihr lasst mir keine andere Wahl." Das Lächeln schwand wieder ein wenig und er fuhr fort. "Mein Meister wünscht euch zu sprechen und zwar umgehend. Also, kommt ihr freiwillig mit?" Wieder dieses Lächeln. "Oder soll ich euch zwingen?"
Zu Celestes Überraschung erklang Kyvns Stimme, klar und deutlich. "Natürlich. Dann bring uns zu deinem Meister, damit wir mit ihm persönlich reden können!" Das Lächeln auf dem Gesicht des Dämons verschwand. "Gerne", sagte er und es klang beinahe enttäuscht. Dann begann die Luft um sie herum zu pulsieren und die Schatten begannen, sich zu bewegen. "Ist das eine Teleportation?", fragte Kyvn etwas überrascht und der Dämon zischte. "Ja. Und jetzt schweigt, ich muss mich dafür konzentrieren. Ihr seid mehr als erwartet."
Celestes Panick wuchs ins Unermessliche, wobei Kyvns ruhige Art zu sprechen nicht hilfreich war. Sie hatte das Gefühl, jeden Augenblick zu platzen, als der Dämonenjäger unvermittelt aufsprang, sein Schwert in beiden Händen haltend. Die Luft hörte auf zu Flimmern, als der Vierarmige den Kopf schräg legte. "Deine Macht kann mich nicht binden. Jetzt wirst du dein Ende erleben, und es trägt den Namen Kyvn!" Er stürzte einige Schritte nach vorne, bevor er stolpernd langsamer wurde und sich zu sammeln schien.
Dunkel fokussierte er den Dämonen, der ihn herablassend betrachtete. "Meine Macht scheint dich tatsächlich nicht binden zu können - aber sie kann dich aufhalten. Und zwar für den Rest deines kläglichen Lebens, wenn ich will!" In einer seiner Hände erschien brennend ein Dolch, mit dem er auf Kyvn zeigte, der dem Dolch gefährlich ruhig entgegenstarrte. "Und, was machen wir mit einem sturen, kleinen Dämonenjäger wie dir?", fragte er und spie das Wort 'Dämonenjäger' geradezu aus.
"Nichts!", donnerte eine unbekannte Stimme aus dem Himmel und Celeste war schon fast bereit, auf die Rückkehr der verlorenen Götter dieser Welt zu hoffen, als ein mächtiger Blitz aus den nicht sichtbaren Wolken zwischen ihnen und dem Dämonen einschlug. Zurück blieben drei Kreaturen, die sie erst eine Weile anschauen musste, bis sie die Gattung erkannte. Vor ihnen waren drei Wyvaner aufgetaucht.
Celeste hätte weinen können. Das Volk der Wyvaner hatte scheinbar nicht nur überlebt, sie würden sie auch vor diesem Ding retten! "Verschwinde, Forogu!", donnerte die Stimme wieder. Sie gehörte zu dem Wyvaner, der in der Mitte stand und seinen Speer in Angriffsposition auf den Dämon gerichtet hielt. Die anderen beiden hielten ihre Waffen neutral neben sich und sahen im Gegensatz zu ihrem scheinbaren Hauptmann nicht so mutig aus. Einer von ihnen schien sein Zittern nicht ganz kontrollieren zu können.
"Du wagst es, dich mir in den Weg zu stellen?", fragte der Dämon düster und baute sich vor den drei wesentlich kleineren Drachenähnlichen auf. "Der Fürst will sie sehen, also geh mir aus dem Weg!" "Und der Fürst wird sie sehen", entgegnete der Wyvaner mit zusammengebissenen Zähnen. "Allerdings zu ihren Bedingungen, nicht zu seinen! Sie sind Gäste meines Volkes, dementsprechend stehen sie unter unserem Schutz." Der Dämon ignorierte den Speer des Sprechers und brachte sein Gesicht gefährlich nahe an das seines Gegenübers. "Und wie wollt ihr sie beschützen? Ich kann euch aus dem Weg räumen, hier und jetzt." Während nun auch der zweite Wyvaner zu Zittern begonnen hatte, verharrte ihr Hauptmann für einen Moment und stellte dann seinen Speer senkrecht neben sich, ohne den Blickkontakt mit dem Dämon abzubrechen. "Indem wir zwischen dir und unseren Gästen stehen. Du hast recht, vermutlich könntest du uns aus dem Weg räumen - aber möchtest du derjenige sein, der das oberste Gebot des Friedens in diesem Gebirge bricht? Wenn du sie mitnimmst und uns angreifst, wird das nicht ungesühnt bleiben. Und das weißt du." Der Dämon starrte den Wyvaner vernichtend an. Für einige Sekunden hatte Celeste das Gefühl, sie würde keine Luft mehr bekommen, bis sich die dichten Schatten um sie herum langsam zurückzogen und um den Dämon herumwirbelten.
Als nur noch seine orangenen Augen als glühende Punkte in dem Strudel der Dunkelheit auszumachen waren, gurgelte es böse aus den Schatten heraus. "Das wirst du noch bereuen...". Dann verschwand er, zusammen mit der unnatürlichen Dunkelheit und dem Gefühl einer schrecklichen Vorahnung.
Erst einige Zeit später erlaubten sich die Wyvaner, erleichtert aufzuatmen. "Das war knapp", raunte einer von ihnen dem Hauptmann zu, der bestätigend nickte. "Aber wir haben keine Zeit zu verlieren!", wandte dieser sich eilig an Celeste und ihre Freunde. "Schnell, wir müssen euch hier weg bringen. Es wird nicht lange dauern, bis der Fürst hiervon erfährt - und er dürfte nicht erfreut darüber sein." "Habt Dank für unsere Rettung", begann Celeste, doch der Wyvaner wunk bereits ab. "Rokif hat uns gesagt, dass ihr kommen würdet. Er bat uns, euch zu unterstützen, also dankt lieber ihm als uns. Und jetzt kommt, wir teleportieren euch in Sicherheit."
"Moment!", warf Kyvn scharf dazwischen und wunk Celeste, Hrio und Hokusai zu sich. Sie steckten die Köpfe zusammen und Kyvn räusperte sich kurz. "Was, wenn das nur eine Falle ist?" Celeste sah ihn irritert an. "Ich meine ja nur", begann er zu erklären, "Dämonen spielen gerne mit ihrer Beute. Wer sagt uns, dass diese Leute eines tot-geglaubten Volkes tatsächlich die sind, für die sie sich ausgeben? Sie könnten verwandelte Dämonen sein, oder für diesen ominösen Fürsten arbeiten!" Hiro runzelte die Stirn und sah ihre Retter an, die unruhig den Himmel beobachteten. "Ich denke, wir können ihnen trauen", sagte er und Hokusai nickte. "Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sie einem weitaus mächtigeren Wesen die Stirn bieten, nur um uns doch zu ihrem Fürsten zu bringen." Celeste sah Kyvn an und dachte nach. Ihr Freund war stets etwas über-paranoid, aber vielleicht hatte er dieses Mal ja eine begründete Sorge.
"Es könnte ja sein, dass sie unser volles Einverständnis benötigen, um uns zu ihrem Meister zu teleportieren", warf dieser gerade ein. "Dazu würde so eine kleine Aufführung ja passen. Ich habe in meinem Leben schon so einige dämonische Eigenarten gesehen." Celeste blickte zwischen den Wyvanern und Kyvn hin und her und biss sich schließlich auf die Lippe. "Kyvn." Der Dämonenjäger richtete seinen dunklen, besorgten Blick auf sie und sie schluckte. "Hör mal, ich finde das auch etwas seltsam, aber ich denke diese Wyvaner sind unsere beste Chance. Und selbst wenn sie uns zu ihrem Fürsten bringen, dann sind wir doch in bester Lage, um ihn fertig zu machen." Kyvn dachte über ihre Worte nach und schließlich nickte er. "Nagut. Dann haltet euch mal bereit, falls wir hintergangen werden."
Mit gezogenen Waffen drehte sich ihre Gruppe den Wyvanern zu und erklärte ihr Einverständnis. "Ach, und denkt bitte auch an unsere Tiere!", warf Hiro noch schnell ein und salutierte in die Richtung der Dodos, die allerdings noch zu geschockt waren, um zu reagieren. Die Wyvaner nickten und bildeten ein Dreieck um sie herum. Dann begann die Luft um sie herum zu flimmern und eine Sekunde später standen sie zwischen zwei neuen Felswänden, von denen sie allerdings einen guten Blick hatten auf etwas, was Celeste nicht erwartet hatte.
Eine gewaltige Festung erhob sich vor ihnen, gebaut auf dem größten Berg, den sie je gesehen hatte. Ihre Wände waren weiß wie Marmor und Celestes Haare stellten sich auf, als sie das Knistern einer großen Macht spürte. Einer Macht, die von besagter Festung auszugehen schien.
Die Festung selbst bestand aus sechs miteinander verbundenen, schier riesigen Türmen, wovon fünf die Außenmauer bildeten und den sechsten Turm im Inneren umkreisten. "Was ist das?", fragte Hokusai ehrfürchtig und steckte das Katana weg, angesichts der Tatsache, dass sie außer ein paar am Himmel kreisenden Wyvanern niemanden ausmachen konnten.
"Das, mein geschuppter Freund, ist Drohnor. Die letzte Feste unseres Volkes." Der Wyvaner neben ihnen lächelte sanft, dann kramte er vier seltsame Ketten hervor. "Hier, legt diese Anhänger um. Sie besitzen einen kleinen Knochensplitter aus der Festung, der euch den Zugang zur Burg erlaubt." Er reichte ihnen die Anhänger und sie hingen sie sich um den Hals, oder, wie in Hiros Fall, banden ihn sich um den Fußknöchel. "Normalerweise würde die Barriere euch abweisen, sie dient dazu, Wesen mit göttlicher oder dämonischer Macht fernzuhalten, aber da ihr unsere Gäste seid, dürft ihr die Barriere natürlich passieren", erläuterte der Hauptmann ihnen, während sie sich wieder in Bewegung setzten. "Und nehmt die Anhänger niemals ab, während ihr euch innerhalb der Barriere befindet! Sie würde sich gegen euch wehren und ihr würdet großen Schaden davontragen, wenn ihr überhaupt so lange überlebt!" Celeste nickte ernst und sogar Hiro schien dieses Mal zugehört zu haben. Er wirkte anders als sonst, schon beinahe... normal. Seinen Augen fehlte die sonst für ihn übliche Menge an Verwirrtheit.
Sie stupste ihn vorsichtig an. "Alles in Ordnung?" Hiro sah sie an, klar wie noch nie und nickte stumm. Celeste war immer noch etwas besorgt, doch für weitere Fragen blieb vorerst keine Zeit. Ein dumpfes Grollen, das schnell zu einem mächtigen Donnern anschwoll, hallte von den Bergen irgendwo nördlich von ihnen bis zu ihrer Position wider. "Ich denke, der Fürst hat soeben erfahren, was geschehen ist", kommentierte der Hauptmann der Wyvaner trocken und bedeutete ihrer Gruppe, sich in Bewegung zu setzen.

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