"Ich hoffe, ihr hattet eine angenehme Nacht", sagte die Dame hinter dem Tresen und nahm die geleerten Krüge vom Tresen. "Meine Träume waren... interessant", antwortete Hiro und rieb sich gähnend die Augen. "Aber", schloss er direkt an, "Träume sind nur Reisen zu uns selbst. Gerade die Reisen in unsere Träume sind voll Mysterien und Geheimnissen - und sie zu entschlüsseln, das ist die wahre Reise!" Kyvn verdrehte die Augen. "Wenigstens ist er wieder er selbst - und nicht mehr dauergeil", raunte er Celeste zu, die erleichtert aufatmete. "Immerhin", flüsterte sie zurück. Ein leichtes Lächeln umspielte die Lippen des Dämonenjägers, dann wurde er wieder ernst. "Vielen Dank für Speis und Trank", sagte er zu der Dame und erhob sich. "Wie viel kostet das?" Doch die Frau schüttelte nur den Kopf. "Dafür müsst ihr nicht zahlen. In diesem Dorf brauchen wir Geld nicht." Kyvn zögerte kurz. "Nun, dann habt nochmals vielen Dank." Er sah seine Gefährten an. "Kommt ihr mit? Ich wollte noch einmal bei der Alchemistin vorbeischauen, bevor wir wieder zurück zum Tal der Hoffnung gehen." Celeste schluckte den letzten Bissen Brot herunter und stand auf. Auch Hiro und Hokusai gesellten sich zu ihnen und dieses Mal flüsterte Hiro ihr etwas zu. "Entschuldige bitte wegen gestern. Ich war irgendwie nicht ganz ich selbst..." Celeste hob eine Hand. "Schon gut. Aber vielleicht solltest du beim nächsten Trank, der 'Fruchtbarkeit' im Namen hat, nicht gleich zulangen." Hiro nickte und räusperte sich, als er sich der Blicke der anderen gewahr wurde. "Wollen wir?"
"Ah, willkommen zurück. Seid ihr doch auf den Geschmack gekommen und wollt noch einen Fruchtbarkeitstrank?" Celeste warf Hiro einen scharfen Blick zu und dieser traf die weise Entscheidung, nichts zu sagen. Stattdessen ergriff Kyvn das Wort. "Guten Tag meine Guteste, ich wollte noch einmal nach Heiltränken fragen - Hans schickt mich, er sagte mir, dass Eure Tränke uns auf unserer Reise sehr viel nützen könnten. Der alten Zeiten wegen."
Das Lächeln auf den Lippen der Frau verschwand und sie sah Kyvn lange an. Dann drehte sie sich wortlos um, kramte in einem Regal hinter sich herum und drehte sich wieder zurück. Sie hielt vier kleine Heiltränke in den Händen wie jene, die sie Celeste gegeben hatte. Sie übergab sie an Kyvn, wandte sich dann zu einem viereckigen Fach und holte einen größeren, scheinbar sehr alten Trank hervor. Die Flüssigkeit darin war nicht hellrot wie die anderen, es war von einem tiefen, dunklen Rotton. Beinahe konnte Celeste den Trank im Takt eines Herzens schlagen sehen. "Der alten Zeiten wegen", krächzte die Alchemistin und für einen Moment sah sie um etliches älter aus als vorher. Unmöglich alt. Dann war der Moment wieder vorüber, Kyvn verstaute auch den großen Trank in seinem Beutel und sie verließen die bereits wieder lächelnde Dame.
Celeste überlegte, ob sie Kyvn fragen sollte, wer dieser Hans war der ihn angeblich geschickt hatte, doch bevor es dazu kam, wurden sie von einem bekannten Mädchen angesprochen. "Ihr wollt schon gehen?" Sylvania sah etwas betrübt aus, doch ihre grundlegende Fröhlichkeit schien das nicht sonderlich einzuschränken. "Ja, ich denke hier gibt es nicht viel für uns zu tun", sagte Kyvn knapp und Sylvania runzelte die Stirn. "Richtig, eure Mission gegen das Chaos zu kämpfen." Dann hellte sich ihr Blick wieder auf und sie streckte ihre Hand aus, in der eine kleine weiße Blume wuchs. "Wenn ihr nochmal bei Kurio vorbeikommt, dann gebt ihm doch bitte diese Blume von mir und grüßt ihn nett!" Kyvn nickte und nahm die Blume entgegen. "Das machen wir. Falls wir heute noch zum Tal kommen wollen, sollten wir aber denke ich jetzt dringend aufbrechen!"Als sie das Dorf verlassen hatten, hatte Celeste die Illusion des Irrgartens nicht mehr wahrgenommen. Sie hatte versucht genau darauf zu achten, doch der Meister des Gartens hatte ganze Arbeit bei ihnen geleistet. Nicht die leiseste Ahnung einer Hecke war in der Luft zu erahnen.
"Wahrhaft erstaunlich, dass es in dieser Welt ein Dorf gibt, in dem friedliche Harmonie herrscht", stellte Hokusai seine Meinung in den Raum und Celeste stimmte ihm zu. "Ja, ich hatte auch einiges erwartet, aber das nun wahrlich nicht!" "Lavandia hat ja auch eine äußerst effektive Verteidigungsanlage", merkte Kyvn an und Celeste sah in seinem Blick, dass auch er nach den Hecken Ausschau hielt. "Abgesehen davon hat Lavandia auch eine starke Waffe, wenn man das so nennen will", schaltete auch Hiro sich ein und Kyvns Augen blitzten bei seiner Bemerkung auf. "So?" Hiro sah seinen Freund vielsagend an. "Die Augen sind der Spiegel der Seele - die Oberfläche eines Teiches vermag noch um einiges mehr widerzuspiegeln."
"Apropos Teich", warf Celeste ein, "ihr habt doch dieses Mal auch gesehen, was ich gesehen habe in dem Teich, oder? Auf meiner Geisterreise zu meiner Schwester?" Die anderen sahen sie an und nickten. "Was meint ihr, warum gehen die wohl überhaupt in Richtung dieses riesigen Berges im Süden? Ist da ihr Hauptsitz oder sowas?" Hokusai legte die Stirn in Falten. "Vielleicht wollen sie den Berg sprengen mit ihrer Macht, wer kann schon das Verhalten von Dämonen verstehen?" Kyvn räusperte sich hörbar. "Ich denke, der Berg hat etwas mit ihrem Herrscher zu tun. Er mag zwar verbannt sein nach allem was wir wissen, aber vielleicht sind sie ihm dort am nächsten. Vielleicht ist auf der Spitze des Berges auch ein Portal, mit dem sie irgendetwas erreichen wollen." Er schwieg einige Sekunden, die Hiro ausnutzte um ebenfalls etwas beizutragen. "Kyvns Erklärung scheint mir sinnvoll. Mit Portalen kenne ich mich nicht gut genug aus, um da etwas reinzuinterpretieren, aber ich bin mir fast sicher, dass Kyvn recht hat, was den Herrscher angeht. Die Dämonen werden auf diesem Berg mit Sicherheit irgendwie ihrem Herrn und Meister näher sein können als sonst." Celeste nickte, das klang auch in ihren Ohren plausibel. Hokusai zuckte lediglich mit den Schultern, doch auch als sie weiter diskutierten, kamen sie auf dem Weg zum Tal der Hoffnung auf keine konkretere Ideen.
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Forsaken World
FantasyIn einer Welt von der sich die Götter abgewendet haben, gibt es nichts mehr, was das Chaos aufhält. Die Welt Ilaria kämpft seit mehreren hundert Jahren gegen die Vernichtung durch die Chaosdämonen an, doch ohne die Hilfe von Göttern verlieren sie im...