„Ihr entführt doch nicht wirklich kleine Kinder?"
„Nein, Janina, wir entführen keine Kinder. Warum sollten wir das tun?
„Und ihr vergiftet auch keine Brunnen?"
Loi fuhr sich seufzend mit der Hand durchs Gesicht.
Nach ihrer letzten Unterhaltung war Janina außergewöhnlich still gewesen, sodass sie fast gehofft hatte, sie würde von allein nach Hause zurückkehren. Aber natürlich war das nicht der Fall. Seit dem Morgen löcherte Janina Loi mit Fragen, vor allem über die Geschichten, die man sich über Elfen erzählte. Loi antwortete auf die allgemeineren und wich allen persönlicheren Fragen aus, und für den Moment gab Janina sich damit zufrieden. Sie redete trotzdem ununterbrochen. Loi schaffte es nicht, sie zum Schweigen zu bewegen. Genauso wenig, wie sie es geschafft hatte, Janina dazu zu bringen ins Dorf zurückzukehren. Sie war über Nacht bei ihnen geblieben, weil es zu spät war, um sich auf den Rückweg zu machen, und am Morgen hatte sie verkündet, dass es nun sowieso unmöglich war, weil sie gegen jede einzelne Anstandsregel des Dorfes verstoßen hatte. Loi hatte noch nicht aufgegeben, aber für den Moment gingen sie weiter.
Als sie am Mittag haltmachten, um etwas zu essen, überprüfte Loi die Vorräte. Es sah nicht gut aus. Sie hatte einige Reste der Wintervorräte dabei, aber es war Frühling und sie hatten nicht mehr viel übriggehabt. Janina hatte nicht daran gedacht, etwas mitzunehmen, als sie ihnen gefolgt war, und natürlich hatte Lune gar nichts dabei. Sie würden sich eine ganze Weile über Wasser halten können – wenn sie auf dem Weg alles Essbare sammelten, was sie fanden, und Loi jagte, konnte es sogar recht lange reichen – aber dann würden sie deutlich langsamer vorankommen. Außerdem gab es ein weiteres Problem, das Loi erst an diesem Morgen wirklich bewusst geworden war: Sie hatten keine Waffen. Sie selbst hatte ihr Schwert und ihre Dolche, aber Lune hatte sein Schwert irgendwo verloren, und keiner von ihnen hatte einen Bogen. Loi gab es nur ungern zu, aber schon allein zum Jagen konnte ein Bogen wirklich nützlich sein. Und es könnte auch nicht schaden, ihre Heilkräuter aufzustocken. Es gab einiges, das sie in den letzten zwei Jahren nirgends hatte bekommen können.
„Wir gehen nach Südwesten weiter".
Lune sah überrascht von seinem Essen auf.
„Die Elfen sind eher etwas nördlich".
„Wir machen Halt in Idrach".
Lune nickte und wandte sich wieder seinem Essen zu, aber mit einem kurzen Blick auf Janina erklärte Loi:
„Es ist die letzte größere Stadt der Menschen. Danach kommen nur noch ein paar Dörfer, kleiner als deins, und dann die wehenden Hügel, bevor die Waldgebiete der Elfen anfangen. Wir brauchen Proviant, Heilkräuter, vor allem Waffen. Die bekommt man sonst nirgendwo".
„Könnt ihr nicht bei den Elfen Waffen bekommen?"
Lune grinste. „Ich schon".
Loi funkelte ihn an.
„Keiner von uns. Wir haben kein Geld. Und du", sie wandte sich an Lune und wechselte die Sprache. „Lass endlich deine Anspielungen sein!"
Sein Grinsen verschwand. „Hör auf, Leute in Dinge hineinzuziehen, ohne ihnen die ganze Wahrheit zu sagen".
Sie starrte ihn verwirrt an.
„Wovon sprichst du?"
Er zog nur die Schultern hoch und wandte sich ab.
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Elfenmond
FantasySeit der verlorenen Revolution versteckt sich Loi unter Menschen. Ihre wahre Identität ist verborgen unter Jahrhunderten von Lügen und Geheimnissen. Doch als Loi mitten in der Nacht einem Fremden begegnet, der ihre Hilfe benötigt, muss sie sich ents...