KAPITEL 16 | Geiselnahme

9 3 0
                                    


Nyx war sich nicht sicher, warum er Ivan seinen Namen genannt hatte. Der Polizist erschien ihm bislang als vertrauenswürdig, so redete er sich ein.

Er ist ein guter Mensch, schoss es ihm hingegen durch den Kopf, als er ihn neben sich liegen sah. Er hat die Welt verdient.

Und stattdessen hatte er ihn gewählt.

Idiot.

Nyx hätte Ivan dafür erwürgen können, dass er es geschafft hatte, dass er ihm so nahe kam. Und dennoch ließ er es zu, dass Ivan in seinen Armen einschlief. Nyx hörte auf den gleichmäßigen Atem des anderen und spürte die Wärme, die Ivan förmlich abstrahlte.

Es tat ihm aufrichtig leid, dass Ivan nun Probleme auf der Arbeit wegen ihm hatte und dennoch bereute er nicht, was passiert war. Er hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß gehabt, wie am gestrigen Abend. Es war generell angenehm, seine Zeit mit Ivan zu verbringen, aber konnte er das Liebe nennen? Er wusste nicht mehr, wann er das letzte Mal Liebe gegenüber einer Person empfunden hatte. Nicht einmal seine Mutter hatte er geliebt – er hatte seine Eltern nicht einmal gekannt. Und dennoch, trotz aller Zweifel, was die Liebe anging, war er sich sicher, dass er es nicht als unangenehm empfand, dass Ivan sich nun an ihn kuschelte und auf seiner Brust eingeschlafen war.

Er hätte noch ewig so weiterliegen können.

Nyx war schon am dösen, als seine Uhr plötzlich vibrierte.

Träge blickte der Mann auf das Display, um zu erkennen, von wem die neue Nachricht war.

Als er das Wort Utopia in dunkler Schrift las, war er augenblicklich wieder hellwach.

Hast du Zeit für ein Treffen?, fragte der Boss der Einheit dort.

Wann?, hakte Nyx knapp nach.

Wenn es dir passt, dann sofort.

Es passte ihm ganz und gar nicht, aber wenn alles glattlief, dann könnte er womöglich Ivans Job mit dieser Aktion retten. Er hätte die Chance, neue Informationen zu erhalten und könnte Ivan damit aus der Patsche helfen.

Nyx stimmte dem Treffen zu.

Vorsichtig und bedacht, manövrierte er sich aus Ivans Armen heraus, ohne diesen dabei zu wecken. Dann schlich er in Ivans Küche und suchte sich dort einen Stift und Zettel zusammen – Ivan besaß sicher welche, denn er war altmodisch, das hatte Nyx bereits bemerkt. Niemand kochte mehr eigenhändig oder besaß Kartenspiele.

Er hatte schon seit Ewigkeiten keinen Stift mehr in der Hand gehalten. Mit zittriger, ungeübter Schrift, hinterließ er Ivan eine Nachricht:

Ich bin kurz weg. Utopia hat mich kontaktiert. Bis später.

Er legte Ivan den Zettel auf den Nachttisch, warf dem Mann noch einen letzten, nachdenklichen Blick zu und machte dann kehrt.

Zusammen mit Mafed reiste er nach Trappist und schlug dort den bereits bekannten Weg zum Bürogebäude der Einheit ein. So sehr wie Nyx in seine verworrenen Gedanken vertieft war, verging der Weg wie im Flug.

„Hallo, Nyx. Schön, dich wieder zu sehen", grüßte Utopia ihn, als Nyx von seinen Wachen in dessen Büro eingelassen wurde.

Die große Tür schloss sich wieder schwer hinter ihm und schottete sie vom Rest des Gebäudes ab.

„Ebenso", entgegnete Nyx.

Der Boss fragte: „Wie geht es deinem Freund?"

„Ganz gut", entgegnete Nyx.

„Sehr schön", meinte der Mann nur und fuhr dann fort: „Mila hat mir erzählt, dass du bei ihr warst."

Nyx gefiel dieser Small Talk nicht. Utopia hatte zuvor nie so mit ihm geredet. „Ja. Das war ich", bestätigte er, weil er keine andere Wahl hatte. Lügen würden ihn in diesem Moment nicht helfen.

UTOPIAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt