18 • Stimmbruchüberspringer und weiter redselige Menschen

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Theodore

„Theodore! Kommst du jetzt? Du wirst sonst zu spät kommen!" schreit Gwen, motiviert wie ein Bootcamptrainer, der gleich nervende Teenager nach Lehrbuch foltern darf, durch unsere Wohnung. Es würde mich also nicht wundern, wenn sich unsere Nachbarn später beschweren.

„Wo ist der verdammte Pulli?", brülle ich, beinahe verzweifelt, zurück und Gwen kommt um mir den gewünschten Pullover zu geben. Zum Glück weiß sie genau welchen Pulli ich meine, denn ich hätte es vermutlich nicht geschafft seinen Namen auszusprechen. Eduardo hat mir den Pullover irgendwann gegeben und ich hatte wahrscheinlich einfach vergessen ihm den zurückzugeben; was jetzt natürlich gut war. Ich habe einfach versucht zu verdrängen, dass wir nun nicht mehr zusammen sind, und anstelle ihm einfach zu schreiben wenn mich etwas an ihn erinnert, schreibe ich es in ein Dokument, welches ich der Einfachheit halber „Eduardo" genannt habe.

Bei meiner Schwester untergehakt laufe ich durch das Großraumbüro. Man hört Gemurmel, eiliges Tippen auf Tastaturen und ein Typ, der laut, an niemand bestimmtes gerichtet, fragt ob noch jemand einen Artikel für die morgige Ausgabe hat. „Hey, Rich!", begrüßt Gwen jemanden freudig; ich stehe neben ihr und spiele mit dem USB-Stick in meiner Jackentasche.

Rich, eigentlich Richard, ist ein ehemaliger Klassenkamerad meiner Schwester, der nach seinem Schulabschluss Journalismus studierte und anschließend bei der größten Tageszeitung in der Stadt eine Anstellung fand. Und genau da hatte Gwen angeknüpft und mir, weil sie mein träges lustloses Herumgehänge in unserer Wohnung genervt hatte, einen Job geholt. Sie hatte mich zum einwilligen lange überreden müssen, doch als sie mir klargemacht hatte, dass die Beschäftigung meines Gehirns mit Aufgaben, ein Ausknopf für meine Gedanken sein würde, stimmte ich zu.

„Theodore? Hey... Theodore!" Ich werde an der Schulter gerüttelt und mit einem Kopfschütteln befördere ich mich wieder in hier und jetzt. „Also wir werden jetzt zum Chef gehen, den notwendigen Papierkram erledigen und dann zeig ich dir alles", Rich hat eine etwas seltsame Stimme, so als hätte er den Stimmbruch in seiner Pubertät übersprungen. Ich hoffe einfach, dass ich nur heute ihm hinterdackeln muss. Gwen drückt mir aufmunternd die Schulter und kurz darauf werden wir von meinem baldigen Chef begrüßt.

Nachdem der Papierkram erledigt ist, treten Rich und ich einen Rundgang an. Das Mädchen für alles aka die Sekretärin, zuständig für das Bestellen von neuem Büromaterial — werde ich eh nicht brauchen — ist sehr aufdringlich, aber zu unserem Glück wird sie gleich von jemandem gerufen und hat leider keine Zeit uns die Ohren weiter abzukauen. Auch sonst reden die Menschen hier extrem viel, fällt mir auf und gleichzeitig frage ich mich, ob die Redakteure und Redakteurinnen auch genauso viel schreiben wie sie reden.

In der IT-Abteilung, in der ich einen Geschäftslaptop und tatsächlich auch eine neue Brailletastatur, denn meine eigene ist schon abgegriffen, erhalte, ist es im Vergleich zu dem hektischen Großraumbüros der unterschiedlichen Genres totenstill. Beinahe gruselig still! Rich flüstert mir leise zu, dass das immer so sei und ich am besten meine IT-Fragen per Mail hierher schicken solle. Ich nicke um ihm zu zeigen, dass ich verstanden habe, doch eigentlich weiß ich gar nicht was ich mit diesen Informationen anfangen soll.

„Der steht total auf übergewichtige alte Frauen!", mein Gesicht brennt vor Scham, die Praktikantin scheint das aber nicht mitzubekommen und plappert munter weiter. Einfach zu viele Informationen! Ich werde Richard wahrscheinlich nie mehr nahekommen wollen. Zumindest nicht wenn ich sowas weiß. „Stop! Wir müssen noch einen Artikel schreiben!", unterbreche ich Isa, die Praktikantin. Demonstrativ öffne ich meinen Computer und Isa stottert noch etwas. Ich bitte sie mir das Schreibprogramm zu öffnen und alles einzustellen was ich benötige. Lautes Vorlesen, passende Lautstärke und anderes Zeug. Ich bin froh, dass ich ein kleines Büro für mich alleine habe, damit ich nicht den ganzen Tag von anderen störenden Geräuschen abgelenkt werde.

Als ich an diesem Abend nach Hause komme, bin ich das erste Mal seit meiner Trennung von Eduardo Abends so todmüde, sodas ich nicht länger als fünf Minuten zum einschlafen brauche. Und das ganz ohne zu weinen.

GlücklichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt