KAPITEL 13 | MADREFIO

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Alloy und Cassian betraten das Madrefio und sahen sich neugierig um. 

Es schien sich um eine ganz gewöhnliche Kneipe zu handeln. Die Bar war um diese späte – oder vielmehr frühe – Uhrzeit nicht mehr gut besucht. Nur noch ein paar besonders hartnäckige Trinker lümmelten am Tresen herum. 

Einige von ihnen waren auch noch von anderen Süchten gezeichnet. Der langjährige Zapp-Konsum hatte sie hager, hohlwangig und zittrig werden lassen, ihre Organe zerstört und ihre Haut mit unschönen Exzemen überzogen. 

Wer es sich leisten konnte, versuchte, dieser Entwicklung mit Körpermodifikationen Einhalt zu gebieten und geriet direkt in die nächste Sucht-Falle. Viele Menschen konnten ihr Verlangen nach künstlichen Körperteilen inzwischen nicht mehr kontrollieren. Dazu kam, dass die Preise für Modifikationen in den vergangenen Jahren stetig gesunken waren. Dadurch war es beunruhigend leicht geworden, sich ein neues Gesicht zuzulegen. Oder einen unzerstörbaren Carbon-Arm. Spitze Zähne aus Titan. Ein drittes Auge. Der Fantasie waren kaum Grenzen gesetzt. Das machte das Geschäft mit den Modifikationen so interessant – und gleichzeitig auch riskant. Besonders, wenn man an irgendeinen Pfuscher geriet.

»Und wo finden wir jetzt deinen Freund von GAMMA?«, fragte Alloy, während sie ihren Blick suchend durch den halb leeren Gastraum schweifen ließ.

Der Prinz seufzte. »Ich habe keine Ahnung.« Er kratzte sich fahrig am Kinn. »Ich weiß nicht einmal, wie er aussieht.«

Alloy ächzte. »Habt ihr kein Erkennungszeichen oder so etwas vereinbart?«

»Dafür war keine Zeit.«

»Als ob wir jetzt mehr Zeit hätten ...«

Alloy ließ ihren Blick noch einmal durch den Laden schweifen. Neben den Trinkern am Tresen saßen etwas weiter hinten noch zwei weitere Männer an einem runden Tisch und verfolgten das Zunderball-Spiel, das auf einem Monitor an der rückwärtigen Wand gezeigt wurde. 

Und dann war da noch jemand. Ganz hinten in den Schatten. Der Mann kam ihr irgendwie bekannt vor. Alloy kniff die Augen zu Schlitzen zusammen, weiter und weiter – und dann wurde ihr plötzlich klar, wen sie vor sich hatte.

»Hah«, machte sie, atmete erleichtert auf und hob die Hand, um den Mann auf sich aufmerksam zu machen. »Galen! Hey, Galen! Was machst du denn-«

Die Stimme versagte ihr, als ihr Gehirn endlich die fehlende Verbindung herstellte. 

Eilig nahm sie die Hand wieder herunter. Doch es war zu spät. Galen hatte sie bereits entdeckt und winkte sie unauffällig heran.

Alloy zupfte Cassian am Ärmel. »Ich denke, ich habe deinen Kontaktmann gefunden.«
Cassian runzelte die Stirn. »Kennt ihr euch?«

»Ja ...« Alloys Brust zog sich enger zusammen. »So kann man das sagen.«

Galen war immer wie ein Mentor für sie gewesen. Als Jugendliche hatte sie zu ihm aufgesehen und viel von ihm gelernt. Nicht nur über Biologie, sondern vor allem über das Leben. Er schien auf jede Frage eine Antwort zu wissen und hatte immer einen guten Rat für sie gehabt. Doch nicht nur für sie. Er half allen, die zu ihm kamen. Zeigte ihnen, wie man Obst und Gemüse anbaute und in der Wüste an Wasser gelangte. Ohne sein reichhaltiges Wissen über Landwirtschaft und Viehzucht wäre das Leben in Burdina – vor allem für den ärmeren Teil der Bevölkerung – sicher deutlich schwieriger. Und jetzt entpuppte er sich als Mitglied einer Widerstandsbewegung. Alloy hatte keine Ahnung, wie sie das finden sollte. Irgendwie kam sie sich verraten vor. Gleichzeitig war sie neugierig darauf, wie Galen sich erklären würde.

Zusammen mit Cassian nahm Alloy an Galens Tisch Platz.

Galen lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor dem Körper. Der Stuhl knarrte unter seinem Gewicht. »Prinz Cassian ...« Seine Miene verfinsterte sich. »Alloy ...«

Depraved New World (ONC 2024)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt