Jaxon stand völlig regungslos am Rand des Lochs, in dem seine Schwester verschwunden war. Die Explosion der Rettungskapsel dröhnte ihm noch in den Ohren. Alles war verschwommen und gedämpft. Als befände er sich unter Wasser.
»Jaxie?« Jemand tätschelte seinen Oberarm. »Jaxie?«
Das Dröhnen der Explosion wurde zu einem schrillen Pfeifen.
Der Laut schwoll an, bis sich Jaxons Eingeweide verkrampften und er aus seinem seltsamen, gefühllosen Zustand aufschreckte.
Verwirrt blinzelte er in den Regen.
»Jaxie«, wiederholte Eden und sah fragend zu ihm hoch. Ihr Make-up war verlaufen und die silberblonden Haare klebten ihr klatschnass an Stirn und Wangen. Sie sah aus wie einer dieser Hunde, die riesige Augen bekamen und auf die Hälfte ihrer Größe zusammenschrumpften, wenn man sie mit dem Gartenschlauch abspritzte. »Hast du mir überhaupt zugehört?«
Aus reiner Gewohnheit wollte Jaxon ihre Frage bejahen, da bemerkte er eine Bewegung und sah sich um.
Hinter ihm waren Viper und Bishop soeben dabei, im Kofferraum von Vipers Gleiter herumzuwühlen. An der vorderen Stoßstange war noch das Seil befestigt, mit dem sie Jaxon in die Tiefe hinunterlassen und Alloy hatten retten wollen.
Doch das war gewesen, bevor die Explosion die ganze Höhle erschüttert und teilweise zum Einsturz gebracht hatte.
Jaxon wusste, was das bedeutete. Alloy war irgendwo da unten, begraben unter Steinen und Schutt. Die Chance, dass sie noch lebte, war gering. Jaxon wusste das, aber er ließ den Gedanken und den damit verbundenen Schmerz nicht zu. Im Gegenteil. Er suchte nach einem Weg, davor wegzurennen – und Viper und Bishop boten ihm die perfekte Gelegenheit dazu.
»Was habt ihr vor?«, fragte er.
»Was wohl?«, erwiderte Viper. »Wir gehen da runter.«
»Aber ...« Jaxon löste sich von Eden und hastete zu seinen Freunden. Mit einer Mischung aus Entsetzen und Begeisterung stellte er fast, dass es in Vipers Kofferraum ein geheimes Fach voller Waffen gab. Hauptsächlich Projektilwaffen mit langen Läufen, aber auch Militärmesser und selbstgebauter Krempel. Dazu kistenweise Munition. »Was ist das, Vi?«, keuchte er und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Wieso hast du so viele Waffen?«
»Oh, die gehören den Leuten, die ich so herumfahre«, erwiderte Viper im Plauderton. »Ich passe zwischen den Fahrten darauf auf.«
»Bist du wahnsinnig?«, hauchte Jaxon, bevor er von einer weiteren Erkenntnis überkommen wurde. »Wieso hab ich mir dann überhaupt Sorgen um dich gemacht?«
Viper zog einen Schmollmund. »Hättest du nicht machen müssen.« Sie tätschelte ihm den Kopf und lächelte. »Aber es war wirklich süß von dir.«
Nicht cool, Vi, nicht cool, dachte Jaxon grimmig.
Dabei sah er zu, wie Bishop sich aus seinem maßgeschneiderten Jackett schälte und es achtlos hinter sich warf. Darunter trug er ein weißes Hemd und einen ledernen Schulterholster.
Seelenruhig nahm er eine Pistole aus dem Kofferraum, überprüfte den Lauf, den Schlitten und das Magazin. Dann steckte er die Waffe in den Holster und wandte sich einem großen Gewehr mit einer weißen Carbon-Hülle zu. Ein umgebautes Pulsgewehr, so viel erkannte sogar Jaxon.
Als Kind hatte er seinen Vater angebettelt, ihn mehr mit Waffen hantieren zu lassen, aber der alte Mann hatte immer abgelehnt. Wir arbeiten für die Patronen, hatte er immer gesagt, aber wir werden nicht wie sie.
Jaxon ahnte, dass sein Vater dieses Leben im Geheimen verabscheut hatte. Kriminell zu sein, ohne wirklich kriminell zu sein. Das kam auch Jaxon komisch vor. Lieber war er richtig kriminell, als immer nur den Laufburschen zu spielen. Aber er konnte auch nicht aus seiner Haut. Jedenfalls nicht, solange seine Eltern noch lebten. Selbst wenn sie nur auf Maia II dahinvegetierten.
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Depraved New World (ONC 2024)
Ciencia FicciónVor 21 Jahren hat sich die Menschheit im Rahmen des Großen Exodus in ein anderes Sonnensystem aufgemacht. Im Alter von vier Jahren kam Alloy als Waise in die neue Welt, die der Neoczar der Menschheit errichten ließ. Jetzt ist sie eine junge Frau un...