Kapitel 1

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"Care."

Stille.

"Ugh. Caroline! Wach auf." Langsam zieht mich die Stimme meiner Mutter aus meinem Schlaf.

"Fünf Minuten noch", murmele ich vor mich hin und versuche mich wieder in mein Kissen zu kuscheln. Meine Mutter stöhnt auf und dreht mich an den Schultern in ihre Richtung. "Nichts da, wir sind endlich angekommen!", ruft sie euphorisch, dann tritt sie einen Schritt zur Seite und sofort werde ich von gleißendem Sonnenlicht geblendet. Meine Augen beginnen zu tränen und ich fange an, wie verrückt zu blinzeln.

"Ah, das Licht!", rufe ich dramatisch und schlage mir beide Hände vors Gesicht. Meine Mutter seufzt und verdreht genervt die Augen. "Jetzt geht das schon wieder los", murmelt sie und beginnt, ihre Schläfen zu massieren. Ein paar Strähnen von ihrem hellroten Haar, das mit winzigen grauen Partikeln durchzogen ist, fallen ihr aus ihrem einst ordentlichen Dutt ins Gesicht. Tiefe Falten liegen auf ihrer Stirn. Früher hätte ich sie als junggeblieben, geistig und körperlich, beschrieben, aber mittlerweile wirkt es, als wäre sie über die letzten sechs Monate um zehn Jahre gealtert. Zugegebener Maßen, es ist momentan vielleicht alles nicht ganz einfach, aber sie könnte es sich einfacher machen, wenn sie die Dinge nicht verkomplizieren würde.

Sie blickt auf und wirft mir einen erwartungsvollen Blick zu. Ich runzele die Stirn. Worauf wartet sie? Ihr Unterkiefer schiebt sich ein paar Millimeter nach vorne, wie immer, wenn sie kurz davor ist, jemanden anzuschreien und sie schnappt sich verärgert mein dunkelblaues Kuschelkissen, auf dem ich es mir bis gerade eben noch auf der Rückbank unseres Autos gemütlich gemacht hatte. "Hey!", rufe ich empört. "Geh ins Haus", sagt sie grimmig und stampft davon. Dann ruft sie noch über ihre Schulter: "Und vergiss Mays Teddybär nicht!"

Ich greife neben mir nach dem Plüschtier meiner dreijährigen Schwester und rappele mich dann langsam auf. Meine Beine sind steif von der stundenlangen Autofahrt. Ich gähne und strecke mich. Als ich mich zur Seite drehe, sehe ich mich selbst im Seitenspiegel unseres schwarzen BMWs. Ich zucke zusammen. Meine hellbraunen Haare sind total zersaust, meine grünen Augen glasig und mein Gesicht ist leichenblass. Außerdem habe ich Ketchupflecken an meinem linken Mundwinkel und auf meinem zartrosanen T-Shirt, sowie einen fetten Kissenabdruck auf meiner rechten Gesichtshälfte. Sexy. Hoffentlich sieht mich niemand.

Ich blicke mich um und betrachte meine Umgebung genauer. Direkt vor mir beginnt ein hellbrauner Steinweg, der über etwa dreißig Meter zu einem großen Haus aus weißen Backsteinen führt. An der Seite ist ein Balkon mit einem gläsernen Geländer und einer Wendeltreppe, die hinter dem Haus in einen riesigen Garten führt. Einen Zaun oder etwas anderes, das den Garten begrenzt, gibt es nicht. Die Häuser der Nachbarn sind jeweils mehrere Hundert Meter von uns entfernt. Hinter dem Haus beginnt ein Wald, der nach hinten hin immer dichter wird. Der Himmel ist strahlend blau, kein einziges Wölkchen ist zu sehen. Außerdem blendet mich die Sonne. Ich drehe mich um. Die andere Straßenseite sieht ähnlich aus. Auch hier ist im Hintergrund ein dichter Wald zu erkennen. Doch das Haus, das mir direkt gegenüber liegt, sieht etwas anders aus. Überall sind Blumen zu sehen, ein kleines Gemüsebeet schmückt den Vorgarten und eine Frau mit einer zitronengelben Schürze winkt mir aus dem Küchenfenster zu. Meine Augen weiten sich und ich drehe mich schnell um. Hastig schultere ich meine Tasche und schlage die Autotür ruckartig zu. Ich atme einmal tief durch.
"Es wird alles gut werden", flüstere ich mir zu und maschiere dann auf das Haus zu.

Mein neues Zuhause.

Die halbverglaste Haustür ist nur angelehnt, das Geschrei meines kleinen Bruders laut und deutlich zu hören. "Timothy, gib das wieder her!", ruft mein Vater wütend. Ich weiß echt nicht wie, aber der Zehnjährige schafft es wirklich tag täglich meine Eltern auf die Palme zu bringen. Ich lächele leicht.
Zögernd drücke ich die Tür ganz auf. Sofort läuft mir May in ihrem dunkellilanen Onesie entgegen und klammert sich an mein linkes Bein. "May", sage ich sanft und löse ihre Arme von meinem Oberschenkel. Dann greife ich sie unter den Armen und hebe sie auf meine Hüfte. Ich lächele sie an drücke ihr das Kuscheltier in die Hand. May quietscht und kuschelt sich halb an mich und halb an ihren Teddy. Ich streiche ihr ein paar Strähnen ihrer blonden Locken hinters Ohr und sie fängt an zu kichern.

The Alpha's MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt