Kapitel 14

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Seit 36 Stunden bin ich jetzt ungefähr nicht mehr zu Hause gewesen. Wird dann vielleicht auch langsam mal wieder Zeit. Allerdings habe ich nicht den blassesten Schimmer, wie meine Mutter jetzt reagieren wird. Vielleicht ist sie wütend, weil die Nachbarn schon komisch gucken oder sonst irgendeine zwanghafte Scheiße, die sie sich krampfhaft einbildet.

Ich habe jetzt schon keine Lust, sie zu sehen oder gar mit ihr zu sprechen. Eigentlich will ich mich nur mit May ins Bett kuscheln und ihr eine Gutenachtgeschichte vorlesen. Das habe ich schon so lange nicht mehr gemacht, obwohl das, bevor Toby rausgeschmissen wurde, so eine Ritual zwischen uns war.

Jeden Abend haben wir es uns mit Kakao oder Keksen und warmen Kuscheldecken gemütlich gemacht und ich habe meine kleinen Schwester ihre Lieblingsgeschichten erzählt. Normalerweise waren das immer die Gleichen; Peterson und Findus, der Regenbogenfisch oder Conni. Nur ganz selten hat sich mal das ein oder andere Märchen dazwischen geschlichen.

Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen bei den Erinnerungen. Als Toby noch da war, waren wir eine wirklich niedliche Familie. Was heißt Familie? Meine Eltern waren noch genauso abgef*uckt wie jetzt, aber Toby und ich waren ziemlich oft allein mit May und Timothy, unsere Eltern sind schließlich berufstätig und je älter wir wurden, desto mehr haben sie gearbeitet. Aber das war okay, uns hat das nichts ausgemacht.

Wir haben eine gute Beziehung, also seitdem ich elf und er fünfzehn war. Davor haben wir uns teilweise echt oft gestritten, aber welche Geschwister tun das nicht? Ich erinnere mich noch genau daran, wie mein Bruder sich immer bei meiner Mutter beschwert hat, dass ich meine ganze Kraft einsetzen darf, und er nicht, wenn wir 'gekämpft' haben. Und ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ich Toby das ein oder andere Mal blutige Stellen mit meinen Fingernägeln verpasst habe. Ich war wohl im wahrsten Sinne des Wortes eine kleine Kratzbürste. Oh Gott, war ich ein Biest.

Aber dann sind wir eben älter geworden und die Zeiten des unaufhörlichen Streitens war abrupt vorbei. Wir haben endlich verstanden, dass die Welt nicht nur aus Zankerei mit dem Bruder oder der Schwester besteht und ab dann ist mein Bruder mit zu einem meiner engsten Vertrauten geworden, mit dem ich über einfach alles reden kann. Auch wenn er mich im Moment für total bescheuert hält, weil ich an Werwölfe glaube.

Ich wirbele mich um und winke Megan zu, die mich freundlicherweise hier abgesetzt hat. Ich atme einmal tief durch und drehe mit schwitzigen Händen den Schlüssel im Schlüsselloch der Haustür herum. Na dann mal los.

Es ist zwar nicht still im Haus, aber gestritten wird auch nicht. Ich runzele die Stirn und ziehe meine Jacke fester um mich, ich wappne mich für das Schlimmste. Auf einmal höre ich ein seltsames Geräusch. Etwas, das ich schon so unheimlich lange nicht mehr gehört habe und für einen Moment kann ich meinen Ohren nicht glauben. Ist das etwa Gelächter? Echtes, nicht gekünsteltes Gelächter?

Total verwirrt bewege ich mich näher aufs Wohnzimmer zu. Die Tür ist einen Spalt breit geöffnet, eine schmaler Lichtstreifen fällt auf das Parkett unter meinen Füßen. Ich versuche, so lautlos wie möglich zu schleichen, aber meine Schuhe sind ein ganz kleines bisschen nass und machen so komische Qietschgeräusche.

Meine Mutter lacht wieder auf, laut und herzlich. Was zur Hölle habe ich meinen 36 Stunden Abwesenheit verpasst?

Unsicher und zögerlich stoße ich die Tür auf und luge vorsichtig dahinter hervor, in der Hoffnung, noch nicht entdeckt zu werden.

Meine Mutter sitzt am Esszimmertisch, ihre Haare fallen ihr offen und kraus über die Schultern, ihre Mascara ist total verschmiert. Vor ihr steht eine fast leere Rotweinflasche und ein halb gefülltes Glas. Bitte lass sie nicht betrunken sein, bitte sag mir einfach, dass die Flasche schon vorher fast ausgetrunken war. Mein Vater sitzt ihr gegenüber, oder wohl eher liegt. Er schläft, der Kopf auf der Tischplatte, eine kleine Sabberpfütze neben seinem Mund. Lecker. Nicht.

The Alpha's MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt