Kapitel 1

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Vincent

Mit einem leisen Stöhnen rühre ich in der traurigen Schüssel Cornflakes herum, die direkt vor meiner Nase steht. Die Flocken, die an der Oberfläche schwimmen, sind mittlerweile so sehr aufgeweicht, dass sie mehr an unförmige, aufgequollene Ufos erinnern, als an etwas Essbares. Aber nach Essen ist mir im Moment eh nicht wirklich zumute. Vermutlich würde ich meinen gesamten Mageninhalt sofort wieder in der Kloschüssel entleeren.

Mit einem resignierten Seufzer lasse ich den Löffel lustlos in die Schüssel sinken und schiebe sie noch ein Stück weiter von mir.

Mein Kopf hämmert immer noch so, als würde man ihn von Innen mit einem Presslufthammer bearbeiten und meine Kehle fühlt sich an wie ausgedorrt, aber das versuche ich zu ignorieren. Die kalte Dusche vorhin hatte tatsächlich ein bisschen dabei geholfen, das Dröhnen in meinem Schädel zu dämpfen, aber ganz spurlos war die letzte Nacht wohl doch nicht an mir vorbei gegangen. Es hätte mich eigentlich auch gewundert, selbst, wenn ich mich immer noch frage, ob es die Flasche Vodka oder der Joint gewesen war, den Aaron und ich geraucht hatten, die mein Schicksal und damit diesen elendigen Morgen besiegelt hatten. Dabei konnte man uns keinen Vorwurf machen, dass wir die positive Rückmeldung zu unserem Demo gebührend gefeiert hatten.

Immerhin hatten wir einen Haufen Arbeit in die ganze Sache gesteckt und den Vorentscheid für den Musik Contest zu gewinnen war schon ein kleiner Erfolg. Nicht, dass ich an unseren Fähigkeiten gezweifelt hätte, aber nach der Top 10. Entscheidungsrunde und dem Viertelfinale waren die Chancen auf dem Newcommer Festival performen zu dürfen, doch etwas geschrumpft. Umso schöner, dass sich die endlosen Proben ausgezahlt hatten.

Das hier war etwas Großes. Es war ein Gig, ein richtiger Gig! - Nichts, was mit den kleineren Auftritten in irgendwelchen Kneipen oder winzigen Konzerten,die wir gespielt hatten, vergleichbar war, oder die wenigen Male , die wir eine Vorband bei etwas größeren Events waren; sondern ein Auftritt, bei dem wir einer der Hauptacts sein würden!

Außerdem war heute Sonntag, und wir hatten eh nichts vor, also konnte man gut seinen Kater auskurieren. Der Gedanke an die Zusage entlockt mir trotz meiner Kopfschmerzen ein kleines Grinsen.

Dass ich jetzt hier an dem Tisch in unserer Küche sitze und mein Kopf zu explodieren droht, ist wohl ein notwendiges Opfer. Wobei ich schon deutlich schlimmere Sachen durchgestanden hatte. Das bisschen Gras und Alkohol waren da eigentlich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, den ich morgen wieder vergessen hätte.

Aaron hatte wesentlich tiefer ins Glas geschaut und ihm war es deutlich weniger gut bekommen. Zumindest würde das erklären, warum mein bester Freund und Mitbewohner noch immer in seinem Bett lag und bei dem kleinsten Versuch ihn zu wecken zu einem richtigen Arschloch mutierte.

Ich kannte Aaron gut genug, um zu wissen, dass es keinen Zweck hatte, zu versuchen ihn auf die Beine zu bekommen und es besser war, einfach abzuwarten, bis er seinen Rausch halbwegs ausgeschlafen hatte. Alles andere war purer Selbstmord und ich hing an meinem Leben, also ließ ich ihn. Auch wenn er sich heute Nachmittag sicher darüber beschweren würde, dass ich ihn den Tag hatte verschlafen lassen. Als ob er heute wirklich was vorhatte. Der Gedanke bringt mich dazu, die Augen zu rollen und gleichzeitig ein wenig zu schmunzeln. Ich löse meinen Kopf aus meiner Hand und schaue mich stattdessen in der Küche um, die eher an ein Schlachtfeld erinnert.

Mein Blick wandert zu den zahlreichen Postern verschiedener Bands und den wenigen Fotos, mit denen die Wand dahinter fast schon tapeziert ist, bevor er zu den leeren Schnapsflaschen auf der Anrichte wandert. Beim Anblick des leeren Tequilas zieht sich mein Magen zusammen. Es grenzt schon fast an ein Wunder, dass wir es wieder nachhause geschafft hatten.

Kurz bleibe ich mit den Augen an einem Bild von Aaron, Erik und mir hängen. Die Küchenwand ist darauf noch kahl und im Hintergrund ist ein leerer Bierkasten zu sehen. Das Bild war kurz nach unserem Einzug geschossen worden, als wir unsere erste WG Party geschmissen hatten, eine Party, auf die noch viele weitere folgen sollten. Eigentlich kaum zu glauben, dass das schon vier Jahre zurück lag und dass wir immer noch befreundet sind. Trotz all der Scheiße die wir zusammen durchgemacht hatten.

The BetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt