Kapitel 6

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Tessa

"...so ein Arschloch!" ruft Viola empört aus und wirft die Hände in die Luft , um ihren Worten noch mehr Ausdruck zu verleihen. "Ich glaub's echt nicht! Wie kann man so ignorant sein?!" Die Stimme meiner besten Freundin überschlägt sich fast, als sie die Gabel mit voller Wucht in das Stück Kuchen auf ihrem Teller rammt, sodass der Tisch zu wackeln beginnt. Der Kaffee, der in der randvollen Tasse neben ihr steht, schwappt gefährlich hin und her. Hätte ich meinen Kaffeebecher nicht schon in den Händen gehalten, hätte ich ihn spätestens jetzt vor dem Zorn meiner besten Freundin gerettet.

"Ich meine ja nur," fährt sie unbeirrt fort, während sie den soeben erlegten Karottenkuchen auf ihrem Teller mit der Gabel zerfleischt. Ein paar Krümel verteilen sich auf dem kleinen mit Blumen verzierten Geschirr. Der Kuchen wird in dieser Zeit immer kleiner. Nach nur ein paar Sekunden hat der zermatschte Haufen aus Teig und Frosting nichts mehr mit dem hübschen Tortenstück gemeinsam, was uns die nette Bedienung aus der Vitrine gereicht hatte.

"Es ist wirklich total fies, direkt zu Beginn des Semesters so eine riesige Abgabe zu verlangen. Zwanzig Seiten in drei Wochen. Und dann auch noch zu einem Thema, von dem noch niemand was gehört hat. Spinnt der komplett?! Wir haben schließlich noch andere Dinge zu tun, oder nicht? Denkt Petersen, sein Kurs wäre der einzige, für den wir etwas ausarbeiten müssten?" Mit einem heftigen Kopfschütteln schiebt sie sich die Gabel in den Mund. "Und dann noch dieses bescheuerte Praktikum!" Stöhnt sie mit vollem Mund und lässt den Kopf in die Hand sinken.

"Ich verstehe dich," sage ich möglichst ruhig. "Manchmal glaube ich auch, dass unsere Dozenten denken, wir haben nichts Besseres zu tun. Die Situation ist einfach beschissen. Aber du findest einen tollen Praxispartner. Und die Hausarbeit bekommst du irgendwie hin, versprochen!" versuche ich sie irgendwie aufzubauen. Nicht sonderlich erfolgreich, fürchte ich. Viola stöhnt in ihre Hände. "Oder ich begehe vorher noch eine Straftat und brenne die Uni nieder... Wenn es keine Universität gibt, gibt es auch keine Hausarbeit, die ich abgeben kann." brummt sie missmutig. Ich lächle mitfühlend und tätschle ihre Schulter. Denn auch wenn ich Vi's Ärger gut verstehen kann, bin ich einfach zu müde, um mich mit ihr aufzuregen. Ob das an der unruhigen Nacht liegt, die ich in meinem neuen Zuhause verbracht habe, oder daran, dass ich noch nicht meine tägliche Dosis Koffein zu mir genommen habe, sei mal dahingestellt.

Eigentlich hatte ich gehofft, dass ich nach meiner Auspack - Aktion, die ich nach dem Essen mit Aaron fortgesetzt hatte, einfach ins Bett fallen und direkt einschlafen würde - aber das war nicht der Fall. Die fremden Geräusche, die von draußen durch das Fenster dringen, das Quietschen des Bettes bei jeder Bewegung und der Schock den ich jedes Mal durchlebt hatte wenn ich weggedöst war und die Augen aufgeschlagen hatte und mich nicht neben Dylan wiedergefunden hatte. Dabei haben wir schon ewig nicht mehr zusammen in einem Bett geschlafen, nachdem ich ihn auf die Couch verbannt hatte, aber es war immerhin meine Wohnung gewesen. Mein Bett und meine Wohnung in der es weder kaputte Bad Türschlösser noch idiotische Mitbewohner gab, die einem den Kaffee wegtranken! Allein die Erinnerung an heute morgen sorgt dafür, dass ich laut schreien möchte. Einerseits, weil ich mich über seine Überheblichkeit von heute morgen immer noch ärgere und andererseits, weil ich das Bild seines nackten Körpers wahrscheinlich nicht mehr so schnell aus dem Kopf bekommen würde. Dabei war es zumindest in meinen Augen nicht zu viel verlangt, sich eine Hose überzuziehen!

Stattdessen würde mir das Bild seines nackten, tätowierten Körpers wahrscheinlich nicht mehr so schnell aus dem Kopf gehen. Allein, dass ich jetzt darüber nachdenke, ist ein Indiz dafür, dass ich früher oder später den Verstand verlieren würde. Ein leises Seufzen kommt über meine Lippen. Dabei sollte ich doch eigentlich voll und ganz bei dem Treffen mit Vi und Ally sein, auch wenn die Dritte im Bunde noch auf sich warten lässt. Eigentlich hatten wir uns verabredet und Kaffee zu trinken und uns endlich an unsere Hausarbeiten zu setzen, doch abgesehen davon dass ich Allison bereits verspätet bin ich mir gar nicht so sicher, ob ich mich überhaupt konzentrieren könnte

The BetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt