Kapitel 2

77 14 21
                                    

Tessa

"Ich glaube sogar kotzend über der Kloschüssel zu hängen würde mehr Spaß machen, als mich mit dir zu unterhalten-"

Mit einem leisen Schnauben umfasse ich die schwere Bücherkiste, die ich aus meinem Kofferraum gehievt habe mit beiden Händen und zwinge mich dazu, die letzten Stufen zu Aarons Wohnung nach oben zu steigen. Der Boden des Kartons hat sich in den letzten Minuten immer mal wieder gelockert und da ich keine Lust habe meine sieben Sachen vom Boden des Treppenhauses aufzusammeln, fasse ich die Kiste fester. Als würde mein Leben davon abhängen.

Mein Blick ist dabei weiterhin fest auf dem Rücken des jungen Mannes vor mir gerichtet, der gerade die Stufen hochsteigt, auch wenn ich am liebsten alles stehen und liegen gelassen und ihm meinen Mittelfinger unter die Nase gehalten hätte. Das hätte er vielleicht eher verstanden als meine fast schon höfliche Begrüßung von vorhin. Auch wenn er die nicht verdient hatte. Immerhin war er selbst nicht gerade freundlich.

Eine nette Begrüßung zum Einzug war definitiv etwas Anderes - andererseits hätte ich von dem Mitbewohner meines Bruders auch nicht wirklich mehr erwarten dürfen.

Im Grunde war es also mein Fehler überhaupt anzunehmen, dass ich voller Vorfreude von Aarons Mitbewohner in Empfang genommen werden würde. Schließlich war von Anfang an klar gewesen, dass Aarons Freunde nicht besonders begeistert von meinem bevorstehenden Einzug waren. Allerdings hätte ich mit ein bisschen mehr Freundlichkeit gerechnet, selbst wenn sie geheuchelt gewesen wäre. Ein bisschen Anstand besitzen und zumindest so tun als würde man sich über meine Anwesenheit freuen, oder sie zumindest nicht zum kotzen finden, ist in meinen Augen nicht zu viel verlangt. Und eigentlich dachte ich, dass auch Aarons Freunde erwachsen genug wären, das so zu sehen. Aber wahrscheinlich war das nur Wunschdenken.

In dem Augenblick, als Vincent mir die Tür geöffnet hatte, hätte ich eigentlich schon wissen müssen, dass das hier kein gutes Ende nehmen würde.

Aber jetzt war es eh zu spät, sich Gedanken darüber zu machen.

Als wir den obersten Treppenabsatz erreichen, stoppt mein zukünftiger Mitbewohner abrupt. Zu meinem Glück bin ich weit genug hinter ihm, dass ich nicht mit voller Wucht gegen ihn pralle. Das fehlte ja noch.

Vincent schiebt die Tür mit seinem Fuß auf und geht schnurstracks über den Flur in Richtung eines Zimmers am anderen Ende. Für eine Sekunde lasse ich den Blick durch die Diele und über die Wände wandern, die früher vermutlich einmal weiß gewesen waren und bleibe an dem Schuhregal hängen, neben dem eine Jacke auf dem Boden liegt. Direkt daneben befindet sich eine Garderobe, an der noch einige Jacken und Kapuzenpullis hängen. Die gegenüberliegende Seite säumt eine Kommode, auf der ein Schlüsselbund neben einem aufgeschlagenen Buch und aufgerissenen Briefumschlägen liegt. Die Papiere sind aufgefaltet daneben. Darüber klebt ein Poster mit einem schwarzweiß Foto, was fast schon hübsch sein könnte, auf dem ein Gitarrenspieler abgebildet ist.

Die Schuhe, welche sich wohl eigentlich in besagtem Regal befinden sollten, liegen kreuz und quer auf dem Boden verteilt und in einer Ecke steht ein leerer Bierkasten, auf dem sich Glasflaschen stapeln. Unweigerlich rümpfe ich die Nase.

Ordnung scheint für meine Mitbewohner ein Fremdwort zu sein. Bleibt nur zu hoffen, dass ich nirgends Essensreste finde, die schon ein Eigenleben entwickelt haben. Oder noch schlimmer: Spinnen. Der Gedanke an die haarigen Viecher sorgt dafür, dass mir ein Schauer über den Rücken läuft, also schiebe ich ihn schnell beiseite. Nur nicht zu lange drüber nachdenken.

Ich steige mit einem großen Schritt über das Chaos am Boden und nehme Kurs auf das Zimmer am Ende des Flurs, was vorher Erik gehört haben muss und in dem Vincent gerade verschwunden sein muss.

The BetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt