Tessa
Verschlafen tappe ich den Flur in Richtung Küche entlang. In der Wohnung ist es still, obwohl es bereits kurz vor neun Uhr ist, aber so langsam habe ich mich daran gewöhnt, dass der Schlafrhythmus meiner Mitbewohner eher an den Winterschlaf von ein paar sehr faulen Murmeltieren erinnert. Wobei ich zugeben muss, dass die Vorstellung, den Morgen unter meiner Bettdecke zu verbringen, wirklich verlockend ist. Die Müdigkeit steckt immer noch in meinen Knochen und es fällt mir heute wirklich schwer, meine Augen offen zu halten. Ob das eventuell daran liegen könnte, dass ich die letzte Nacht damit verbracht hatte, vor meinem Laptop zu hocken und ungefähr fünfzig mögliche Anfänge für meine Kolumne zu tippen und direkt in den Papierkorb zu befördern? Schon möglich. Fakt ist jedenfalls, ich brauche dringend einen Kaffee! Und da ich nicht damit rechne, dass einer meiner Lieblingsmitbewohner mir vor mir wach werden und Kaffee aufsetzen, geschweige denn mir etwas davon übrig lassen würde, habe ich mich schweren Herzens aus dem Bett gequält und auf den Weg zur Kaffeemaschine gemacht.
Aaron war gestern erst spät von seiner Lerngruppe heimgekommen und würde sicher nicht vor eins aufstehen und Vincent hatte ich nicht mehr gesehen, nachdem er gegen Mittag das Haus verlassen hatte. Seit unserer letzten Auseinandersetzung waren wir uns aus dem Weg gegangen und hatten kein einziges Wort mehr miteinander gewechselt, aber eigentlich war ich ganz froh darüber. Denn zumindest bedeutete es, dass ich mich vorerst nicht mehr mit seinen dummen Sprüchen herumschlagen muss.
Endlich in der Küche schalte ich die Kaffeemaschine ein, ziehe den Stecker aus der Dose und stecke ihn schließlich wieder ein, woraufhin mich das Gerät mit fröhlich blinkenden Knöpfen begrüßt. Ich betätige eine Taste, während ich gedankenverloren auf den kleinen Wasserbehälter starre. Der Motor beginnt zu summen, und das Geräusch ist fast schon beruhigend. "Wenigstens das läuft ohne Probleme", murmele ich, während ich mir die Augen reibe und ein Gähnen unterdrücke. Die braune Flüssigkeit tropft langsam aber stetig in die Karaffe. Ich lehne mich gegen die Kante der Küchenzeile, um einen Blick auf mein Handy zu werfen. Ich scrolle gerade durch meine Nachrichten auf Instagram und bleibe bei einem Katzenvideo hängen, was Viola mir geschickt hat, als die Tür zum Badezimmer geöffnet wird. Offenbar bin ich doch nicht die einzige, die um diese Uhrzeit wach ist. Dabei hatte ich wirklich nicht damit gerechnet, doch die Schritte auf dem Flur sprechen eine andere Sprache. Vielleicht habe ich mich ja getäuscht und die Jungs mutieren doch noch zu Frühaufstehern? Noch immer sehe ich einer putzigen Katze dabei zu, wie sie versucht ihren Kopf in eine viel zu kleine Schüssel zu stecken, als die Schritte Kurs auf die Küche zu nehmen scheinen. Noch immer vollkommen von dem Video fasziniert schaue ich nicht auf, als eine helle Frauenstimme ertönt: "Morgen, sag mal, könnte ich von dem Kaffee vielleicht was abhaben? Ich würde gerade dafür STERBEN." Mein Blick schnellt schlagartig nach oben und fast bin ich froh, dass ich gerade noch nichts von meinem persönlichen Lebenselixier getrunken habe, denn sonst hätte ich den Kaffee wahrscheinlich quer durch die Küche gespuckt. Vor mir steht eine Frau, die ich noch nie vorher gesehen habe. Ihre roten Haare sind etwas zerzaust, trotzdem scheint sie ein betörender Duft von Mango und Papaya zu umgeben, der eindeutig von MEINEM Shampoo stammt, auch wenn sie genauso müde wirkt, wie ich mich fühle. Einen Moment kann ich sie nur anstarren. Sie trägt ein altes Bandshirt, mit dem verwaschenen Aufdruck, bei dem man noch gerade so die Buchstaben von My Chemical Romance erkennen kann und das definitiv nicht ihres zu sein scheint. Einerseits, weil es ihr gerade mal bis knapp über den Hintern reicht und andererseits, weil ich genau dieses Shirt vor kurzem aus der Waschmaschine gefischt habe, weil JEMAND es da vergessen hat. Es dauert eine Sekunde, bis mein Gehirn die Situation verarbeitet.
Vincent.
Natürlich.
"Äh... klar", sage ich, immer noch ein wenig perplex, während ich mit einem Nicken auf die Kaffeemaschine deute, die gerade ein leises Piepen von sich gegeben hat. Ich presse die Kiefer zusammen. "Fühl dich wie zu Hause." Sie lächelt dankbar und greift nach der Tasse, die ich schon bereitgestellt habe, während ich immer noch versuche, das Ganze zu verarbeiten. Also, Vincent war wohl gestern nicht lange allein unterwegs....
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The Bet
RomantikEin Neuanfang, das ist alles was Tessa sich wünscht, als sie nach der Trennung von ihrer ersten großen Liebe in der WG ihres Bruders unterkommt. Sie will sich endlich auf sich und ihre große Leidenschaft konzentrieren : Das Schreiben. Am besten ohn...