-19-

6 1 0
                                    

Mein Zug kam tatsächlich nur 30 Minuten später in Kiel an, als geplant. Mein Vater wartete schon auf dem Parkplatz auf mich. Nach einer kurzen Begrüßung nahm er mir den großen Koffer ab und lud ihn in den Kofferraum. Ich hatte einen Mordshunger und hoffte, dass es zu Hause etwas zu Essen geben würde. Auf der Fahrt in Richtung des Hauses meiner Kindheit, fragte mein Vater mich schon aus über die Zeit mit der Mannschaft. Es tat ehrlich richtig gut, endlich mal wieder deutsch zu sprechen. Dieser ständige Austausch mit den Dänen auf Dänisch oder Englisch, fiel mir zwar mit der Zeit immer leichter, aber Deutsch war dann doch meine Muttersprache und mir einfach am liebsten. Ich berichtete kurz und knapp und sagte, dass ich gleich noch ausführlich berichten würde, damit ich nicht alles doppelt erzählen musste. Bei meinen Eltern angekommen, hatte meiner Mutter zum Glück Essen schon fertig vorbereitet. Kannte sie mich doch am besten und wusste, dass ich sehr oft hungrig war. Nach dem Essen und eines ausführlichen Berichts meinerseits über die Zeit bei der EM, verabschiedete ich mich kurz noch einmal nach draußen. Meine beste Freundin wohnte nicht weit entfernt von meinen Eltern und wir hatten vorhin ausgemacht, dass wir uns noch bei ihr treffen würden, wenn ich Zeit hatte. Ich schrieb ihr also, dass ich auf dem Weg zu ihr war. Nicht ganz 10 Minuten später klingelte ich bei ihr an der Tür und sie ließ mich rein. 

Als ich oben ankam, fielen wir uns direkt in die Arme. Hatten wir uns jetzt auch schon wieder länger nicht gesehen. Seit ich in Flensburg wohnte waren die Treffen natürlich noch seltener geworden. Hatte man doch als Erwachsener immer weniger Zeit und mit einem Job wie meinem sowieso. „Wie wars?", fragte sie, als wir auf dem großen Sofa in ihrem Wohnzimmer saßen. „Ach, es war wirklich eine so krasse Erfahrung. Es war ehrlich cool, aber ich weiß das dich das eigentlich gar nicht so interessiert.", lachte ich. Meine beste Freundin hatte absolut gar nichts mit Handball am Hut, dieser Sport interessierte sie null. Sie hatte ein eigenes Pferd, das war voll ihr Ding, aber Ballsportarten und sie waren nie Freunde geworden. Das war schon damals in der Schule so gewesen. „Ja gut du hast recht, aber ich interessiere mich natürlich für dich und deine Arbeit, also gehört das jawohl dazu. Aber du bist ja wegen etwas anderem hier, also schieß los, was brennt dir auf der Seele.", fragte sie und sah mich erwartungsvoll an. „Keine Ahnung wie ich anfangen soll.", sagte ich und fuhr mir mit beiden Händen übers Gesicht. „Am besten von vorne.", lachte sie und ich verdrehte grinsend die Augen. „Schon klar, aber danke für den Hinweis.", erwiderte ich und seufzte leise. „Es geht um einen der Jungs aus der Mannschaft. Ich bin da etwas verwirrt und wollte da einfach mal deine Meinung zu hören.", fing ich an und sah dabei auf meine Hände, die in meinem Schoß lagen. „Okay schieß los, ich bin ganz Ohr. Aber warte meinst du aus der Flensburger Mannschaft oder der dänischen?", fragte sie. „Dänemark. Du weißt ja, dass ich Physio bin und die Jungs behandle und unterstütze, ne?", sagte ich und sah meiner Freundin kurz in die Augen. „Jaaaa.", antwortete sie und sah mich erwartungsvoll an. „In den letzten Wochen war ich ja ausschließlich und jeden Tag nur mit der Mannschaft zusammen und irgendwie, ich weiß auch nicht wie, hat sich in der Zeit so ein kleines Gefühl in mir ausgebreitet.", sagte ich und schloss kurz die Augen um mich zu sammeln, ehe ich weiter sprach. „Und da ist dieser eine Spieler, er heißt Mathias Gidsel. Er spielt sonst in Berlin Handball. Wir haben uns von Anfang an gut verstanden, also eigentlich habe ich mich mit allen gut verstanden. Aber Mathias ist ein sehr guter Freund von Emil und so hatten wir halt öfter miteinander zu tun. Naja jedenfalls gab es da so ein paar Situationen, in denen ich so etwas wie ein Hauch von Gefühlen für den Handballer meinte in mir zu spüren.", ergänzte ich. „Uhhh sag bloß du bist verliebt? Das wäre doch so schön, du hast dir jemand Neues an deiner Seite ehrlich verdient. Jemand der dich auf Händen trägt und dich schätzt so wie du bist.", sagte sie. Mittlerweile hatte ich es wirklich verstanden, dass meine alte Beziehung absolut toxisch gewesen ist und diese vieles in mir zerstört hatte, was ich nun langsam versuchte wiederherzustellen. „Nein quatsch, soweit würde ich nicht gehen. Ich bin nicht verliebt. Aber irgendetwas war da zwischen uns, diese gewisse Anziehung und er ist wirklich nett – und gut aussehend.", konnte ich mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen. „Naja aber das worum es jetzt eigentlich geht ist etwas anderes.", fing ich erneut an und mein Grinsen verschwand genauso schnell wieder wie es gekommen war. Ich versuchte meinen angestiegenen Herzschlag durch ruhiges atmen zu beruhigen. Irgendwie fühlte ich mich wie ein Teenager, der zum ersten Mal einen Jungen geküsst hatte. Wir kannten uns seit über 20 Jahren, ich musste einfach nur raushauen was los war. Ich blickte wieder auf meine Finger. „Jedenfalls was ich sagen will. Nachdem Finale am Sonntag, das ja leider verloren ging, lag ich bis spät abends enttäuscht auf meinem Hotelbett und dann klopfte es irgendwann und naja... also dann stand da Mathias und ich erspare dir weitere Details, aber... also wir haben miteinander geschlafen. Und naja heute Morgen war er dann nicht mehr da und auch schon abgereist. Er hat keine Nachricht oder etwas hinterlassen, ist einfach verschwunden. Was soll ich davon halten?", endete ich meine Rede. „Oh mein Gott. Was? Ihr habt miteinander geschlafen? Also er kam zu dir und wollte das auch oder wie kam es dazu?", fragte sie. „Ja, also ich habe die Tür aufgemacht und konnte nicht mal richtig mit ihm sprechen, da hat er mich schon geküsst und dann kam eines zum anderen.", antwortete ich. „Okay, krass. Also ging das Ganze schon von ihm aus. Das ist wirklich Feige, dass er dann danach einfach verschwindet. Hat er keinen Zettel hinterlassen oder dir eine Nachricht geschickt?", fragte meine beste Freundin weiter. „Nein, jedenfalls habe ich nichts gefunden. Also ich habe auch nicht danach gesucht und Nachricht auch nicht, also wir haben keine Nummern getauscht oder so.", sagte ich. „Oh, wie blöd. Das ist wirklich eine mistige Situation. Aber hat dir das Ganze denn was bedeutet? Also ich meine du sagst du findest ihn nett und gutaussehend und da ist was zwischen euch gewesen. Wie hättest du dir das ganze denn weiter vorgestellt?", fragte Lisa. „Ich weiß es doch auch nicht. Was ich aber weiß, dass ich es mir nicht so vorgestellt habe. Wenigstens verabschieden hätte er sich können. Sagen können, danke das wars, Tschüss, schönes Leben noch oder was weiß ich. Aber doch nicht so, ohne alles. Ich bin soo verwirrt.", jaulte ich und musste irgendwie lachen. Ich fing einfach an zu lachen. Wie absurd einfach diese ganze Situation war. Ich saß hier mit meinen 27 Jahren auf dem Sofa meiner besten Freundin und machte mir Gedanken um einen Typen, der mit mir schlief und sich dann verpisste. Wirklich als wäre ich 17 und nicht 27, so fühlte ich mich. Lisa stimmte in mein Lachen mit ein. „So will ich das sehen. Mach dir ehrlich nicht so viele Gedanken darüber. Vielleicht meldet er sich ja doch noch irgendwie bei dir, wenn du sagst er ist gut mit Emil befreundet. Irgendwann werdet ihr euch doch sicher nochmal über den Weg laufen. Und wenn da von deiner Seite doch mehr ist, dann sprich du doch mit Emil und frag ihn nach seiner Nummer. Dann nimm dir das was du willst. Selbst ist die Frau.", sagte meine beste Freundin sachlich und lächelte mich aufmunternd an. „Ach ich weiß es doch auch alles nicht. Vielleicht habe ich auch einfach zu viel in das Ganze reininterpretiert, weil ich seit Fabian niemanden mehr hatte und ich einfach mal wieder etwas in Richtung Gefühle spüren wollte.", seufzte ich und lehnte mich zurück. „Das kann ich dir leider auch nicht beantworten. Du wirst es aber nur herausfinden, wenn du dich der Sache stellst. Ich kann dir die Entscheidung also nicht abnehmen, also am besten schläfst du jetzt erstmal die Nacht nochmal darüber und dann machst du dir in Ruhe Gedanken über deine Gefühle und Wünsche. Und sprich mit Emil darüber, er hat da sicher nochmal eine andere Sicht auf die Dinge, wenn er euch beide kennt.", sagte Lisa aufmunternd und griff nach meiner Hand. „Du hast recht. Ich bin einfach viel zu aufgewühlt und das Ganze ist noch viel zu frisch. Danke dir auf jeden Fall, dass ich dir mein Herz ausschütten konnte und du auch um die Uhrzeit noch ein offenes Ohr für mich hast. Ich weiß doch, dass du eigentlich um diese Uhrzeit sonst schon längst im Bett liegst.", sagte ich und zog sie in eine feste Umarmung. „Ach dafür sind Freunde doch da. Für dich würde ich auch Nachts noch aufstehen, dass weißt du.", sagte sie und strich mir sanft über den Rücken. „Ich hab dich lieb.", sagte ich. „Ich dich auch.", erwiderte Lisa. 

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: 3 hours ago ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

For evigt!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt