Kapitel 4

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Isabel

Grummelnd stopfte ich die dreckige Wäsche in die Trommel, goss etwas von dem flüssigen Waschmittel in das dafür vorhergesehene Fach und konnte es kaum erwarten, dass später alles so wunderbar nach Meeresbrise duftete. Jaxon schlief vermutlich noch immer, was mich nicht im Geringsten wurde, also entschloss ich mich dazu in die Küche zu gehen und die Schränke nach etwas Essbarem zu durchforsten, denn ich hatte es noch nicht geschafft zu frühstücken. Da meine Eltern heute schon früher losgefahren sind, als ich meine Augen überhaupt offen halten konnte, hatte ich meinen Vormittag damit verbracht die Hühner, Pferde, Katzen und unseren Hund zu füttern. Wenn ich es also noch vor Dreizehn Uhr schaffen wollte den Zaun zu reparieren, musste ich mich jetzt wirklich ranhalten. Nachdem ich mir eine Scheibe Weißbrot mit Schokocreme bestrichen hatte, hörte ich, wie Jaxons Zimmertür aufquietschte. Wach war er also schonmal. Tür auf. Tür zu. Badezimmerzür auf. Badezimmertür zu. Toilettenspülung. Wasserhahn. Lautes Gähnen. Und schon war er wieder in seiner Marihuana-Höhle verschwunden. Seufzend fuhr ich mir durchs Haar und öffnete Instagram, während ich Stück für Stück von meinem Brot kostete. Mona hatte eine neue Story hochgeladen, in der sie ihr Ipad fotografierte. Im Hintergrund war ein Hörsaal zu erkennen.

Prüfungsstress?

Tippte ich in die Nachrichtenzeile ein und verzierte meine Frage mit einem Äffchen-Emoji, der sich beide Augen zuhielt. Im Gegensatz zu mir, hatte meine beste Freundin ihr Studium nicht geschmissen, was auch der Grund war weshalb wir uns nicht mehr regelmäßig zu Gesicht bekamen. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es bereits Zehn war, also stopfte ich mir das letzte Stück Brot in den Mund, steckte mein Handy zurück in die Hosentasche und sprang vom Esstisch auf, um mich der Spülmaschine zu widmen. Diese gab nämlich in dieser Sekunde durch ein lautes Piepen zu erkennen, dass das Geschirr ausgeräumt und zurück in die Schränke und Schubladen einsortiert werden konnte. Mit schnellen Griffen fischte ich zuerst das Besteck aus dem Korb und warf es in die Schublade rechts neben dem Backofen, bevor ich mit den Tellern und Tassen widmete. Mehr stand heute auch nicht auf meinem Plan. Wäsche waschen, Spülmaschine ausräumen, ein Auge auf Jaxon haben, Badezimmer reinigen. Letzteres würde ich nachher erledigen, sobald der Weidezaun repariert war. Unglücklicherweise war ich so in Gedanken verloren, dass ich erst durch das Klirren eines zerbrochenen Trinkglases, welches mir eben aus der Hand gerutscht war, aus meinem tranceartigen Zustand erwachte. ,,Scheiße" fluchte ich und ging in die Hocke, um die Scherben aufzusammeln. Und wie es der Zufall natürlich so wollte, schnitt ich mir in die Hand. Direkt zwischen Daumen und Zeigefinger. Tief. Sehr tief. Es begann zu bluten. Ziemlich stark. ,,Fuck" hauchte ich und schnappte mir ein Küchentuch, um es auf die klaffende Wunde zu drücken. Sofort färbte der Stoff sich tiefrot und ich spürte, wie mir jegliche Farbe aus dem Gesicht wich. Jetzt blieb mir wohl keine andere Wahl, als unseren bösen Cop um Hilfe zu bitten. ,,Jaxon!" schrie ich völlig exzentrisch und lehnte mich mit dem Rücken an die Küchenzeile. ,,Jaxon!" wiederholte ich und atmete erleichtert aus, als sich seine Zimmertür öffnete. ,,Was gibt's, Jerry?" gab er belustigt zurück und ich verzog schmerzerfüllt das Gesicht. ,,Verdammt, komm her du Idiot!" keifte ich und presste anschließend meine Lippen fest aufeinander. Hat er mich gerade Jerry genannt?

,,Wow" stieß er aus, als er die Blutflecken auf dem Boden und dann das blutgetränkte Tuch an meiner Hand erblickte. Reflexartig wandt er seinen Blick ab und versteckte seine Augen hinter seiner Armbeuge. Sein anderer Arm lehnte gebeugt am Türrahmen, weshalb seine definierten Muskeln am Oberarm sichtlich zur Geltung kamen. Gut, dass ich gerade ganz andere Probleme hatte, als mich darauf zu konzentrieren. ,,Was zum Teufel hast du gemacht?" - ,,Ach, nichts Besonderes. Ich hab mir gedacht; Hey, wäre es nicht total cool sich heute mal den Daumen abzusäbeln?" Meine Stimme triefte vor Ironie. ,,Dein Finger ist ab?!" schrie er wie ein hysterisches Mädchen und ich stieß ein genervtes Stöhnen aus ,,Natürlich nicht zu Trottel! Ich hab mich an einer Scherbe geschnitten!" Jetzt war es Jaxon, der erleichtert aufatmete, sich aber offensichtlich immer noch nicht dazu aufraffen konnte, seinen Blick zu erheben. ,,Kannst du kein Blut sehen, oder was?" fragte ich nun etwas leiser und ohne Rücksicht vielleicht einen wunden Punkt bei ihm zu treffen. Der Braunhaarige ließ seinen Arm sinken, und ich konnte sehen, wie er versuchte, seinen Blick auf mir ruhen zulassen, jedoch immer wieder zum Parkett unter seinen Füßen abrutschte, als würde ich aussehen wie eine Person aus The Walking Dead, die ihn killen würde, sobald unsere Augenpaare aufeinander trafen. ,,Was auch immer. Pflaster sind in der obersten Schublade ganz rechts." Er machte auf dem Absatz kehrt, weshalb ich aufsprang, es aber sofort bereute, da ich zur Seite taumelte. ,,Hey!" rief ich ihm hinterher, weshalb sein Oberkörper sich im Flur nochmal zurücklehnte ,,Ich glaub...da hilft kein Pflaster mehr" nuschelte ich und versuchte die schwarzen Punkte vor meinen Augen zu ignorieren. ,,So schlimm?" hauchte er sanft und die Mauern, die seinen coolen, unnahbaren Gesichtsausdruck aufrecht hielten, drohten einzustürzen. Jaxon machte einen Schritt auf mich zu und seine Lippen, die sonst immer eine gerade Linie formten, um sein Desinteresse an Allem und Jedem zu verdeutliche, zuckten verdächtig nach unten. Seine angespannten Kiefermuskeln lockerten sich und seine eigentlich gerunzelte Stirn, warf plötzlich keine einzige Falte mehr.  Derweil schloss ich die Augen und suchte Halt am Türrahmen, damit ich nicht vor ihm auf den Boden sackte. ,,Jerry?" raunte seine tiefe Stimme und zwei starke Hände legten sich mich mittelmäßigem Druck um meine Oberarme. Große Hände. Starke Hände. Meine sabbernden Gedanken hätten das ,,Soll ich dich ins Krankenhaus fahren, Isabel?" fast übertönt. Noch nie hatte ich Jaxons Stimme so einfühlsam erlebt. Er wirkte plötzlich gar nicht mehr, als würde er jedem, der ihm blöd kam, direkt eine Faust ins Gesicht schlagen.

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