Kapitel 8

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Isabel

 

,,Guten Morgen" murmelte ich, während ich mich schlapp auf einen Stuhl am Esstisch fallen ließ. Mom lächelte mir schmal entgegen und ich runzelte die Stirn. Dad war noch nicht hier und als ich wenig später ein lautes Fluchen, gekoppelt mit einem lauten Klirren, aus dem Badezimmer hörte, verzog ich mein Gesicht. Unzerzüglich sprang meine Mutter auf und stieß dabei so hart gegen die Unterseite der Tischplatte, dass ihre Kaffeetasse gefährlich wackelte. Seufzend schob ich auch meinen Stuhl nach hinten und folge ihr den Flur entlang. Allein an ihrem Gesichtsausdruck, als ich die Küche betrat, machte ich aus, dass der Haussegen heute schief hing, denn ganz offensichtlich hatte Dad heute keinen guten Tag. ,,Ist alles in Ordnung, Schatz?", hörte ich Mom aus wenigen Metern Entfernung sagen. ,,Das ist doch alles eine verfluchte Scheiße!" erwiderte mein Vater raunend und ich zuckte kaum merklich zusammen, als ich mich an Mom vorbei ins Badezimmer schob. Auf dem Boden waren Blutspritzer zusehen und mein Blick heftete sich an die besprenkelten Fliesen, welche mich an meinen Unfall von vor ein paar Wochen erinnerten Auch wenn ich bisher keinem meiner Eltern ins Gesicht geschaut hatte, konnte ich im Augenwinkel ein paar hektische Bewegungen meiner Mutter wahrnehmen, die in meiner Magengegend ein flaues Gefühl verursachten.

Die Luft schwebte wie Blei über uns und meine Kehle schnürte sich zu, als mein Augenpaar langsam an meinem, auf der Badewannenkante sitzenden, Vater wanderte. Sein Gesicht war schmerzvoll verzogen, die Augen zu engen Schlitzen zusammengekniffen und die Stirn stark gerunzelt. Noch immer plapperte er dutzende Schimpfwörter vor sich hin, während Mom mich an den Schultern packte und nach draußen schob. ,,Was machst du? Ich kann helfen" murmelte ich verwirrt und gab mir Mühe, nicht zu stottern. Ich hasste es, wenn Dad einen schlechten Tag hatte. Seine schlechten Tage waren nicht mit den schlechten Tagen anderer Väter zu vergleichen. Zumindest nahm ich das an. Seit er aus dem Baum gefallen und die Bewegungsfähigkeit seines Armes verloren hatte, gab es bei ihm miese, etwas weniger miese, oder grottenschlechte Tage. Dieser Tag gehörte definitv zu Letzterem, dabei war es noch nicht einmal Neun Uhr. Es war nicht so, dass Dad sich im Selbstmitleid suhlte, weil er auf dem Hof nur noch gewisse Aufgaben übernehmen konnte, oder weil seine Behinderung uns in den vergangenen Monaten eine ziemlich große Summe an Geld gekostet hatte, doch er lächelte nicht mehr so häufig. Zugegeben, ich wusste nicht einmal, wann ich ihn das letzte mal hatte Lachen hören. So richtig aus voller Kehle. Oft spielte er uns etwas vor, das hatte ich in der letzten Zeit mehr als begriffen. Deshalb fiel es mir kaum schwerer seine miesen Tage zu ertragen, denn da war er einfach nur schlecht gelaunt, meckerte an allem herum und man wusste genau woran man bei ihm war. Viel grausamer waren seine vermeidlich "guten" Tage, die äußerst selten vorkamen und nichts anderes waren als eine grässliche Seifenoper, die einem das Herz rausrissen. Denn an jenen Tagen, wo Dad lächelte, beispielsweise an meinem, oder Moms Geburtstag, konnte man sich sicher sein, dass er sich anschließend heimlich in den Schlaf weinte. Gott, wie oft hatte ich ihn schon schluchzend im Schlafzimmer vorgefunden. Diese Anblicke waren die Messerstiche, die sich ohne Vorwarnung in die Brust von mir und meiner Mutter bohrten und ich hasste alles daran. Ich hasste es, dass dieser Unfall passiert war, ich hasste es dass meine Eltern beide darunter litten und ich hasste es noch viel mehr, dass ich nichts daran ändern konnte. ,,Du musst gleich zur Arbeit, Izzy. Ich fahre Dad zum Arzt. Der Schnitt ist ganz schön tief und sieht aus, als müsste er genäht werden." Schluckend ließ ich mich von ihr um die Ecke schieben, wo ich verzweifelt seufzte und langsam wieder in der Realität ankam. Mom wusste wovon sie sprach. Immerhin war sie Krankenschwester gewesen, bevor sie meinen Vater kennengelernt hatte. Für einen kurzen Moment lang überlegte ich, ob ich protestieren und darauf bestehen sollte, mitzufahren und mich bei den Wrights abzumelden, doch ich beließ es dabei. ,,Ach, und Izzy?" Auf dem Weg zur Küche machte ich eine schwungvolle Bewegung und blickte Mom in die Augen. Sie stützte Dad am gesunden Arm und flüchtig fuhr mein Blick zu seiner Hand, um die ein Handtuch gewickelt war. Er war so leichenblass, dass es mir Angst machte. Trotzdem versuchte ich zu lächeln. ,,Du weißt ja wie lange es manchmal in der Notaufnahme dauern kann. Würdest du heute die Aufgaben auf dem Hof übernehmen? Ich weiß, dass du bei den Wrights noch genug zutun hast, aber-" Meine Mutter sprach wie ein Wasserfall. Mit einer sanften Handbewegung wies ich ihr zu schweigen und nickte ihr beruhiged entgegen. ,,Mach dir um den Hof keine Sorgen. Ich räume den Tisch ab, fahre etwas früher zu den Wrights und regle das hier schon, Mom. Außerdem wollte Mona später vorbei kommen. Sie kann mir sicher auch zur Hand gehen." Im Vorbeigehen strich sie mir über die Schulter und ihr rechter Mundwinkel zuckte leicht nach oben. Mit ihrem Mund formte sie ein lautloses ,,Danke" und ich winkte ab. ,,Gute Besserung, Dad! Alles wird gut!" Rief ich noch, bevor die Haustür mit einen lauten Knall ins Schloss fiel. Ausgelaugt schlurfte ich in die Küche und trank mit geschlossenen Augen einen Schluck von Moms Kaffee, bevor ich alle Untensilien zurück in die passenden Vorrichtungen räumte und ins Bad schlich. Ich kehrte die Scherben von Dads Parfumfläsche zusammen, gegen die er offensichtlich gestoßen war und fuhr mit dem Wischmop hastig über die noch frischen Blutspuren, bevor ich mir die Zähne putzte und mich umzog. Für Schminke oder gestylte Haare hatte ich weder Lust, noch Zeit. Anschließend schnappte ich mir also meinen Autoschlüssel, tapste über den Hof in die Scheune, brachte Bruno und Lacy auf die Koppel und schrieb Mona noch rasch eine Nachricht, bevor ich zu den Wrights fuhr.

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