Isabel
Die letzten drei Tage hatte ich Jaxon kein einziges Mal zu Gesicht bekommen. Ich ging meinen Aufgaben im Haus der Wrights gewissenhaft nach, hakte diese sorgfältig auf der Liste am Kühlschrank ab, versagte jedoch seit Donnerstag tagtäglich an einem Pensum. Dem Wichtigsten. Ein Auge auf Jaxon haben. Rot unterlegt.
Seufzend räumte ich die Spülmaschine aus und war froh, dass meine Hand nicht mehr so stark schmerzte und sie, zwar noch gemindert, aber dennoch einsatzfähig war. Der Verband würde erst in ein paar Tagen bei einem Check-Up entfernt werden, doch das genügte mir.
Jedes Mal, wenn ich von der Küche ins Wohnzimmer ging, oder andersrum, glitt mein Blick die Wendeltreppe hoch und ich konnte nicht verhindern frustriert zu Seufzen. In der Regel sah und hörte ich von Jaxon seit dem Tag der Beerdigung keinen Ton mehr, außer das Öffnen seiner quietschenden Zimmertür, wenn er sich ins Bad schlich. Dieses Geräusch brachte mich ständig dazu jegliche meiner Arbeiten zu unterbrechen und in den Flur zu hechten, da ich hoffte, den Braunhaarigen wenigstens flüchtig scannen zu können. Fehlanzeige. Jedes beschissene Mal.
Am Freitag und Samstag hatte ich mir die Mühe gemacht, ihm etwas zu Essen vorbereitet und es vor seiner Tür abgestellt. So wie zuvor mit den Spaghetti und dem Zettel. Guten Appetit. Morgens probierte ich es mit einer Schüssel Müsli. Unberührt. Mittags bestellte ich uns jeweils eine Pizza beim Lieferservice. Mais und Hollandaise für mich. Margherita mit extra Käse für Jaxon. Ich vebrannte mit an meiner den Gaumen und...seine wurde kalt, was dazu führte, dass ich sie auch noch zusätzlich verspeiste und mich danach miserabel führte.
Die Versuche persönlich an Jaxon ranzukommen hatte ich also aufgegeben. Einzig und allein einen Zettel mit meiner Handynummer drauf schob ich ihm gerade unter dem Türspalt hindurch, als ich den oberen, schmalen Flur und die Stufen der Wendeltreppe gesaugt hatte. "Falls du reden willst" hatte ich unter der Zahlenfolge notiert und für einen Moment zögerte ich, darüher nachdenkend ob ich nicht doch einfach in seine Höhle platzen sollte. Mein Überlebensinstinkt hielt mich jedoch zurück. Immerhin war es erst ein paar Tage her, als mich fast ein Blumentopf am Kopf erwischt hatte.
,,Jaxon? Isabel? Wir sind Zuhause!" rief Helen von unten und ich löste meinen Blick von Jaxons Zimmertür, bevor ich zügig runter in den Eingangsbereich lief. Lächelnd sahen die Wrights mich an. Sofort breitete Helen die Arme aus und ich schlang meiner Arme um sie. Es fühlte sich gut an, dass sie und Marc zurück waren. So hatte ich zumindest das Gefühl nicht mehr ganz alleine mit den ganzen Problemen und Sorgen zu sein, welche sich in den vergangenen Tagen aufgetürmt hatten. Trotzdem war unsere Umarmung nur von kurzer Dauer, denn die Grauhaarige schob mich sanft an den Schultern zurück und ihr Blick flog auf meine verbundene Hand. Ihr Mund öffnete sich einen Spalt breit, doch ich fing sofort an zu erklären, bevor sie überhaupt die Möglichkeit hatte ihre Befürchtungen auszusprechen. ,,Kein Grund zur Sorge. Ich habe mich vor ein paar Tagen an einer Glasscherbe geschnitten. Es blutete zwar höllisch, aber Jaxon war so nett unf fuhr mit mir ins Krankenhaus. Wenn ich Glück habe ist der Verband in ein paar Tagen auch schon wieder runter", erklärte ich im Schnelldurchlauf und Helens Augen weiteten sich, während Marc die Reisetaschen der beiden durch den Flur, in das Schlafzimmer des Ehepaares trug. ,,Jaxon hat dich gefahren? Ins Krankenhaus?" hauchte sie unglaubwürdig und ihr Blick lag auf mir, als hätte sie die Vermutung, dass ich log. Ich vertsand, dass diese Information für sie wahrscheinlich erstmal absurd klang, weil sie inbegriff, dass ihr Enkel das Zimmer verlassen haben musste, doch Helen tat so, als wäre das Achte Weltwunder geschehen. In ihren eigenen Vier Wänden. ,,Das" fing sie an und ließ sich in ihren weichen Couchsessel plumsen ,,ist wunderbar", schloss sie lächelnd und ihr stolzer Blick löste ein flaues Gefühl in meiner Magengegend aus. Helen wirkte so überglücklich und erleichtert darüber, dass Jaxon sich langsam zu fangen schien, dass ich keine Schimmer hatte wie zum Teufel ich ihr beibringen sollte, dass er einen gewaltigen Rückschritt gemacht hatte, seit Tagen nur noch zum Pinkeln das Zimmer verließ und nichts aß. Zumindest nicht während meiner Anwesenheit. Leider war ich noch nie gut im Verstecken meiner Emotionen und ein Pokerface besaß ich schon gleich drei Mal nicht, was unverzüglich dazu führte, dass Helen meine entglittenen Gesichtszüge binnen weniger Sekunde bemerkte. ,,Geht es dir wirklich gut, Liebes? Du wirkst so" die Grauhaarige suchte nach dem passenden Ausdruck und entschied sich schlussendlich für ,,bedrückt." Seufzend warf ich den Kopf nach hinten, raufte mir die Haare und konnte nicht verhindern, dass meine Augen ein weiters mal herumfuhren, um sich auf Jaxons verschlossene Tür zu heften. Wenn Helen allein durch das Verrutschen meiner Mundwinkel schon ahnte, dass mir etwas auf dem Herzen lag, machte es dann wirklich Sinn zu versuchen ihr eine Lüge aufzutischen, nur um sie nicht zu beunruhigen? ,,Es ist wirklich alles in Ordnung, Helen. Wie war euer kleiner Urlaub? Habt ihr die Zeit an der Küste genossen?" Ein Versuch ist es Wert. Schmunzelnd erhob Helen sich aus ihrem Sessel, stellte sich vor mich und griff sanft nach meiner Hand. ,,Der Urlaub war wunderbar. Marc und ich haben die Zeit am Wasser wirklich genossen. Du hingegen siehst so aus, als hättest du ein Verbrechen beobachtet und würdest jeden Moment zusammenbrechen, weil du denkst, du müsstest schweigen." So schlimm sah ich aus? Oh. Weil ich immer noch nicht wirklich mit der Sprache rausrücken wollte, nickte Miss Wright in Richtung Küche und ich folgte ihr schnurstracks. Ihr Zeigefinger deklarierte auf einen Stuhl am Esstisch und ich nahm Platz. Helen stellte die Kaffemaschine an, goss sich und mir etwas in einer Tasse, schob mir das Getränk direkt vor die Nase und nahm anschließend gegenüber von mir Platz. ,,Also, Liebes. Wo drückt der Schuh?", fragte sie sanft und ich holte tief Luft. ,,Es geht um Jaxon" murmelte ich und Helen quittierte meine Aussage mit einem Nicken. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich kein Bisschen, als hätte sie mit bereits mit dieser Art von Antwort gerechnet. ,,Was ist passiert?" wollte sie wissen und kniff ihre Augen zu kleinen Schlitzen zusammen, da sie offenbar spürte, wie schwer es mir fiel darüber zu berichten. ,,Vor ein paar Tagen da" fing ich an und unterbrach mich selbst, um in meine Kaffeetasse zu pusten ,,hatte er einen Freund zu Besuch. Nicolas hieß er. Blond, groß, kräftig gebaut", beschrieb ich den ehemaligen Arbeitskollegen und sah, wie sich ein Lächeln auf ihre Lippen schlich, als ich von Nicolas erzählte. ,,Nicolas Evans" brummte sie und trank einen Schluck ,,Er und Jaxon haben sich während ihrer Ausbildungszeit kennengelernt und wurden gute Freunde." Helen kannte den Blonden also. Das war sicher ein gutes Zeichen. ,,Was wollte er hier? Er kommt nicht mehr oft her, seit-" Helen stockte, als ob sie kurz davor war etwas Verbotenes auszuplappern. Ich fuhr kommentarlos fort. ,,Zuerst wollte Jaxon nicht so richtig mit der Sprache rausrücken, aber dann hat er mir irgendwann gebeichtet, dass Nicolas ihm bloß mitteilen wollte, dass sein Ausbilder bei einer Schießerei tödlich verunglückt ist." Nun trank ich einen Schluck, um meine trockene Kehle zu befeuchten. Helen schloss die Augen, fuhr mit den Händen ein Kreuz auf ihrem Körper nach und sprach betende Worte zum Himmel hinauf. ,,Du weißt sicher, dass du dir etwas darauf einbilden kannst, dass Jaxon dir so etwas anvertraut hat, Liebes?" Schulternzuckend ruhte mein Blick auf der Großmutter des Braunhaarigen. ,,Seit er nicht mehr arbeitet hat er sich total verschlossen und du bist keine ganze Woche hier und schon spricht er mit dir über...so etwas." Wenn Helen das so sagte, musste wohl etwas dran sein, oder? Aber warum schloss er sich dann seit Tagen ein?
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TRUST ME AT THE COUNTRY SIDE
Teen FictionSie braucht dringend einen neuen Job. Ein älteres Ehepaar gibt ihr eine Chance. Und dann beginnt das Chaos. Isabel trifft auf Jaxon, den unzufriedenen, verschlossenen Enkelsohn ihrer neuen Arbeitgeber. Eigentlich hat sie aus ihrer letzten Beziehung...