Mona
Mit schweren Gliedern sackte ich auf einen Barhocker und legte meinen Oberkörper auf dem hölzernen Tresen ab, der an viel zu vielen Stellen klebte. Ich verzog angewidert das Gesicht und wollte gar nicht wissen welche Flüssigkeiten jetzt an meinen Unterarmen hafteten, bevor ich mein Smartphone aus der Hosentasche zog und für Isabel und mich ein neues Taxi bestellte. Der Club war zwar so groß und gut besucht, dass wir sicher nur hätten rausgehen müssen, um ein freies Taxi zu erwischen, doch darauf wollte ich mich nicht festnageln. Als ich meinen Job erledigt hatte, stieß ich ein erschöpftes Seufzen aus und fummelte ungeschickt an meinem Handgelenk rum, bis ich das schwarze Haargummi greifen konnte, um mir meine blonden Haare zu einem unordentlichen Dutt hochzubinden. Unsere wilden Tanzeinlagen waren wirklich schweißtreibend gewesen und die stickige Luft, aufgrund der Fehlenden Fenster und der dämlichen Nebelmaschine, taten ihr Übriges. Ich wusste wirklich nicht welche Idioten das Studentenleben immer so romantisierten und ständig nur davon sprachen wie cool es war sich jedes Wochenende auf Partys rumzutreiben. Meine Wenigkeit nahm ihr Studium dann wohl eine Spur zu Ernst, denn ich war während meiner gesamten Zeit an der an der University of Idaho geschlagene drei Mal Feiern gewesen. Ein Mal auf einer Verbindungsparty, nochmal auf einer Verbindungsparty-Zwei-Punkt-Null und auf einer Fete der Master-Studenten, zu der meine Ex-Mitbewohnerin Toni mich mitgeschleppt hatte. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen verkatert eine Vorlesung, geschweige denn ein Seminar zu besuchen. Entweder würde ich einpennen und rausgeworfen werden, oder mein Tablet vollkotzen. Deshalb ließ ich es in der Regel ganz bleiben, aber was tat man nicht alles für seine beste Freundin. Sie machte wirklich eine beschissene Zeit durch und ich wollte alles in meiner Macht stehende tun, damit sie nicht in dasselbe Loch fiel, welches das Arschloch von Kyle ihr damals gegraben hatte.
Im Augenwinkel sah ich, wie jemand einen Shot nach dem Anderen reinkippte. Mein Kopf fuhr herum, etwas zu hastig denn mir wurde augenblicklich schwindelig, und ich scannte die Person ab. Auf den ersten Blick wirkte der Typ etwas älter als ich, nicht viel, aber ein wenig. Er hatte einen leichten Drei-Tage-Bart, blondes Haar und sein Oberkörper steckte in einem dunkelblauen Poloshirt von Lacoste. Er schien durchtrainiert zu sein, denn ich konnte seine Bauchmuskeln sogar von der Seite erkennen. Sie zeichneten sich ganz sanft am Stoff seines Shirts ab. Danach glitt mein Blick wieder so weit nach Oben, dass ich sein Gesicht genauer untersuchen konnte. Seine Kieferknochen waren markant, dass man mit ihnen hätte Steine schneiden können. Der Kerl fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht, bevor er noch einen Drink runterkippte. ,,Schlechter Tag?“ flötete ich und rückte etwas näher an ihn heran. Bis eben hatte noch ein leerer Barhocker zwischen uns gestanden, doch diesen Abstand hatte ich soeben überbrückt. ,,Kann man so sagen“ knurrte er und seine Augen wurden rabenschwarz. Fast hätte ich vor Schreck scharf die Luft eingesogen, doch ich war so betrunken, dass mich heute sicher nichts mehr aus den Latschen hauen würde. Je länger ich den Kerl anschaute, desto mehr glaubte ich daran ihn schon mal irgendwo gesehen zu haben. Allerdings verwarf ich diesen Gedanken schnell wieder. Ich meine, wie oft kam es vor, dass man irgendjemanden sah und ihn mit irgendjemandem verglich, weil man dachte, es wäre eine ganz bestimmte Person, dabei war das totaler Blödsinn? ,,Und du? Alleine hier?“ Er schob mir einen Shot rüber, den ich dankend annahm und sofort runterkippte. Bist du blöd? Er hätte dir auch was reingemischt haben können! So dicht war ich also schon und hatte die Grenze, keine Drinks von fremden Typen annehmen, egal wie nett sie aussahen, abgebaut. ,,Ich warte auf meine Freundin. Sie ist nur kurz zur Toilette.“ Der mysteriöse Mann, den ich glaubte zu kennen, aber in keine Schublade stecken konnte, weil mein Kopf dazu nicht mehr in der Lage war, nickte bloß und bestellte sich noch einen Drink, der ihm schneller auf den Tresen gedonnert wurde, als ich gucken konnte. Er umklammerte das Whiskey-Glas so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten und ich legte meine Stirn in Falten. ,,Muss ein ziemlich mieser Tag gewesen sein, was?“ - ,,War‘ auf ner‘ Beerdigung, Stress mit meinem Bruder, noch mehr Stress auf der Arbeit“ Seine Stimme wurde immer tiefer und ich hatte das Bedürfnis ihm eine Hand auf den Rücken zu legen, doch wahrscheinlich wäre ich vom Hocker gefallen, sobald ich mich auch nur einen Zentimeter weiter vorgebeugt hätte. ,,Scheiße“ erwiderte ich ,,Was arbeitest du?“ fügte ich noch hinten an, während er mir wieder ein Pinnchen mit Schnaps rüberschob und ,,Anwalt“ murmelte. Er fuhr sich durch die zerzauste Frisur und ich exte den Shot. ,,Ich bin übrigens Mona, guten Abend Herr Anwalt“, witzelte ich und wollte mich am liebsten selbst dafür ohrfeigen. Nicht lustig. Einfach nur peinlich. ,,Henry“ Seine Mundwinkel zuckten leicht nach oben, was ich als Mini-Erfolg verbuchte. ,,Ist deine Freundin wirklich so lange auf dem Klo, oder hast du das bloß erfunden, um nicht zugeben zu müssen, dass der Typ mit dem du hier bist dich hat sitzen lassen?“ Henry lallte ein wenig, doch ich war mir nicht sicher, ob ich besser klang. ,,Du denkst echt, dass mich jemand sitzen lassen würde?“ Zugegeben, das klang arrogant, aber er hatte keine nettere Antwort verdient. ,,Schlagfertig. Gefällt mir.“ Augenblicklich schoss mir die Röte ins Gesicht, jedoch schob ich es auf den Alkohol und nicht auf Henrys tiefe Stimme, die in der Menschenmenge beinahe klang wie ein sanftes Hauchen. Mein Blick fuhr herum, als ich den Blondschopf erspähte, den ich aus hundert Metern Entfernung erkennen würde. Auch betrunken. Immer. ,,Wenn man vom Teufel spricht“ lachte ich und hob den Zeigefinger ,,Das ist sie!“ Henry drehte sich um und zog die Stirn kraus, als meine beste Freundin nicht zu mir an die Bar bog, sondern völlig durch den Wind, zum Ausgang stürmte. ,,Die hat’s aber eilig?“ stellte Henry fragend fest, weshalb ich vom Barhocker aufsprang und kurz zur Seite taumelte. Verdammter Alkohol. Meine Stirn pochte bereits jetzt und ich hatte Angst vor dem kommenden Tag. ,,Da… muss ich hinterher!“ quietschte ich und kämpfte mich durch die Menschenmenge auf der Tanzfläche, da der DJ gerade wieder hinter sein Pult trat und die Gäste offensichtlich sehnsüchtig darauf warteten weiter herum zu zappeln. ,,Izzy! Wo willst du hin?!“ schrie ich ihr nach, als ich durch den Ausgang hindurch ging und die kalte Nachtluft mir ins Gesicht peitschte. Doch die Braunhaarige reagierte überhaupt nicht. Sie lief vollkommen unkoordiniert weiter. ,,Ist alles okay mit ihr?“ Plötzlich stand Henry hinter mir und ich war froh nicht allein zu sein, da in mir langsam aber sicher Überforderung empor stieg. ,,I-Ich w-weiß nicht.“ Ich ging ein paar Schritte auf sie zu, dicht gefolgt von dem jungen Anwalt, mit dem ich eben noch Shots gekippt hatte. ,,Izzy!“ Sie presste sich die Hände auf die Ohren und lief in Schlangenlinien immer weiter geradeaus. Mein Herz pochte wie wild. Bumm, Bumm, Bumm. ,,Scheiße“ fluchte Henry plötzlich und machte einen Satz nach vorne ,,Hey! Stopp!“ Mein Kopf fuhr zur Seite und mir wurde kotzübel, als ich das gelbe Taxi anrauschen sah. Fuck. Nein, nein, nein, nein. ,,Izzy! Stopp!“ schrie ich aus voller Kehle, doch da war es bereits zu spät. Der Fahrer des Taxis versuchte noch zu bremsen, doch er erwischte meine beste Freundin frontal. Sie krachte auf die Motorhaube bevor sie ein paar Meter über den Boden schlidderte. Ich wusste nicht ob der laute Knall von ihrem Körper kam, der auf dem Asphalt aufprallte, oder vom Fahrerairbag des Wagens. Einen Wimpernschlag später raffte ich mich auf und rannte, so gut ich eben konnte, zu meiner besten Freundin. Drei Schritte vor, einen zurück. Verdammt. ,,Izzy“ hauchte ich und fing sofort an zu heulen. Es roch nach verbranntem Gummi und Blut, weshalb ich trocken würgte, aber mich darum kümmerte ihre Vitalwerte zu überprüfen. ,,Atmet sie?“ fragte der Taxifahrer, als ich mein Ohr über ihren Mund hielt. Ich hörte nichts. Panisch legte ich meine Hand auf ihren Bauch. Er senkte und hob sich ganz schwach, aber er tat es. ,,Es tut mir so leid, ich hab sie erst im letzten Moment gesehen!“ Ich ignorierte die Aussage des Mannes und grabschte stattdessen in meiner Hosentasche herum, um mein Handy heraus zu fischen. Jedoch zitterte ich so sehr, dass ich es nicht einmal schaffte die Notruftaste zu drücken. ,,Gib schon her. Ich mach das“ sagte Henry sanft und streckte seine Hand aus. Wortlos legte ich mein Smartphone hinein und checkte Isabel nach weiteren Verletzungen ab. An ihrer Stirn war eine Platzwunde und in ihren Beinen steckten ein paar Scherben, die vermutlich von dem kaputten Scheinwerfer des Taxis stammten. Mein Magen drehte sich um und ich griff instinktiv nach ihrer Hand. Ich hatte das Gefühl, dass ich auf einen Schlag wieder nüchtern war. Ein weiterer Kontrollblick baute den Rest meiner Besorgnis ab, irgendwelche von Isabels Gliedmaßen könnten in Richtungen abstehen, in die sie besser nicht abstehen sollten. ,,Der Rettungswagen kommt“ hauchte Henry und legte einen Arm um mich. ,,Deine beste Freundin?“ hakte er nach und ich wusste, dass er mich ablenken wollte, worüber ich ausgesprochen dankbar war, obwohl ich es nichts aussprach. Ich nickte ,,Sie darf nicht sterben.“ - ,,Wird sie nicht. So darfst du gar nicht denken.“ Henry war sicher ein guter Anwalt, denn er schien mir auch ein guter Mensch zu sein. Doch noch bevor ich mich weiter mit ihm unterhalten konnte, durchzog mich ein Blitz, der mich auf den Boden der Tatsachen zurück holte. ,,Fuck“ hauchte ich und stand auf. Ich konnte nicht still sitzen, also lief ich nervös ajf und ab. ,,Ich muss ihre Eltern anrufen. Und Jaxon Bescheid geben“ plapperte ich zu mir selbst, bis Henry mich an den Schultern fixierte. Ich blieb stehen. ,,Hast du gerade Jaxon gesagt?“ Ich schüttelte den Kopf, weil ich mich erinnerte ,,Du hast Recht. Sie sind gar nicht mehr zusammen. Er braucht es nicht erfahren. Oder doch? Gott, was mache ich denn jetzt?“ Gerade rauschte der Krankenwagen an und Sanitäter rückten aus, während Henry mich fragte ,,Von welchem Jaxon reden wir hier, Mona?“ - ,,Jaxon Wright? Wieso? Kennst du ihn?“ Meinem Gegenüber entglitten alle Gesichtszüge und wäre er nicht schon totenblass gewesen, hätte ich spätestens jetzt Angst um sein Wohlbefinden bekommen. ,,Er ist…mein Bruder“ hauchte er erstickt und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich hatte Henry tatsächlich schon einmal gesehen. Auf der Beerdigung. War auf ner Beerdigung, Stress mit meinem Bruder… Oh Gott! ,,Wir nehmen sie mit ins Krankenhaus, wir müssen sie komplett durchchecken, um sicherzugehen, dass keine inneren Verletzungen vorliegen.“ Ich nickte wie paralysiert auf die Worte des Sanitäters, bevor sie meine beste Freundin auf eine Trage packten und in den hinteren Abteil des Rettungswagen schoben. ,,I-Ich muss ihre Eltern anrufen“ hauchte ich unter Tränen und Henry nickte, mir sanft über die Schulter streichelnd. ,,Tu das. Und mach dir keine Gedanken um Jaxon, das regle ich. Keine Sorge.“ Ich schenkte dem Anwalt ein dankbares, schmales Lächeln und tätigte anschließend den wohl schwersten Anruf der Menschheit. Izzys Mutter brach noch am Telefon zusammen, weshalb mir ebenfalls die Tränen über die Wangen rannen und gar nicht mehr aufhören wollten, bis… meine Trauer in Wut umschlug. Ich sah zwei Polizisten, die gerade einen zappelnden, kleinen Wichser abtransportierten. Egal wie betrunken ich war, diese Fresse erkannte ich über all. Sofort zählte ich Eins und Eins zusammen. ,,Was hast du ihr angetan?!“ schrie ich und stapfte so schnell auf Kyle zu, dass Henry fast gestolpert wäre, als er mich am Arm packen und aufhalten wollte. Nicht schnell genug, Herr Anwalt. ,,Ich hab ihn dabei erwischt wie er deine Freundin dazu zwingen wollte ihm den Schwanz zu lutschen. Widerlicher Kerl.“ Mein Blick fuhr zu der Barkeeperin herum, die uns vorhin den besten Long Island Ice Tea der Welt gemixt hatte. Mein Kinnlade fiel beinahe auf den Boden. ,,Ich werde dir eigenhändig deine Eier abschneiden und sie dir ins Maul stopfen, du verdammter Mistkerl!“ Als ich auf Kyle losgehen wollte, packte Henry mich an der Hüfte und ich zappelte in seinen Armen herum. Verdammt, er hatte Kraft. ,,Lass mich los!“ - ,,Beruhig dich. Das hilft gerade niemandem weiter. Karma regelt das schon, glaub mir. Gib mir seinen Namen und ich werde sehen, was ich tun kann.“ Den letzten Teil flüsterte er so leise, dass nur ich ihn hören konnte. Dass lies er mich runter und ich blickte ihm wie paralysiert in die Augen. ,,Kyle Harper.“ Henry nickte und grinste verschmitzt. ,,Und jetzt komm, ich ruf uns ein Taxi.“
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TRUST ME AT THE COUNTRY SIDE
Teen FictionSie braucht dringend einen neuen Job. Ein älteres Ehepaar gibt ihr eine Chance. Und dann beginnt das Chaos. Isabel trifft auf Jaxon, den unzufriedenen, verschlossenen Enkelsohn ihrer neuen Arbeitgeber. Eigentlich hat sie aus ihrer letzten Beziehung...