Jaxon
So schmeckte also die Hölle. Bitter, stechend, brennend. Ein saurer Belag lag auf meiner Zunge und ich versuchte ihn mit einem Schluck aus meinem grauen Flachmann zu übertönen. Dabei fühlte es sich so an, als würde jeder Zug nur eine weitere Schicht an Bitterkeit hinzufügen. Nicht mal an der Beerdigung deines Vaters schaffst du es nüchtern zu bleiben. Idiot. Fast hätte ich über die Ironie des Schicksals gelacht. Mein Vater starb an einer Überdosis Alkohol und ich kippte mir das brennende Zeug, die ihm den letzten Stoß verpasst hatte, die Kehle runter, als wäre es Wasser. Ich wünschte es wäre Wasser. Und ich wünschte, ich hätte mich inzwischen nicht schon so sehr an den Geschmack gewöhnt, dass es wie Wasser schmeckte. Ich wusste, dass es ein Problem war, wenn man Schnaps und Wasser nicht mehr voneinander unterscheiden konnte und das Indiz dafür nicht die Farbe war, sondern die Reaktion der eigenen Geschmacksknospen. Es machte mir Angst wie sehr ich in den vergangenen Tagen abgestumpft war und fragte mich, ob es meinem Vater in seinen letzten Stunden auch so ergangen war. Vielleicht hatte er sich ja gar nicht tot saufen wollen, sondern einfach nur Schnaps mit Wasser verwechselt, weil er den Unterschied nicht mehr wahrnahm. Ein Schmunzeln schob sich auf meine Lippen, bevor eine Träne über meine Wange rann. Hastig wischte ich sie weg und mein ironisches Grinsen wurde breiter. Es war witzig, wie sehr es mich kümmerte, dass ich mich jemand hätte weinen sehen können, dabei war dieses Szenario absolut absurd. Immerhin stand ich weit entfernt von der Leichenhalle, hinter einem Busch und zwischen mehreren Bäumen des Friedhofswaldes. So weit entfernt, dass niemand mich bemerkte, aber dennoch so nah dran, dass ich ausreichend sehen konnte. Der Rest meiner Familie, sprich Henry und meine Mutter, hatten mir deutlich klar gemacht, dass ich auf der Beerdigung meines Vaters nicht erwünscht war. Helen und Marc hatten lange, im Grunde ziemlich überzeugende, Reden geschwungen, um sie vom Gegenteil umzustimmen, doch besonders Mom war standhaft geblieben. Vielleicht war es besser so. Auch, wenn ich mir nicht vorstellen konnte, dass viele Gäste Abschied von meinem Vater nahmen, da er in den letzten Jahren nicht wirklich unter Leute gegangen war, glaubte ich zumindest, fühlte es sich sicherer an, wenn ich, als indirekt Schuldiger, nicht mitten im Geschehen dabei war.
Als ein paar leise Glocken ein trauriges Lied klimperten, taumelte ich kurz uur Seite und meine Hand wanderte automatisch zu der Innentasche meines schwarzen Sakkos, in der sich mein Flachmann befand. Ich drehte den Deckel mit zittrigen Fingern ab und kippte die Flüssigkeit so hastig runter, dass ich für einen kurzen Moment das Gesicht verzog. Die Türen der Kapelle öffneten sich mit einem lauten Knarzen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich war mir nicht sicher, ob ich den gesamten Prozess durchstehen würde, ohne ohnmächtig zu werden. Ich hatte es mit dem Alkohol schon relativ weit gebracht und meine Gefühle betäubt, doch der Rest, der sich in mir zusammenzog, als ich die Sargträger sah, wie sie meinen Vater in einem weißen Holzkasten nach draußen trugen, würde vermutlich erst dann Ruhe geben, wenn meine Lichter ausgingen und ich umfiel. Reiß dich zusammen. Auch wenn Dad mich immer behandelt hatte wie einen Aussätzigen, war er trotzdem noch mein Vater und es tat verflucht weh ihn nie wiederzusehen. Bei dem Gedanken daran, dass unsere letzte Begegnung jene gewesen war, die im Krankenhaus geendet hatte, weil er da schon beinahe über die Strenge geschlagen hatte, wurde mir schlecht. Die Schlinge um meinen Hals schnürte sich zu, als ich meine Mutter sah, die von Henry gestützt wurde, weil sie sonst, zweifelsohne, sofort auf den harten Asphalt gekracht wäre. Sie trug eine schwarze Strumpfhose, darüber ein schwarzes Etuikleid und einen Reif im Haar, an dem ein schwarzer Schleier befestigt war, welcher ihr halbes Gesicht verdeckte. Ihre Schultern bebten, nein, ihr ganzer Körper schien von einem Erdbeben geschüttelt zu werden. Meine Schuld. Ich trank noch einen Schluck und Wärme stieg in meinem Körper empor, bis meine Gedanken etwas leichter wurden. Auch, wenn ich es nie gut fand, dass Dad so viel getrunken hatte, irgendwie verstand ich ihn. Es war nicht richtig, doch es war ein gutes Mittel um unangenehme Gefühle auszublenden. Es bekämpfte zwar nur die Symptome und nicht die Ursache, doch das war mir schnell egal geworden. Henry hielt unsere Mutter fest im Griff und ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn ich zu ihrer Linken lief und sie ebenfalls stützen würde. Wie eine normale Familie. Aus meiner Kehle entfernte sich ein stummes Lachen, das mehr wie ein Krächzen klang. Statt mit meiner Familie um den Verlust eines geliebten Menschen zu trauern, kauerte ich Zehn Meter entfernt in einem Busch und sah dabei zu, wie mein Vater zu Grabe getragen wurde. Ich hatte niemanden, der mich in den Arm nahm und mir gut zuredete, nicht dass ich es zulassen würde, dafür hatte ich den Alkohol, der mich mit Wärme flutete. Helen und Marc liefen staksig hinter meiner Mitter und Henry her. Grandma wischte sich mit einem Taschentuch über die Augen und Marc hatte einen Arm auf ihrem Rücken abgelegt. Dann sah ich Ben, einen alten Freund von Dad, mit dem er früher öfter Football geschaut hatte. Ich verzog meinen Mund zu einem schiefen Lächeln. Ben mochte mich immer etwas mehr als meinen Bruder, das hatte er mir in einer ruhigen Minute mal gesagt, als wir zu einer Pizzeria gefahren sind, um Essen für ihn und Dad abzuholen. Er hielt Henry immer für einen kleinen Klugscheißer, doch das sollte ich für mich behalten. Dann hatte er mir die Cap vom Kopf bezogen und mir die Frisur mit den Fingern zerzaust. Hinter Ben lief Nicolas in Trauerkleidung, gefolgt von Natalie. Sie trug ein schwarzes Kleid, welches durch die sanfte Brise leicht nach hinten wehte. Ich würde Nicolas bald ein Bier ausgeben, wenn ich wieder auf dem Damm war, so viel war sicher. Hinter meinen Freunden tummelten sich noch drei Leute, worunter einer der alte Chef meines Vaters war, bevor mein Blick schließlich am Ende der Schlange kleben blieb und mir der Atem stockte. Das braune, leicht gewellte Haare. Isabel. Sie war da. Mein Herz machte einen schwerfälligen Sprung, bevor es schmerzvoll krampfte, da mir in den Kopf schoss, wie sehr ich die Sache mit uns vermasselt hatte. Ich liebte sie, doch das mit uns stand unter keinem guten Stern. Leider Gottes. Bis vor ein paar Tagen hatte ich noch daran geglaubt, dass das mit uns eine gute Idee war, doch dann starb mein Vater und ich erinnerte mich wieder daran, was für ein Mensch ich war. Alles, was ich anfasste ging irgendwann zu Bruch und das konnte ich ihr einfach nicht antun. Neben ihr lief Mona und hielt ihre Hand. Als hätte sie gewusst, dass ich an sie dachte, schwenkte ihr Kopf zur Seite und unsere Blicke trafen sich für einen Moment. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich daran zu flüchten, doch ich zog noch einmal an meinem Flachmann und konzentrierte mich auf das Wesentliche. Ich würde nicht den Schwanz einziehen, nur weil Isabel hier war und mein Herz drohte in Tausend winzige Einzelteile zu zerspringen, weil ich den Schmerz in ihren Augen sah, der sicher nichts mit der Beerdigung zu tun hatte. Sie war meinetwegen so niedergeschlagen. Ihr Licht, was meine Tage sonst immer erhellt hatte war erloschen. Wegen mir. Alles wegen mir. Der Pastor sprach ein langes Gebet, bevor der Sarg in die Erde gelassen wurde. Ich verdrückte ein paar stumme Tränen, verzog dabei jedoch meine Miene. Stattdessen legte ich eine Hand auf die Stelle meiner Brust, an der ich glaubte, dass mein Herz dort war und wiederholte die Worte ,,Es tut mir so leid, Dad“ in Dauerschleife.
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TRUST ME AT THE COUNTRY SIDE
Teen FictionSie braucht dringend einen neuen Job. Ein älteres Ehepaar gibt ihr eine Chance. Und dann beginnt das Chaos. Isabel trifft auf Jaxon, den unzufriedenen, verschlossenen Enkelsohn ihrer neuen Arbeitgeber. Eigentlich hat sie aus ihrer letzten Beziehung...