Isabel
Es war wirklich nicht leicht mit einem Tränenschleier vor den Augen den richtigen Weg nach Hause zu finden und das Auto in den Kurven so in der Spur zuhalten, dass man nicht aus ihr zu fliegen drohte. Zwischenzeitlich hatte ich mir nicht sehnlicher gewünscht als einen Baum, vor den ich steuern konnte, auch wenn das ziemlich radikal klang. Der Schmerz, der sich um mein Herz schlang wie eine Klaue aus Eispickeln, sollte nachlassen und mich nicht weiter quälen, doch tief im Inneren war mir bewusst, dass es Wochen, wenn nicht sogar Monate in Anspruch nehmen würde, bis ich mich besser fühlte. Wir sprachen hier nicht von Zehn Prozent, die Jaxon mir aus dem Körper gesaugt hatte wie ein Vampir. Es waren Minimum Achtzig. Also schleppte ich die letzten Zwanzig Prozent meiner Selbst durch die Haustür, kickte mit lustlos die Schuhe von den Füßen und schlurfte die Treppe rauf. Ich wollte einfach nur in mein Zimmer, mir traurige Ed Sheeran Songs anhören und mein Gesicht in einem Berg aus Kissen vergraben, die all meine Tränen aufsaugten. Meine Lunge brannte und ich hatte einen säuerlichen Geschmack im Mund. Er ist wie Kyle. Du warst nur ein Zeitvertreib. Er spricht lieber mit seiner Ex über seine Probleme, als mit dir. Du bist so dumm und naiv. Mit diesen Gedanken sank ich in meinen Sessel und starrte wie betäubt auf mein Bücherregal. Plötzlich kam mir alles so nutzlos vor. Ich konnte mir nicht vorstellen einen Roman zwischen meine Finger zu nehmen, durch die Seiten zu blättern und dabei Glück zu empfinden. Jahrelang wünschte ich mir eine Liebesgeschichte wie in den Büchern, die ich ständig las. Ehrlich, aufrichtig, tiefsinnig und langlebig. Ich wollte der Charakter in einem Roman sein, der ein Happy-End mit ihrem Traumprinzen durchlebte. Stattdessen befand ich mich in einem schlechten Krimi, der nicht enden wollte. Andauernd neue Überraschungen, die mich schaudern ließen. Ich mochte weder Krimis, doch Dramen, oder Horrorgeschichten und doch hatte ich das Gefühl eine Mischung aus diesen drei Genres zu durchleben. Wie ironisch. Man bekommt im Leben eben nicht das, was man sich wünscht. Das Leben ist brutal, check das endlich.
Ein leises Miauen sorgte dafür, dass mein Körper kaum merklich zuckte und mein Kopf fuhr wie ferngesteuert zur Seite. Socke tapste in diesen Moment durch die Tür und kam zielgerichtet auf mich zu. Noch bevor ich es schaffte mich zu ihr runter zu beugen, schnurrte sie mir schon um die Beine. Ich fühlte mich wie der letzte Mensch, weil ihre Geste mich absolut kalt ließ und nicht einmal meine Mundwinkel zum Zucken brachte. Ich meine, wie gefühllos musste man sein, damit es einem am Arsch vorbei ging, wenn ein kleines, flauschiges Kätzchen versuchte aufmunternd zu wirken? Ein weiterer Schlag ins Gesicht und mir wurde nochmal ganz deutlich bewusst, welche Wirkung Jaxon auf mich gehabt hatte. Ich würde für die kommenden Wochen ziemlich sicher nicht mehr sein als eine leere Hülle. ,,Izzy?“ Die Stimme meiner Mutter ertönte und ich sah, wie sie ihren Kopf durch den offenen Türspalt steckte, den Socke eben verursacht hatte. ,,Hm?“ Mehr brachte ich nicht zustande. Keine Lust für große Worte. Ich war so lustlos, dass ich Angst hatte das Blinzeln, oder Atmen zu vergessen. ,,Kann ich reinkommen?“ Wenn sie jetzt wieder versuchen wollte mit mir über Kyle zu sprechen, würde ich ziemlich sicher durchdrehen. Ich wollte gerade überhaupt nicht reden und schon gar nicht über diesen Idioten. Wobei Jaxon auch nicht viel weiter davon entfernt war sich als solcher zu schimpfen. Er ist wie Kyle. Du war bloß ein Zeitvertreib. Ich war wirklich dumm zu denken, dass ich mit einer blonden Polizistin mithalten konnte, mit der Jaxon deutlich mehr Gemeinsamkeiten hatte. Dummes, naives Ding. ,,Kannst du es kurz machen? Ich möchte eigentlich bloß meine Ruhe haben“ krächzte ich, als sich die Brünette auf meinem Bett niederließ. Erst jetzt fiel mir die Zeitung auf, die sie in der Hand hielt und nervös mit ihr herumspielte. Das Geraschel machte mich nach einer halben Minute schon völlig wahnsinnig, weshalb ich sie unterbrach. ,,Mom. Sag bitte was du zu sagen hast, damit ich allein sein kann. Ich habe heute wirklich keinen guten Tag.“ Und die kommenden werden nicht besser. Es tat mir leid wie schroff ich klang, denn offensichtlich hatte meine Mutter etwas auf dem Herzen, das sie mit mir teilen wollte. Ihre Augen verrieten sie. Sie wirkten glasig, doch ich vernahm keine weiteren Anzeichen, die darauf hindeuteten, dass sie vielleicht geweint haben könnte. Vielleicht hatte es aber auch gar nichts mit der Zeitung zutun, die sie nun schon wieder von der einen Hand in die andere buchsierte. ,,Du solltest dich vielleicht setzen, Schätzchen.“ Mom entfaltete die Zeitung und mein Magen drehte sich um. Es hatte also doch etwas damit zutun, was in diesem verdammten Stück Papier stand. Ich legte die Stirn in Falten und drückte mich mit zittrigen Armen vom Sessel hoch. Meine schlabberigen Beine trugen mich einen halben Meter, bis zu meinem Bett, wo ich schließlich in den weichen Stoff meiner Bettdecke sank. ,,Du hättest ruhig mit uns sprechen können, Izzy. Ich kann mir vorstellen, dass die ganze Sache auch nicht spurlos an dir vorbei geht.“ Die Falten auf meiner Stirn verwandelten sich zu tiefen Furchen. Wovon sprach sie da bitte? Sie blätterte die Seite mit Todesanzeigen auf und mein Mund wurde ganz trocken. Aus welchem Grund auch immer, schoss mir zuerst Kyle in den Kopf. In meinem Kopf ertönte das Geräusch eines heftigen Donners, gepaart mit dem plästernden Regen von vor ein paar Tagen. Vielleicht hatte er ja einen Autounfall gehabt, weil ich meine Klappe nicht halten konnte und Dad ihn deshalb rausgeschmissen hatte? Es wurde nicht umsonst im öffentlichen Rundfunk darum gebeten die Häuser nicht zu verlassen und sämtliche Fortbewegungsmittel stehen zu lassen. ,,Wovon sprichst du?“ entrang ich mir zu fragen und jetzt war es meine Mutter, die eine Augenbraue hob. ,,Die Sache mit Jaxons Dad? Es ist doch sicher nicht leicht für ihn…für euch.“ Plötzlich klang es, als würde sie eine ganz andere Sprache sprechen. Die Silben passten nicht mehr zusammen, oder mein Kopf vermischte sie einfach nur so willkürlich, dass ich keinen Sinn mehr erkennen konnte. ,,Was redest du da? Was ist mit seinem Vater?“ Ihr Zeigefinger fuhr die graue Seite hinunter und blieb an einem viereckigen Kästchen hängen. Donald Wright. Ich schluckte schwer und ich glaubte zu spüren, wie auch die letzten Zwanzig Prozent Leben aus meinem Körper verschwanden. Meine Wangen glühten, mein Mund wurde trockener als die Sahara und ich sehnte mich nach Flüssigkeit. In meinem Kopf fügte sich ein Puzzle zusammen und mir wurde kotzübel. Deswegen verhält er sich so komisch. Deswegen trinkt er. Deswegen nimmt er wieder Drogen. Mein Blick schweifte über die Abschied-Sprüche neben dem kleinen Bild in der oberen Ecke, wobei ich feststellte wie ähnlich Jaxon seinem Vater sah. Schlussendlich verharrten meine Augen an Donalds Sterbedatum und eine Kältefront erwischte mich mit voller Wucht. Er war gestorben, als wir im Urlaub waren. Genau an dem Wochenende. Oh mein Gott. ,,Hat er es dir etwa nicht gesagt?“ Wie paralysiert schüttelte ich den Kopf. ,,Wann ist die Beerdigung?“ - ,,Morgen Nachmittag“ murmelte Mom und ich nickte, bevor ich sie bat mich allein zu lassen. Jaxons Vater war gestorben. Das war der Grund für sein Verhalten. Zumindest erklärte es seinen Alkohol – und Drogenkonsum, was nicht bedeutete dass ich es deshalb gut hieß. Sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn so böse angefahren hatte. Andererseits hatte ich in den letzten Tagen immer wieder versucht ihn zu erreichen. Und anstatt mit mir zu sprechen, lud er Natalie zu sich ein. Sofort schwappte meine Stimmung von Reue in Wut um. Ich wusste gar nicht mehr wohin mit mir. Also zückte ich mein Smartphone und rief Mona an. Glücklicherweise musste ich ihr gar nicht erzählen, was passiert war, denn die Blondine schaltete anhand meiner brüchigen Stimme sofort und stand zwei Stunden später vor meiner Haustür, um mich in die Arme zu schließen. Wir entschieden uns gemeinsam dazu eine Runde durch den Wald zu spazieren, in dem wir üblicherweise mit den Ponys unterwegs waren, denn die Blondine war der Meinung ich bräuchte dringend frische Luft, damit mein Gesicht wieder etwas Farbe bekam. Da ich keine Lust hatte ihr zu widersprechen, hatte ich mir einen dünnen Windbreaker übergezogen und zugestimmt. Die Sonne hatte ihren Höhepunkt eingenommen, trotzdem war mir von innen heraus kalt. Meine Hände glichen Eisklötzen, weshalb ich sie in den Taschen meiner Jacke vergrub. Mona hakte sich bei mir unter und es verging nicht fiel Zeit, bevor ich anfing mir von der Seele zu reden, was mich beschäftigte. Da Mona, in der vergangenen Nacht, bereits zu Kenntnis von Jaxons Ignoranz, mir gegenüber, genommen hatte, brachte ich sie nur über die heutigen Geschehnisse auf den neusten Stand. Ich erzählte ihr von Natalie auf Jaxons Bett, davon dass der Braunhaarige mich zuerst keines Blickes gewürdigt hatte, von dem Moment als ich vor lauter ungebändigtem Fluchtinstinkt über den Wischeimer fiel und ich informierte sie darüber, dass Jax betrunken und bekifft gewesen war, bevor ich ihr vom Tod seines Vaters berichtete. Der trockene Sand des Waldwegs wirbelte bei jedem Schritt neben uns auf und machte meine Kehle noch trockener, als sie ohnehin schon war. Mona atmete tief ein, bevor sie einen verzweifelten Seufzer ausstieß. Ihre zweite Reaktion bestand aus einem simplen ,,Scheiße“, als Drittes legte sie den Kopf schief und zeigte mit dem Finger auf eine Holzbank am Wegrand. Wir setzten uns. Während Mona vorerst den Dreck mit der Hand wegputzte, fiel ich wie ein nasser Sack auf die moosbewachsene Sitzgelegenheit. ,,Ich will jetzt echt nicht unsensibel klingen, aber… was hast du jetzt vor zu tun?“ Wenn ich das wüsste. Ich sprach meine Gedanken laut aus und seufzte, mit dem Hintern immer tiefer rutschend. ,,Gut, dann halten wir mal fest. Ihr hattet ein tolles Wochenende mit ganz viel Sex, dann hat er angefangen dich zu ignorieren, was, wie wir jetzt wissen, offensichtlich am Tod seines Vaters liegt und du bist, zu Recht, sauer auf ihn, weil er lieber mit seiner Ex-Freundin darüber spricht, als mit dir.“ Monas Zusammenfassung der Ereignisse klang wie die Szene aus einer dieser billigen Seifenopern. Mein Leben. Geil. ,,War ich zu hart zu ihm? Ich meine, ich hab ihn wirklich angeschrien, Mimi.“ Ich verachtete mich selbst dafür, dass ich so die Beherrschung verloren hatte und beobachtete im Augenwinkel, wie die Blondine mit den Schultern zuckte und ihre Hände in den Schoß fallen ließ. ,,Du warst verletzt“ Bin ich immer noch ,,Also ist es klar, dass du ausgeflippt bist. Wer sieht schon gerne seinen Freund mit seiner Ex in einem Bett? Ich hätte erst ihr und dann ihm die Augen ausgekratzt.“ Monas Bemerkung brachte mich zum Schmunzeln, weil ich wusste, dass sie es genau so meinte. Wenn es um den Umgang mit Männern ging, die sich als absolute Arschlöcher entpuppten, war sie mir mit ihrem Selbstbewusstsein um einen Quantensprung voraus. Ich konnte nicht mal an einer Hand abzählen, wie oft sie Kyle schon zur Sau gemacht hatte. ,,Aber ich finde auch, dass du es ihm nicht verdenken darfst, dass er zum Alkohol gegriffen hat. Ich weiß, dass du durch deine Vorgeschichte mit Kyle einen großen Bogen um alle Typen machst, die gerne trinken, aber es scheint mir, als wüsste Jaxon keinen anderen Ausweg, als sich seine Probleme wegzusaufen. Vielleicht hat er sogar ein ernsthaftes Alkoholproblem und braucht professionelle Hilfe. Kyle war einfach nur ein Wichser, der gesoffen hat, um es zu legitimieren Frauen an die Wäsche zu gehen. Aber überleg mal was Jaxon schon alles durchgemacht hat. Er wurde angeschossen und hat wahrscheinlich sogar ein unbehandeltes Trauma, oder so u d jetzt ist auch noch sein Dad gestorben.“ Ich zuckte mit den Schultern und Monas Worte sickerten durch mein Gehirn, wie Treibsand. ,,Also soll ich meine negativen Gefühle runterschlucken und drauf scheißen, dass er es vorzieht mit Natalie zu sprechen, während er mich tagelang mit dem Arsch nicht anguckt?“ - ,,Auf gar keinen Fall. Du darfst wütend auf ihn sein und du musst ihm auch nicht verzeihen, wenn du das nicht willst. Vielleicht schaffst du es irgendwann ihm zu vergeben, aber das entscheidest du. In deinem Tempo. Und wenn du dich endgültig von ihm trennst und er dein Vertrauen so zerstört hat, dass du nie wieder etwas mit ihm zutun haben willst, dann ist das so. Aber ich denke, dass du dir vielleicht erstmal seine Version der Dinge anhören solltest, wenn die Zeit dafür gekommen ist. In dem momentanen Chaos ist es einfach nicht möglich klar zu denken, Izzy.“ Verflucht tat es gut mit Mona darüber zu sprechen. Sie wusste immer was sie sagen musste, damit ich mich besser fühlte. Ich war der Meinung, dass sie definitiv ihr Studium an den Nagel hängen- und zum Motivationscoach umschulen sollte. Sie würde sicher noch fielen anderen Menschen durch ihre bloßen Worte aufheitern. ,,Du wirst eine ganz tolle Lehrerin. Verdammt, du wirst die neue Vertrauenslehrerin werden. Hundertprozent!“ murmelte ich an ihre Halsbeuge, weil ich einfach meine Arme um sie geschlungen hatte. ,,Würdest du mir noch einen Gefallen tun?“ Ich fühlte mich schon ganz mies, da Mona bereits spontan den ganzen Weg auf sich genommen hatte, um heute bei mir zu sein. ,,Alles was du willst“ Ihre Selbstlosigkeit trieb mir Tränen in die Augen. ,,Auch, wenn es schwer zwischen Jaxon und mir ist und auch noch einige Zeit sein wird, würde ich gerne morgen zur Beerdigung seines Vaters gehen. Nicht, um mit ihm zu reden, oder so, ich werde mich im Hintergrund aufhalten, aber ich möchte einfach da sein, verstehst du?“ Mona nickte und verzog ihren Mund zu einem schiefen Grinsen. ,,Und du willst, dass ich dich begleite?“ - ,,Nur wenn du Zeit hast und keine wichtigen Vorlesungen verpasst. Immerhin sind Beerdigungen nicht gerade das wofür man gerne seine Freizeit opfert.“ Mona kicherte und wuschelte mir durch die Haare. ,,Beerdigungen sicher nicht, aber ich würde alle Zeit der Welt opfern, um für meine beste Freundin da zu sein.“
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TRUST ME AT THE COUNTRY SIDE
Fiksi RemajaSie braucht dringend einen neuen Job. Ein älteres Ehepaar gibt ihr eine Chance. Und dann beginnt das Chaos. Isabel trifft auf Jaxon, den unzufriedenen, verschlossenen Enkelsohn ihrer neuen Arbeitgeber. Eigentlich hat sie aus ihrer letzten Beziehung...