Die Dunkelheit umgab mich, wie ein warmer Mantel, der sich um meine Schultern legte an einer kühlen stürmischen Nacht. Sie verfolgte mich in Form meines eigenen Schattens, der mich begleitete, während ich durch die kalten Flure des Waisenhauses lief. Das Waisenhaus hatte ich mittlerweile physisch hinter mir gelassen, aber die Dunkelheit ließ mich nicht in Ruhe. Doch ich fürchtete sie nicht, war sie doch all die Jahre mein Freund und Begleiter gewesen. Und auch jetzt noch, klopfte die Dunkelheit gegen die Fenster des Diners, während es draußen in Strömen regnete. Es war Mittagszeit und dennoch war es wegen des Sturmes dunkel hier drinnen geworden. Die Lampen flackerten unruhig, das ging schon den ganzen Tag so und ging mir gehörig auf die Nerven. Ich stand an der Kaffeemaschine, schäumte die Milch auf, während ich gedanklich zurück an meinen Abschluss dachte.
Ich hatte nie so wirklich dazu gehört, weder in der Schule, noch im Waisenhaus. Aber mich kümmerte das nicht sonderlich. Auch wenn ich nicht schüchtern war, war ich ruhig und in mich gekehrt, versuchte nicht so viel aufzufallen. Denn nicht aufzufallen, war die einzige Art und Weise gewesen, zu überleben.
"Wird's was?", riss mich eine kratzige alte Stimme aus den Gedanken. Ein alter Mann saß an der Theke, dem ich den Kaffee gerade zubereitete. Anscheinend war ich zu sehr in Gedanken abgedriftet und hatte die Milch viel zu lange geschäumt. Fluchend schüttete ich sie weg, um neue Milch zu schäumen. Schnell stellte ich dem schlecht gelaunten Herren seinen Kaffee vor die Nase, der sich bloß mit einem Brummen bedankte.
"Phoebe, kannst du kurz das Sandwich zu Tisch 3 bringen?", rief mir Betty mir zu, die gerade aus der Küche stürmte. Sie trug dabei 5 Teller gleichzeitig, wofür ich sie bewunderte. Es gab einen Grund, weshalb ich Barista war und nicht Kellnerin. Ich hatte zwei linke Füße und würde das Essen auf dem ganzen Boden verteilen. Dennoch nickte ich, denn an der Bar war es heute relativ ruhig.
Ein junger Mann saß an dem Tisch, ungefähr in meinem Alter, vielleicht auch etwas älter. Er hatte dunkle wellige Haare, die wild gestylt waren und schaute nachdenklich aus dem Fenster. Er schien mich kaum wahrzunehmen, erst als ich den Teller vor ihm auf den Tisch legte, drehte er sich zu mir um. Blaue Augen trafen mich, doch der Ausdruck darin war nicht warm. Eher kühl und desinteressiert. Seine gehobenen Augenbrauen zeigten eine kurze Überraschung, aber schnell wurde seine Miene wieder gleichgültig.
Er sagte nicht einmal danke, sondern lehnte sich bloß vor und griff nach dem Sandwich. Mit einem Seufzen drehte ich mich um und steuerte die Bar an. Ein Schauer lief mir den Rücken entlang, hatte ich doch das Gefühl, von ihm weiter beobachtet zu werden.
Erst an der Bar angekommen, schaute ich wieder zu ihm. Er hatte sich wieder auf sein Sandwich fokussiert, ließ jedoch immer wieder den Blick schweifen. Sobald die Tür sich öffnete, schaute er zu ihr, beinahe so, als hoffte er auf jemanden.
Vielleicht war sein Date nicht erschienen? Das wäre zumindest ein Grund für sein missmutiges Gesicht und seine fehlenden Manieren. Seine Lippen hatten sich zu einem Strich verzogen, während er seine Augenbrauen zusammengezog.
Ich beschloss, mich nicht länger von ihm ablenken zu lassen, wobei Bettys wackelnde Augenbrauen nicht gerade dabei halfen. Ihr war die Attraktivität dieses jungen Mannes wohl ebenfalls aufgefallen.
Die Zeit verging und der junge Mann verließ seinen Platz nicht. Es wurde immer dunkler draußen, der Regen verging nicht und mein Feierabend rückte langsam näher.
Ich war gerade dabei, einer Frau einen Espresso zuzubereiten, mit der Sorge, sie würde die halbe Nacht nicht schlafen können, da nahm ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr.
Der junge Mann war aufgestanden und steuerte die Bar an.
Ich versuchte nicht aufzuschauen, fokussierte mich auf die braune Flüssigkeit, die in den kleinen Becher floss. Als er sich gegenüber von mir an die Bar setzte, hob ich meinen Blick und musterte ihn.
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Nachtengel - Himmel
FantasyTeil Eins der Nachtengel-Reihe: Engel, Dämonen, Dämomenjäger? Himmel und Hölle? An all das glaubt Phoebe nicht. Sie interessiert sich bloß dafür, wie sie genug Geld sparen kann, um Porthaven endlich hinter sich zu lassen. Doch das alles ändert sich...