Mit jedem Schritt in die Richtung meines Zimmers wurden meine Beine schwächer und mein Blick verschwommener. Die Treppen hinauf zu humpeln wirkte wie eine Mammut-Aufgabe. Lucian schien meinen hoffnungslosen Blick nach oben gesehen zu haben, denn er seufzte bloß, ehe er sich etwas nach vorne beugte. Wenige Sekunden später, hatte er einen Arm unter meine Kniekehlen geschoben und den anderen hinter meinen Rücken. Mit einer Leichtigkeit, hob er mich hoch. Ich protestierte, bis mir erneut schwindelig wurde und ergab mich meinem Schicksal. Kraftlos ließ ich meinen Kopf gegen seine Schulter sacken. Der Duft von Bergamotte und Bergen umhüllte mich und ließ meinen Kopf leichter werden.
An meiner Zimmertür angekommen, ließ er mich auf den Boden nieder. Mit wackeligen Beinen schloss ich die Tür auf und atmete erleichtert aus, dass Aurora nicht da war. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wie ich ihr hätte erklären sollen, was LUCIAN STONEHEART in unserem Zimmer zu suchen hatte. Sie wäre entweder in Ohnmacht gefallen, oder hätte mich danach mit tausend Fragen gelöchert und auf beides hatte ich gelinde gesagt, wenig Lust.
"Leg dich hin", selbst mit diesem herrischen Unterton, hatten diese drei Worte etwas Verführerisches an sich, doch ich schüttelte diesen Gedanken ab und ließ mich aufs Bett sinken. Ich wusste, dass es allein darum ging, meine Wunden zu behandeln.
Lucian verschwand im Bad. Das Rauschen des Wassers, welches aus dem Wasserhahn floss, war so beruhigend, dass ich mich langsam auf den Rücken sinken ließ. Mit schmerzverzerrtem Gesicht schloss ich die Augen. Mein Körper würde am nächsten Tag voller blauen Flecken und meine Hände voller Brandblasen sein. Ich traute mich gar nicht, sie genauer zu betrachten, denn das unaufhörliche Brennen erinnerte mich ohnehin daran, dass sie nicht gut aussehen konnten.
"Nicht erschrecken", Lucians Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Meine Augen flatterten auf und ich sah, wie er sich über mich beugte. Die Matratze gab ein wenig nach, als er sich neben mich setzte. Mein Herz schlug doppelt so schnell, aber ich schob es auf das Rest-Adrenalin, was noch durch meinen Körper fließen musste.
Er hob ein nasses und kühles Tuch an und säuberte zunächst meine Schürfwunden, die ebenfalls zu brennen anfingen. Dann legte er es auf meine Hände. Die Kühle beruhigte das Brennen ein wenig, aber ich wusste nur zu gut, dass diese Erleichterung nur von kurzer Dauer sein würde.
"Ich bringe dir heute Abend eine Salbe", seine Stimme war erstaunlich ruhig und leise. Der herrische und genervte Ton, den er sonst ständig innehatte, war wie weggeblasen.
"Das war zu viel Magie auf einmal. Wir müssen schauen, wie und ob du sie dosieren kannst", er wirkte nachdenklich, als versuchte er immer noch zu verstehen, was genau soeben passiert war. Seine Augenbrauen hatten sich leicht zusammengezogen und sein Blick fuhr über mich, ohne mich jedoch richtig wahrzunehmen.
Ich selbst war zu müde, um mich zu fragen, was mit mir mal wieder nicht stimmte. Meine Augen wurden schwerer.
"Ruhe dich aus. Das hat dich eine Menge Energie gekostet", ich meinte beinahe ein Lächeln auf seinen Lippen zu sehen, oder meine Sicht war zu verschwommen und ich halluzinierte bereits. Ich nickte bloß leicht, ehe ich in einen tiefen Schlaf fiel.
"Was ist mit ihr?", das leise Flüstern, schwebte zu mir, in meinen Schlaf und weckte mich sanft wie leichte Federn, die über meine Haut strichen. Es war Auroras Stimme, die aber nicht an mich gerichtet war, sondern an jemand anderes im Raum. Langsam öffnete ich meine Augen. Ich wollte mich aufrichten, oder zumindest umdrehen, aber die Schmerzen in meinem Rücken und das Brennen an meinen Handflächen, ließen mich stattdessen nur aufstöhnen. Ich sank wieder in die Matratze. "Du bist wach", stellte Aurora fest, setzte sich zu mir und musterte mich besorgt.
"Sie hat sich etwas ausgepowert", sagte eine mir allzubekannte Stimme gleichgültig. Ich konnte förmlich spüren, wie er mit den Schultern zuckte. Mein Blick wanderte zu Lucian, der mit den Armen verschränkt am Türrahmen lehnte und uns beobachtete.
"Was habt ihr bloß gemacht?", Aurora wirkte aufgebracht und fassungslos zu gleich.
"Solche Verbrennungen...", fuhr sie fort und schaute auf meine Hände.
"Passieren nunmal bei Anfängern, die keine Ahnung haben, wie sie ihre Magie anzuwenden haben", spottete Lucian nun.
"Hey!", empörte ich mich und wollte mich erneut aufsetzen, um ihm mal zu zeigen, wie sehr ich meine Magie anwenden konnte.
"Bleib liegen", nun war sogar Auroras Stimme streng. Wo war die sonst so sanftmütige Streberin hin? Ein leichtes Lächeln legte sich auf meine Lippen, als ich merkte, dass sie sich bloß um mich sorgte.
"Hier", sagte Lucian und warf Aurora eine kleine Dose zu.
"Ignifern-Kraut. Wo hast du das her?", fragte Aurora mit großen Augen. Scheinbar war dieses Zeug nicht so einfach aufzutreiben.
"Ich habe meine Kontakte", sagte Lucian bloß ausweichend.
"So so, Mister Ich-tu-auf-geheimnisvoll", sagte ich ironisch.
"Ihr scheint es besser zu gehen, wenn sie schon wieder so reden kann", erwiderte Lucian daraufhin und griff nach seiner Jacke, die über dem Schreibtischstuhl von Aurora hing, ehe er sich verabschiedete:" Ich packs dann mal. Die nächsten Tage solltest du es langsamer angehen lassen. Ich werd in einer Woche wieder vorbeischauen. Und keine Magie, bis wir uns wiedersehen."
Diese Mahnung sagte er zwar bloß beiläufig, aber wir beide wussten genau was das zu bedeuten hatte. Er hatte Aurora nicht erzählt, was auf der Lichtung vorgefallen war und er erinnerte mich hiermit daran, dass ich es ihr auch nicht erzählen sollte. Die einzige wahre Freundin, die ich hier gemacht hatte, musste ich nun anlügen. Etwas in mir verkrampfte bei dem Gedanken. Ich schnaufte nur als Abschied, was er mit einem Grinsen quittierte, ehe er das Zimmer verließ.
"Ihr beiden Streithähne", grinste Aurora, während sie die Dose aufdrehte.
"Was grinst du so doof?", fragte ich sie, beobachtete sie dabei, wie sie etwas von der Salbe mit den Fingern herausnahm.
"Ach, nur so", winkte sie ab, schien sich nun wieder auf meine Hände zu konzentrieren.
Ohne Vorwarnung schmierte sie die Salbe auf meine verbrannten Handflächen. Ein Brennen, zog sich durch meine Nerven und mir stockte der Atem, während mir der Schmerz, Tränen in die Augen trieb.
„Sorry, hätte ich dich gewarnt, wäre es schlimmer gewesen", sagte sie, zuckte mit den Achseln und setzte ihre Arbeit fort.
Erst als sie fertig war, atmete ich tief durch. Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass ich die ganze Zeit die Luft angehalten hatte. Jetzt schnappte ich nach Luft wie ein Fisch, der aus dem Wasser gezogen wurde.
„Du solltest ein wenig schlafen", sagte Aurora mit einem fürsorglichen Lächeln.
„Danke, Aurora", flüsterte ich. Noch nie hatte sich jemand so um mich gekümmert. Sie war wie ein warmer Kamin, an den man sich in einer kalten Nacht kuschelt. Ich fühlte mich wohl und geborgen an ihrer Seite. Ein Stich fuhr mir ins Herz, als ich daran dachte, dass ich es ihr nicht erzählen konnte. In den letzten Tagen hatten wir oft darüber gesprochen, warum ich meine Magie nicht anwenden konnte. Ich hatte mir vorgestellt, wie ich es eines Tages schaffen würde und ihr stolz davon erzählte. Doch jetzt, mit den Augen geschlossen, wollte der Schmerz in meiner Brust einfach nicht verschwinden. Ich wollte eigentlich keine Geheimnisse vor ihr haben, aber vermutlich war es besser so.
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Nachtengel - Himmel
FantasyTeil Eins der Nachtengel-Reihe: Engel, Dämonen, Dämomenjäger? Himmel und Hölle? An all das glaubt Phoebe nicht. Sie interessiert sich bloß dafür, wie sie genug Geld sparen kann, um Porthaven endlich hinter sich zu lassen. Doch das alles ändert sich...