Lucian flog immer höher, bis die unwirkliche Welt unter uns immer kleiner wurde. Ich hatte noch nie in einem Flugzeug gesessen, denn Urlaube waren normalerweise nicht möglich im Waisenhaus. Und auch danach hätte ich mir einen Flug niemals leisten können. Schließlich sparte ich all mein Geld für das College. Doch je höher Lucian flog, desto mehr verschwanden meine Sorgen zwischen den Wolken.
In der Ferne erkannte ich bereits die Konturen eines Gebäudes, welches umgeben von Wolken in der Luft zu schweben schien. Je näher wir kamen, desto mehr erkannte ich, dass es dem Parthenon in Athen sehr ähnelte. Es war ein riesiger Tempel mit großen weißen Säulen. Auch hier schien ein magischer Schimmer um das Gebäude zu liegen, der leicht in der Sonne funkelte.
Lucian landete elegant auf einem der Marmorstufen, die zum Tempel hoch führten. Er wartete nicht eine Sekunde darauf, dass ich mich von diesem Flug erholte, sondern stieg bereits die Treppen empor. Als ich ihm nicht sofort folgte, drehte er sich genervt um.
Ich rümpfte meine Nase, aus Ärger über seinen Gesichtsausdruck. Und vielleicht auch, weil mir übel vom Fliegen war. Aber das würde ich niemals zugeben.
"Was ist?", fragte er. Er stand so lässig da, dass ich nicht anders konnte, als ihn kurz zu mustern.
"So gehen wir jetzt zum Rat?", ich schaute an mir runter. Meine Klamotten waren vom Angriff noch immer blutgetränkt, meine Haare mussten nach dem Flug wie ein Vogelnest aussehen und ich konnte den Dreck förmlich auf meinem Gesicht spüren. Er hingegen sah außer der blutbefleckten Kleidung natürlich fantastisch aus.
Ein Anflug eines Lächeln, legte sich auf Lucians Lippen.
"Dann sehen sie immerhin den Ernst der Lage. Umziehen kannst du dich später noch"
Ich brummte nur, beschloß dann jedoch ihm die Treppen hochzufolgen.
Oben angekommen, musste ich beschämt feststellen, dass es um meine Kondition miserabel aussah. Während Lucian ohne Probleme neben mir stand, stützte ich mich auf meinen Oberschenkeln ab und hechelte nach Luft.
Ich brauchte ein paar Sekunden – Ja vielleicht sogar Minuten – Um mich von den Treppen zu erholen und meinen Atem wieder zu beruhigen. Langsam blickte ich auf und konnte eine große Halle aus Marmor erkennen. Am Ende der Halle stand ein langer Tisch, an dem einige Personen saßen und sich angeregt unterhielten. Noch hatte uns keiner bemerkt.
"So einfach gelangt man hierher?", entfuhr es mir voller Skepsis. Weder Wachen noch Türen waren zu erkennen.
Lucian hob eine Augenbraue. "Wenn du Fliegen einfach nennen kannst", erwiderte er spöttisch.
Mir stockte der Atem. "Na ja...". Er hatte recht, fliegen war nicht einfach. Ich konnte es jedenfalls nicht einfach so.
"Ins Himmelsreich finden ohnehin nur Heilige Einlass", fuhr er fort. "Und selbst diese Auserwählten müssen die Kunst des Fliegens beherrschen. Eine Fähigkeit, die nur gesegneten Dämonenjägern und Engeln zuteilwird. Und davon gibt es wahrlich nicht viele. Jetzt folge mir und überlasse mir am Besten das Reden"
Er drehte sich wieder um und lief auf den Tisch zu. Langsam folgte ich ihm, ließ dabei die Personen am Tisch nicht aus den Augen. Sie waren unterschiedlichen Alters und Geschlechts, trugen jedoch alle weiße Gewänder. Die ersten bemerkten uns, bald waren die Gespräche abgeebbt. Eine Frau mit weißem Gewand stand auf. Sie hatte fast schwarze Haare und kam mir beinahe bekannt vor.
"Lucian!", sie lächelte übers ganze Gesicht.
"Mom", seine Antwort war barsch und man merkte ihm an, dass er nicht viel von der Frau vor sich hielt, die wohl seine Mutter zu sein schien.
Ihr Lächeln wankte kurz, ehe ihr Blick zu mir wanderte.
"Wen hast du uns mitgebracht?"
"Das ist Phoebe Coven. Ich hab sie in der Menschenwelt gefunden, während ich auf der Suche nach einem Dämon war", sagte er dann.
Die Ratsmitglieder betrachteten mich wie eine Attraktion auf einem Rummel.
"Sie konnte ins Himmelreich gelangen", sagte Lucian's Mutter verwirrt.
"Könnte daran liegen, dass sie eine Dämonenjägerin ist"
Ein Raunen breitete sich in der Halle aus.
"Aus der Menschenwelt?"
"Ich war auch überrascht"
Ich musste mir auf die Zunge beißen, um still zu bleiben. Wieso war das so verwunderlich?
Die Frau musste mir meine Verwirrung ansehen, denn es legte sich wieder ein warmes Lächeln auf ihre Lippen.
"Normalerweise verlassen Dämonenjäger das Himmelreich nur um Dämonen zu jagen. Aber sie wachsen hier auf", erklärte sie mir freundlicher Weise.
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Nachtengel - Himmel
FantasíaTeil Eins der Nachtengel-Reihe: Engel, Dämonen, Dämomenjäger? Himmel und Hölle? An all das glaubt Phoebe nicht. Sie interessiert sich bloß dafür, wie sie genug Geld sparen kann, um Porthaven endlich hinter sich zu lassen. Doch das alles ändert sich...