Kapitel 16

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Die Prüfungen liefen erstaunlich gut – zumindest die, bei denen es nicht um meine magischen Kräfte ging. Ich war gerade dabei, meinen Stift sorgfältig in das kleine Lederetui zu verstauen, als Aurora plötzlich vor mir auftauchte. Sie lehnte sich mit einem breiten Lächeln an meinen Tisch, ihre funkelnden Augen auf mich gerichtet, während ich meine Sachen zusammenpackte.

"Du grinst, als hättest du gerade wirklich Spaß dabei gehabt, die Prüfung zu schreiben", sagte ich mit einem leisen Lachen, während ich mir meine Tasche schnappte und ihr hinaus auf den Gang folgte.

Aurora warf mir einen flüchtigen Blick über die Schulter zu, das Lächeln noch immer auf ihren Lippen. "Vielleicht habe ich das auch", erwiderte sie mit einem Augenzwinkern. "Vielleicht solltest du noch mehr lernen"

Ich seufzte leicht und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Na ja, vielleicht liegt das daran, dass deine Magie nicht ständig Probleme macht. Ich hab das Gefühl, als wäre ich durch die magischen Prüfungen regelrecht durchgefallen."

Auroras Lächeln verblasste, ihre Augen musterten mich nun mit ernster Sorge. "Mach dir keine Sorgen. Bei der ersten Prüfung verweisen sie einen nicht gleich ins Kämpferquartier," sagte sie sanft und versuchte, mich aufzumuntern.

Ich murmelte nur ein leises "Mhh" und senkte den Blick. Es war schwer, ihre Worte wirklich zu glauben, denn in der Magieprüfung hatte ich rein gar nichts zustande gebracht. Die Lehrerin hatte mich am Ende mit enttäuschten Augen gemustert, die Frage auf den Lippen: Was ist los mit dir?

Ich erinnerte mich daran, wie sie mir sagte, dass sie meine Magie spüren könne – sie wusste, dass sie da war, aber auch, dass ich sie blockierte. Doch was sollte ich ihr sagen?

Dass ich dunkles Licht erzeugte? Was würden sie dann mit mir machen? In unserem ganzen Kurs gab es niemanden, der so etwas konnte. Niemanden. Ich war mal wieder ein Weirdo, nichts hatte sich zu damals geändert.

„Ich weiß, was dich aufmuntern könnte", riss Aurora mich aus meinen Gedanken, und ein schelmisches Grinsen schlich sich wieder auf ihr Gesicht. Misstrauisch kniff ich meine Augen zusammen. „Was hast du vor?"

„Oh, warte nur ab!"

Aurora machte ein richtiges Geheimnis daraus, was sie geplant hatte, bis wir am Tor der Akademie standen, wo sich bereits eine Traube von Studenten versammelt hatte.

„Was passiert hier?", fragte ich Aurora verwirrt.

„Wir gehen nach Elyndra!", rief sie begeistert, klatschte dabei ein paar Mal in die Hände und sprang auf und ab.

„Elyndra?", hakte ich nach. Hatte ich da etwas nicht mitbekommen?

„Jeden Mittwoch kann man nach Elyndra fahren. Haben sie dir das in der Einführung nicht gesagt?", fragte sie mich nun verwirrt.

„Du hast die Einführung gemacht", erinnerte ich sie.

„Oh, stimmt. Das muss ich vergessen haben. Na ja, jedenfalls können wir dort Kleider shoppen gehen!"

Ein mulmiges Gefühl stieg in mir auf.

„Von welchem Geld soll ich bitte Kleider shoppen gehen?"

Die Tragweite dieser Worte lastete schwer auf mir. Vielleicht war das Leben im Himmelreich doch nicht so fern von dem in der Menschenwelt, wie ich gehofft hatte. Dort war ich arm gewesen, und hier schien es mir nicht anders zu ergehen.

„Mach dir keine Gedanken darüber, ich übernehme die Kosten! Meine Eltern haben mehr Geld, als sie sinnvoll ausgeben können", winkte sie lässig ab. Während es für sie wie eine Kleinigkeit wirkte, fühlte ich mich furchtbar. Ich wollte mir kein Geld leihen. Immer hatte ich darauf bestanden, auf eigenen Füßen zu stehen und nie von jemandem abhängig zu sein. Doch diese Situation machte mir schmerzlich bewusst, dass ich genau das geworden war. Als ich diesen Ort betreten hatte, hatte ich meine Selbstbestimmtheit aufgegeben – und das, ohne auch nur zu ahnen, wie sehr.

Nachtengel - HimmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt