Prolog

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Der Nebel hatte sich kalt und schwer über Porthaven gelegt, während die Dunkelheit Einzug hielt. Ein flackerndes Licht huschte von der kleinen Kerze durch das schmale Zimmer mit dem runden Fenster. Die kühle Luft kroch mir über die Haut, wo mein dünner Pyjama sie nicht bedeckte, und ließ mich frösteln, während ich auf die Stadt blickte, die sich unterhalb des alten Waisenhauses erstreckte. Das massive Gebäude aus rötlichem Backstein thronte auf einem Hügel, weit entfernt von Porthavens lebendigem Herzschlag – ein Ort, der uns bewusst abseits hielt. Jeden Tag zeigte uns die Ferne, was uns verwehrt blieb: ein normales Leben, nah genug, um es zu sehen, und doch unerreichbar wie eine Karotte vor einem hungrigen Kaninchen. Ein Versprechen, das nur eingelöst würde, wenn wir uns still fügten.

Die Dunkelheit legte sich um mich wie ein schützender Mantel, als ich mit dem Finger eine Spur über die staubige Fensterbank zog. Kein Laut störte die Stille. Die Nacht war mein Verbündeter, die Zeit, in der ich endlich Ruhe fand. Selbst wenn Miss Humphrey mich in den Keller schleppte – ihre Strafe für das kleinste vermeintliche Vergehen – konnte ich dem nur etwas Beruhigendes abgewinnen. Denn der Keller, so dunkel und kalt er auch war, war einer der gnädigeren Strafen, die das Waisenhaus kannte. Mit der Zeit hatte ich gelernt, den Keller nicht als Drohung zu sehen. Er bot mir eine Zuflucht vor den Augen und Stimmen der anderen, und ich begann, in der Kälte der Dunkelheit eine eigensinnige Geborgenheit zu finden.

Die Lichter von Porthaven funkelten wie ferne Sterne, nach denen ich in meinen Träumen zu greifen wagte. Der Leuchtturm, weit draußen auf den Klippen, strahlte in regelmäßigen Abständen sein Licht über die Stadt und erinnerte mich an die stille Stetigkeit des Lebens. Doch selbst sein Strahl erreichte mein kleines Zimmer nie. Die Lichtkugel drehte unablässig ihre Runden, doch sie war zu fern, um die Dunkelheit hier oben zu vertreiben. Hinter dem Leuchtturm lag das Meer wie ein unermesslicher Schatten, ein schwarzer Schleier, der sich mit der Nacht vermischte. Bei Tageslicht jedoch zeigte sich das Meer rau und lebendig, seine Wellen stürmten gegen die Felsen – ein ungezähmter Anblick, den ich aus der Ferne gerne betrachtete.

Ich wusste, dass ich mit dem Feuer spielte – im wahrsten Sinne des Wortes. Die flackernde Kerze war mein einziger Trost in einer Welt aus Kälte und Dunkelheit, der einzige Beweis, dass ich lebte. Doch so spät in der Nacht würde sie mir zum Verhängnis werden. Das klackernde Echo hoher Absätze drang von weit her durch den Korridor. Ohne einen weiteren Gedanken schloss ich die Augen und versuchte, mich in die Dunkelheit zu hüllen. Fast wie auf ein Kommando erlosch die Flamme, als hätte eine unsichtbare Hand sie einfach ausgeknipst. Die Schritte kamen näher, jedes Klackern pochte in meinem Inneren, bis die Tür schließlich aufschwang und ein Lichtstrahl die Dunkelheit in meinem Zimmer durchbrach. 

Nachtengel - HimmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt