Nachdem sie einfach davongelaufen war, entschlossen und ohne sich zu mir umzudrehen, war ich ihr hinterher gestolpert, noch immer auf der Suche nach den richtigen Worten. Aber alles, was mir in den Sinn kam, wäre zu überspitzt für die erste Begegnung nach sechs ganzen Jahren. Die Dinge, die jedoch angemessen schienen, wären nicht annähernd das, was ich sagen wollte.
Das kannte ich gar nicht von mir. Ich war immer entweder selbstbewusst genug gewesen, um Young gegenüber zu treten oder ich hatte es zumindest geschafft, so zu tun. Damals hatte das alles funktioniert, aber jetzt ... ? Es war armselig, wie unbeholfen ich gerade war, wie sehr mir die Schuldgefühle das Gehirn vernebelten und alle anderen Emotionen mich entweder wie eine Marionette hinter Young hergehen ließen oder versuchten, mich an einem Seil zurückzuziehen.
Diese Begegnung hatte mich wohl echt erschüttert und nun, als ich mit ihr alleine war, bekam ich das voll und ganz zu spüren.
Irgendetwas in mir schien aber noch nicht ganz aufgeben zu wollen und zog meine Schritte an, bis ich Young überholt und mich vor sie gestellt hatte. Sie schien nicht überrascht zu sein, kam langsam zum Stehen, verschränkte die Arme vor der Brust und musterte mich.
Das hätte ich stundenlang tun können, einfach hier stehen, Young betrachten und mich von ihr mit diversen Blicken mustern zu lassen, aber hier gab es was zu verlieren und das war nicht nur mein gesunder Menschenverstand.
"Ich bin zurück nach Südkorea gekommen-", begann ich und fand den Start in dieses Gespräch schrecklich, aber jetzt gab es kein zurück mehr.
"Ist mir aufgefallen. Und das hat welchen Grund?"
Ich versank beinahe unter ihrem vernichtenden Blick.
"Für einen neuen Job", beendete ich lahm. Und jetzt der Rest, komm schon.
"Dass ich dich heute hier treffe, kurz nachdem ich an dich gedacht habe, hat mir ziemlich den Boden unter den Füßen weggezogen. Young, ich-"
Sie hob eine Hand und brachte mich zum Schweigen.
"Bevor wir hier versuchen irgendetwas geradezubiegen, das ziemlich viel mehr braucht, als Worte, lass uns ein Stück laufen und ... einfach nichts sagen. Ich glaube, wir haben gerade beide viel zu verarbeiten und ich muss mich erst wieder an deine Anwesenheit gewöhnen."Das nahm mir den Wind aus den Segeln. Zumindest den Wind, der noch übrig geblieben war.
Nichtssagend liefen wir nebeneinander her. Ich lauschte Youngs Absätzen auf dem Asphalt, dem Verkehr Seouls, der auch um diese Uhrzeit noch in vollem Gange war, dem Lachen und Plaudern von Passanten, die an uns vorbeikamen. Die Straßenlichter verschwammen regelmäßig vor meinen Augen und manchmal fühlten sich meine Beine so wackelig an, dass ich mich am liebsten an Ort und Stelle auf den Boden gesetzt hätte. Young neben mir schien im Gegensatz dazu hellwach und höchst agil zu sein. Sie war schon immer sportlich gewesen, aber ihre gesamte Körperhaltung strahlte einen höheren und bei weitem gesünderen Grad von Sportlichkeit aus, als noch vor ein paar Jahren. Ich fragte mich, was für einen Sport sie heute machte.
Insgesamt fragte ich mich, was Young nun machte. Welchen Job hatte sie? Hatte sie endlich ein Hobby gefunden, an dem sie hängen geblieben ist? Mit welchen Leuten umgab sie sich? Lebte sie ein Leben, dass sie zufrieden stellte? Ich hoffte es sehr. Selbst, wenn ich nicht mehr teil davon sein konnte.
Young zog ihr Tempo an und es sah erst so aus, als wollte sie vor mir weglaufen, aber dann drehte sie sich so abrupt um, dass ich fast in sie hineinlief. Nur wenige Zentimeter blieb ich vor ihr stehen und als sie tief Luft holte, weil sie ansetzte, etwas zu sagen, berührten sich beinahe unsere Brustkörbe.
"Wie kann es sein, dass dich nach all den Jahren noch immer so viel, ich weiß auch nicht, Traurigkeit umgibt, Yoongi? Ich muss dich nicht einmal ansehen und spüre so viel Anspannung und Niedereschlagenheit und Einsamkeit. Besonders die."
Young hatte nicht ganz unrecht. Ich meine, ich hatte mir etwas aufgebaut, auch wenn es nichts riesiges war. Ich hatte die letzten Jahre über einen Job gehabt, der mich genug verdienen ließ, um ein komfortableres Leben zu leben, als zu Teenagerzeiten. Ich hatte neue Freunde gefunden, andere Bekanntschaften gemacht. Seit Jahren beschäftigte ich mich eingängig mit meiner Musik, das war das, was ich immer hatte machen wollen. Und trotzdem fehlte mir die ganze Zeit etwas. So, als hätte ich in Wahrheit niemanden um mich gehabt, als hätte ich nicht wirklich meinem Traum nachgejagt. Manchmal hatte ich einfach das Gefühl, dass das, was ich mir zuvor erträumt hatte, in Wahrheit nur Spinnerei war.
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The Lonely Life of Min Yoongi || TULOGY Novella
FanfictionEs sind einige Jahre vergangen, seitdem Yoongi sein Heimatland und damit seine Freundesgruppe, sowie seine große Liebe Young zurückgelassen hat. In L.A. arbeitet er als Songwriter und Producer einer kleinen Plattenfirma, doch trotz harter Arbeit sch...