2. Tage kommen und gehen, aber manche sind unvergesslich.

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Nathan
„Frankfurt ist einfach nicht meine Stadt." Dachte ich, als ich endlich mein Auto in der Straße hinter dem Hotel abgestellt hatte. Es war nicht irgendein Hotel, es war seit kurzem mein Hotel und wenn wir ehrlich waren, war es auch nicht nur ein Hotel, es war eine Hotelkette mit über tausend Hotels, weltweit. Ich wusste nicht, was mich geritten hatte, dieses Erbe entgegen aller Ratschläge überhaupt anzutreten, aber ich wollte etwas Neues erleben, ich wollte meinen Großvater nicht enttäuschen. Jahrelang lag ich meinen Schwestern damit in den Ohren, dass mich die Firma unserer Eltern, die ich ziemlich früh nach ihrem tödlichen Unfall übernehmen musste, nicht mehr ausfüllt und es mich langweilte, jeden Tag dem gleichen Trott nachzugehen. Ich betonte immer wieder, wie gerne ich mich an die Zeit mit Grandpa erinnerte. Ich konnte ja nicht ahnen, dass es ihm genauso erging und er mir gleich so gut wie alles vererben würde. Er hatte immerhin noch zwei weitere lebende Söhne. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich der einzige männliche Enkel war, ich war buchstäblich der Hahn im Korb, dennoch hatten meine Onkel definitiv mehr Erfahrung damit, ein Unternehmen wie dieses, genau genommen eine Hotelkette zu führen. Sie arbeiteten, seit ich denken konnte im Unternehmen ihres Vaters und hatten definitiv das Know-how, alles zu übernehmen. Verrückt! Ich meine, ich zerbrach mir die letzten Wochen jeden verdammten Tag den Kopf darüber, was sich mein Grandpa dabei dachte, dieses Erbe so zu verteilen, ich meine klar, ich führe bereits ein milliardenschweres Unternehmen und das seit zehn Jahren erfolgreich und durchaus gewinnorientiert, aber das, das war selbst für mich eine Nummer zu groß. Auf der anderen Seite wollte ich es. Ich wollte es nicht nur, um es meinen Verwandten zu zeigen, die vermutlich schon lange auf das hier gierten, in erster Linie wollte ich es mir beweisen und ich wollte meinem Grandpa zeigen, dass er genau das in mir sah, was er glaubte zu sehen. Ich hatte mir sofort einen Plan zurechtlegen wollen, schnellstmöglich in diese Aufgabe hineinzuwachsen und überlegte lange fieberhaft, wie ich es wohl am effizientesten erreichen konnte. Ich suchte mir das Hotel heraus, das am günstigsten gelegen war und landete hier in Frankfurt. Die vorhandenen Räumlichkeiten boten genügend Platz, um Kongresse abhalten zu können, die Nähe zum Messegelände war praktisch und durch eine rasche Anbindung zum Flughafen eignete es sich perfekt dafür, sowohl meiner Arbeit in New York als auch den Aufgaben hier gewachsen zu sein. Praktisch eine Win-win-Situation für mich. An meinen ersten Tagen in Frankfurt konnte ich mir vom Hotel schon einen guten ersten Eindruck verschaffen, konnte alle Abteilungen ablaufen und mir mal die andere Seite eines solchen Unternehmens ansehen. Die Reaktionen auf mich waren wie immer gleich, ganz genau wie in New York. Entweder hatten die Menschen totale Angst vor mir, oder sie gafften mich an. Vor allem die Frauen taten als wollten sie, dass ich sie hier und jetzt so richtig nehme und ich will ehrlich sein, keine der bekannten Reaktionen gefielen mir. Ich wurde von der Presse in New York schon ziemlich früh zu einer Person gemacht, die mich weiß Gott nicht richtig beschrieb, aber ich musste zugeben, ich hatte es oft genug ausgereizt und genau das geboten, was man von mir verlangte und es machte mir eine ganze Zeit lang auch wirklich Spaß, genau diesen Erwartungen nachzukommen, die man an mich hatte, positiv oder negativ war hierbei egal. Ich konnte mich mit 22 Jahren entscheiden, entweder ich werde streng und lasse mir nichts gefallen, dafür nehmen mich die Leute ernst, oder ich bleibe, wie ich war und alle halten mich weiter für den Schwächling, der es nicht drauf hatte. Der Typ, der mit dem goldenen Löffel geboren wurde, aber sonst nichts zu bieten hatte. Ich hatte mich für das Erste entschieden und aus der Firma meiner Eltern wurde ziemlich schnell die Nummer eins auf dem Markt.
Ich bin nicht nur der CEO eines der führenden Marketingunternehmen weltweit, ich bin mit meinen Schwestern auch der Erbe des Ladens. Ziemlich schnell hatte ich kapiert, wie es auf einem Markt wie unserem läuft und konnte durch verscheide gut überlegte Schachzüge die Konkurrenz ziemlich schnell mundtot machen. Mit meinem privaten Vermögen unterstütze ich aber auch einige andere Projekte, von denen die Öffentlichkeit und auch meine Familie so nichts wissen. Ich habe zum Beispiel in den Anfängen in die Beratungsfirma meines besten Freundes Luke investiert, welche inzwischen zu einer der führenden Unternehmen der USA in diesem Metier gehört. Eines seiner Steckenpferde ist dabei das Gastgewerbe, weshalb ich diesem Erbe überhaupt erst zugestimmt habe. Luke und ich vertrauen uns und arbeiten in bestimmten Situationen dann auch Hand in Hand, er ist also der perfekte Mitspieler in meiner Situation. Er und ich haben es durch meine Marketingstrategien, aber auch durch sein nötiges Know-how öfter mal geschafft, so einige Restaurants aus der Versenkung zu holen. Luke lässt sich das bei einem Erfolg aber auch mehr als teuer bezahlen, ich bleibe eher der stille Stratege im Hintergrund, was mich dann wenigstens in diesem Segment aus der Presse hält, die inzwischen einen komplett anderen Nathan aus mir geformt hatte. Ich war auf einigen Klatschblättern in New York der Junggeselle Nr.1, was es mir zu einem Kinderspiel machte jeden Tag eine andere mit nach Hause zu nehmen, genau genommen lasse ich mich mit nach Hause nehmen. Öfter Mal landete ich mit irgendeiner in den Schlagzeilen „Ist sie endlich sein Glück?" oder „Schon wieder eine Frau, Goldjunge bekommt einfach nicht genug." und so vieles mehr waren die Plattitüden der Presse, die man zu lesen bekam. Ich hoffte, dass mich dieses Erbe etwas festigt und ich nicht länger Zielscheibe Nr. 1 sein würde. Ich meine, unrecht hatten sie ja nicht, ich nahm mir wirklich viele Frauen, manchmal sogar drei auf einmal, die stehen da richtig drauf, aber das ist doch nicht alles, was mich ausmachen sollte, oder? Luke wusste nichts von seinem Glück, er sollte mich aber dabei unterstützen, das Ding hier am Laufen zu halten. Er hatte in seinem Unternehmen kaum noch etwas zu tun, weil es inzwischen zu einem Selbstläufer geworden ist, ich war überzeugt davon, dass er genau wie ich mal wieder einen Tapetenwechsel gebrauchen konnte. Ihm und auch Sam, die eigentlich alles von mir wussten, hatte ich bisher noch nichts von meinem Erbe erzählt, hatte Luke aber nach Frankfurt eingeladen, um wenigstens ihn endlich einweihen zu können. Ich wohnte schon fast zwei Wochen unter falschem Namen im Hotel. Ich wollte mir alles erst mal als Gast ansehen, ehe ich die Schafe aufscheuchte und musste zugeben, dass es einen wirklich positiven Eindruck machte und sich die Richtlinien, nach denen gearbeitet wird, wirklich bezahlt machten. Ich konnte in Sekundenbruchteilen beobachten, wie sich die Haltung sämtlicher Mitarbeiter von dezent freundlich in angespannt veränderte, kaum hatte ich mich mit meinem echten Namen vorgestellt.
Es ärgerte mich irgendwie, dass ich ungewollt okay damals war es gewollt, diese Wirkung auf Menschen hatte. Sie fühlten sich grundsätzlich unwohl mit mir in einem Raum. Ich konnte es aber natürlich auch verstehen. Durch das Antreten des Erbes konnte sich alles ändern, ich hatte es in der Hand. Woher sollten sie ahnen, dass ich nichts verändern wollte, die Zahlen sprachen für sich. Ich wollte einzig vorbereitet werden, auf alles, was auf mich zukommen könnte, um dann das Hotel in New York leiten zu können und wollte alle Positionen national und international weiterhin so besetzt lassen wie sie waren. Natürlich wusste ich, dass die Führung eines Hotels nicht der Garant dafür war, meine Unzufriedenheit stillen zu können, aber es war zumindest ein Versuch wert. Heute weiß ich natürlich, dass meine Unzufriedenheit auch daher rühren konnte, dass ich niemandem vertraute und sexuell alles in meinem Leben nur ein Spiel war, für das ich die Regeln aufstellte, aber zum damaligen Zeitpunkt war ich noch nicht so weit, das zu begreifen. Jede meiner Nächte in Frankfurt fuhr ich aus der Stadt, das machte ich überall so, ob in LA, in Orlando oder Seattle, ich genoss es, für ein paar Stunden, ich zu sein, ganz für mich alleine, das gab mir jedes Mal für einen kurzen Augenblick Frieden. Ich stellte mir einfach immer vor, dass ich ein anderer Mensch war, wenn ich in mein Auto einstieg, als der, der ich war, wenn ich wieder ausstieg. Ich würde einsteigen mit einem Lächeln und aussteigen mit meiner strengen Miene, die inzwischen kein Spiel mehr war, sondern schon längst zur Gewohnheit wurde. Würde meine Schultern straffen und meine Assistentin und meinen Chauffeur drangsalieren und so tun, als wäre mein Leben perfekt. Ich wusste nicht genau, warum ich das so machte, ich denke, es war eine Art Selbstschutz, vielleicht war es aber auch einfach eine Art der Gewohnheit. Ich schaltete die Zündung meines Wagens ab, öffnete die Türe, stieg aus und wie vorhergesagt war da nichts mehr, außer mein Geschäfts-ich, keine Gefühlsduseleien, ein Ausdruck, eine straffe Haltung und leere sonst nichts. Ich war noch zum Auto gedreht, als mich etwas an der Schulter antippte.

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