Meinen Sie ich bin gefährlich?

6 1 0
                                    

28.10.2019

Lieber Herr S.,

Irgendwie ist es doch ein Spiel mit dem Feuer, also das Leben meine ich.

Wenn ich zurückblicke verstehe ich nicht warum ich das alles gemacht habe und ich bereue es nicht mal. Verstehen Sie, das ergibt alles keinen Sinn. 

Es wirkt so surreal, aber tatsächlich habe ich immer noch die Narben an meiner Hand, von dem Abend auf der Wache als ich vor lauter Angst meine Fingernägel in die Haut gekrallt habe bis es geblutet hat. 

Und immer noch spüre ich diesen scheiß Ziegelstein in meiner Hand und wie ich gegen die Scheibe geschlagen habe, mit all meiner Kraft und dieses beschissene Fenster wollte einfach nicht kaputt gehen weil ich so schwach war und es fing an zu splittern und der Sprung in der Scheibe wurde immer größer und in der Mitte wurde es dünner und zerbrechlicher und ich dachte jeden Augenblick ist es soweit. Ich hatte winzige Splitter in meinen Augen und in meinem Mund, sie müssen wirklich unglaublich klein gewesen sein, weil ich sie gespürt habe, aber es hat nicht wehgetan. Und dann haben mir Leute zugerufen, Männer kamen zu mir und ich hab weiter gemacht, bis einer mich packte. Ich hab meinen Arm mit dem Stein gehoben um ihnen zu drohen, natürlich hatte ich nie vor den Stein tatsächlich auf Menschen zu werfen, es war einfach eine Kurzschluss Reaktion. Einer hat mir den Stein dann weggenommen und die anderen haben mich festgehalten bis die Polizei kam. Das war ein brutales Erlebnis.

Ich habe mich noch nie derart gewalttätig verhalten. Ich war es nicht gewohnt so grob angefasst zu werden, das Abtasten von der Polizei war genauso schlimm, ich weiß nicht ob Sie das schon mal erlebt haben, aber die greifen in alle Taschen so weit nach unten wie es geht, mit zu viel unfreundlicher Energie und Kraft und entscheiden dann selbst wann man sich umdreht, wie man sich umdreht und was man mit seinen Armen macht. Ich musste meine Schuhe ausziehen, meinen Rucksack haben sie ausgeleert und nicht wieder eingeräumt. Insgesamt war es nicht sehr liebevoll. Lachen Sie nicht, ich weiß dass es nicht Sinn der Polizei ist liebevoll mit Tätern umzugehen aber ich habe mir das befriedigender vorgestellt, keine Ahnung, die waren nur gemein und herzlos. 

Seit meiner schriftlichen Stellungnahme habe ich nichts mehr gehört, ich weiß nicht wie lange so etwas dauert, aber ganz ohne Strafe werden die mich bestimmt nicht davon kommen lassen oder? Zumindest muss ich doch die Scheibe ersetzen...

Ich bin einfach zu grauenvoll. Und es zieht mich schon wieder dahin, ich weiß nicht wohin aber ich muss gegen mich ankämpfen, Sie wissen ja wie das ist.

Meinen Sie ich bin gefährlich? Also genau jetzt, in diesem Augenblick wo ich diesen Brief schreibe, finden Sie ich bewege mich auf dünnem Eis? 

Ich denke nicht das ich gefährlich für andere bin, gefährlich für mich selbst vielleicht. Möglicherweise bin ich auch einfach nur kaputt, sowas kann man ja verwechseln. Das ich kaputt bin, wissen wir beide.

Noch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben dass man mich wieder reparieren kann, irgendwie, irgendwann, durch irgendeinen Auslöser vielleicht. Momentan scheint es aussichtslos, aber so lange ich noch Hoffnung in mir habe bin ich beruhigt, denn so lange besteht noch die Möglichkeit eines Happy Ends. 

Man sollte nie seine eigenen Fähigkeiten unterschätzen. Ich finde der Mensch neigt dazu sich selbst zu unterschätzen, ich auch. Aber der Mensch ist stark, viel stärker als er vermutlich weiß.

Es ist schwierig diese Kraft zu finden wenn man erschöpft ist. Gerade dann sind wir aber doch am stärksten oder? Wenn wir es trotzdem versuchen. Trotz Müdigkeit.

Ich bemühe mich wirklich Herr S. .

Alles Liebe,

Marta

Lieber Herr S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt