11.10.2019
Lieber Herr S.,
Irgendwann hat es sich ausgeschrieben, da gibt es einfach nichts mehr zu sagen, das muss auch ich einsehen.
Ich verstehe nicht warum ich nicht mit diesen fatalen Folgen gerechnet habe als ich beschlossen habe auszuziehen. Ich habe die Kraft meiner Familie unterschätzt und meine Selbstkontrolle überschätzt.
Ich komme nicht los von diesen Alpträumen die meine ganze Kraft rauben und wenn ich am Morgen aufwache fühlt es sich jedes Mal so an als würde ich aus einem Krieg kommen. Und das absurde daran ist, das ich es gut finde diese Träume zu haben, sie sind grauenhaft und ich möchte sie nie im Leben in echt erleben, aber im Traum scheine ich im Gegensatz zur Realität zu fühlen und das ist gut.
Anscheinend bräuchte es also Extremsituationen damit ich wieder fühle.
Es hat sich tatsächlich ausgeschrieben, Sie kennen meine dunkelsten Seiten, ich bin mittlerweile ein offenes Buch für Sie. Es gibt keinen Progress, keine Veränderungen somit kann ich Ihnen auch nichts Neues erzählen. Nicht nur Sie, auch ich warte auf den Brief in dem ich von meiner Besserung erzähle und ich kann nur beten dass dieser Brief überhaupt existieren wird.
Ich verstehe nicht wie das wieder passieren konnte, wie dieser Hass auf mich selbst so plötzlich wieder aufgetaucht ist, ich dachte ich habe meinen Frieden mit mir gemacht, auf einmal sehe ich wieder in den Spiegel und möchte der Person die ich sehe einfach ins Gesicht schlagen.
Ich habe mich lange nicht mehr so hässlich gefunden. Von außen, von innen, mein Körper, meine Kleidung, mein Gesicht, mein Charakter, meine Stimme, die Art wie ich spreche. Es ist alles so abstoßend geworden und das war mal besser.
Warum ist es so schwer sich selbst zu lieben? Ich bin ja nicht die einzige die so ein schlechtes Selbstbild hat, also was ist es? Ist das ein Generationen Ding, oder macht das die Gesellschaft oder ist das einfach menschlich?
Ich bin mit meinen Kräften am Ende, aber vielleicht sollte ich noch einen Versuch wagen. Auch wenn mein Geist und mein Körper zu Tode erschöpft sind, aber vielleicht hilft es mir sogar.
Ich sollte wieder anfangen regelmäßig Yoga zu praktizieren und meditieren, das ist der erste Schritt würde ich sagen. Das war gut für mich, ich weiß nicht warum ich damit aufgehört habe, Stress und Zeitmangel wahrscheinlich durch die Schule damals.
Ich werde es versuchen mit diesem ersten Step und dann melde ich mich wieder.
Alles Liebe,
Marta
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Lieber Herr S.
Kurgu OlmayanIch schreibe Briefe an meinen Lehrer die ich nie abschicke. Herr S. begleitete mich durch alle Höhen und Tiefen: Begegnungen mit Polizisten, die Einweisung in die Psychiatrie und der Beginn einer Drogensucht. Die Briefe an ihn haben mich das alles ü...