Kapitel 2

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In der Sekunde, als die Klingel ertönte, standen siebenundzwanzig gelangweilte und lustlose Schüler vor Herrn Jones, dem wohl strengsten Mathematik- und Biologielehrer der Crawford Highschool. Noch während er seine Tasche auf den Tisch hob, begrüßte er sie ungeduldig. Sein Blick wanderte durch jede Reihe, als die Jugendlichen die immer gleiche Formel zur Begrüßung sangen.

Mein Versuch, in seine Augen zu blicken, missglückte mir. Wen auch immer er ins Visier nahm, man war gezwungen, wegzuschauen. Als wir ihn das erste Mal im Unterricht hatten, waren wir überzeugt gewesen, das, was man sich von diesem Lehrer erzählte, sei reine Übertreibung. In der ersten Minute der Stunde wurden wir eines Besseren belehrt.
Ohne uns überhaupt auffordern zu müssen, schlugen alle ihre Hausaufgaben auf und senkten den Blick, als Herr Jones an jedem einzelnen vorbeiging, einen Blick in das Heft warf und dabei in einer Sekunde einen Fehler finden konnte. Es kam nicht häufig vor, dass jemand ihn zufrieden stellte. In diesem Moment schaute er über meine Schulter. Ich hielt die Luft an.
Er ging weiter. Die Luft entwich meinem Körper hörbar.

Als er wieder an seinem Stuhl angekommen war, rief er Lewis an die Tafel. Ich beobachtete, wie er zur Tafel ging. Sein Kiefer war angespannt. Mit einer Hand fuhr er sich durch seine blonden Haare, die heute besonders wild aussahen, dann nahm er die weiße Kreide in die Hand und begann, zu erklären. Herr Jones hatte sich nach hinten gestellt, was die Sache zwischen Lewis und mir deutlich vereinfachte. Ganz leise flüsterte ich Lewis die richtigen Lösungen und Erklärungen zu.
Ich konnte es einfach nicht ertragen, dass der netteste Junge der Klasse gequält wurde, nur weil ihm Mathematik nicht lag.

„Gut, Lewis, nicht schlecht. Ich hoffe, dass du das auch so in deinem Heft stehen hast und ich eben nur etwas Falsches gesehen habe."
Egal, wie streng ein Lehrer war, er hatte immer noch einen Hauch Nettigkeit und Menschlichkeit in sich, so viel hatte ich bei Herrn Jones gelernt.

„Setze dich", sagte er gnädig und ging nach vorne.

Im Vorbeigehen wisperte Lewis mir ein „Danke" zu und setzte sich auf seinen Platz.

Herr Jones diktierte bereits die nächste Aufgabe: „In diesem Dreieck, dessen Seiten..." Er wurde jedoch von einem Klopfen unterbrochen. „Herein", sagte er genervt.

Ohne den Stift aus der Hand zu legen, blickte ich auf. Die Tür schwang auf und ein großer Junge mit braunen Haaren blickte in die Klasse.
„Ich weiß nicht, ob ich hier richtig bin", er blickte auf den Zettel in seiner Hand, „aber hier steht, dass ich in diesen Raum kommen soll."
Herr Jones starrte den Jungen an – so wie alle anderen Schüler auch. Er war absolut wunderschön. Seine Haare sahen verdammt weich aus. So weich, dass ich den Drang verspürte, sie anzufassen.
„Du musst Adam sein. Adam Black?", riss mich die durchdringende Stimme aus meinen Gedanken.
Der Junge nickte, seinen Blick auf Herrn Jones gerichtet.
„Herr Jones, Mathematik und Biologie", stellte dieser sich vor.
Dann flog sein Blick suchend durch die Klasse, bei Toby, der genau neben mir saß, schien er fündig zu werden.
„Du kannst dich erst einmal neben Toby setzten", schlug er vor.
Adam trat in den Raum und folgte dem Blick unseres Lehrers zu dem freien Platz neben Toby.
„Wo waren wir stehen geblieben?", fragte Jones laut, nur um sich die Frage dann selbst zu beantworten, „Richtig, das Dreieck. Wir kennen also die..."
Während die meisten ihre Konzentration wieder auf den Unterricht schwenkten, blieben mein Blick und all meine Gedanken an dem neuen Mitschüler hängen, der sich gerade zu seinem Rucksack beugte. Er trug eine schwarze Lederjacke und eine dunkle Jeans. In diesem Moment legte er einen Stift und ein Heft auf den Tisch und schaute sich kurz in der Klasse um. Er blickte in meine Augen. Seine Augen waren blau und leuchteten geheimnisvoll. Sie erinnerten mich an eine Welt, die es nur in Märchen gab. Röte stieg in mein Gesicht. Er lächelte. Ich wollte es erwidern, doch in dem Moment drehte er sich schon wieder dem Lehrer zu und machte mich so darauf aufmerksam, dass wir noch mitten im Unterricht saßen.

The Adam-TheoryWhere stories live. Discover now