Kapitel 18

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Einen Tag, nachdem Adam mich gefragt hatte, ob wir etwas zusammen machen würden, saß ich in meinem Zimmer und spürte, wie Tränen über meine Wangen liefen. Aber wundern tat es mich nicht. Es war ein gewohntes Gefühl. Sie waren heiß, hinterließen ein Kribbeln auf der Haut, eine Gänsehaut, und die aufgerissenen Augen schmerzten bereits.

Ich hatte in der letzten Zeit so viele Tränen geweint, dass man damit einen Stausee hätte füllen können. In meinem Kopf tauchte ein Bild von einer solchen Wassermenge auf.

Tränen waren salzig. Sie zogen das Salz aus unserem Körper. Sie waren ein Teil von uns. Und ich hatte so viele davon vergossen, dass ich glaubte, sie hätten einen großen Teil von mir mitgerissen.

Demnach war ich nichts mehr. Da war nur noch dieses dunkle Etwas, das mich belagerte. Und ich war weg.

Hatte ich nicht akzeptiert, dass ich das jetzt war? Dass ich damit zurecht kommen musste – oder eben nicht. Aber es war verdammt schwer, sich selbst einzugestehen, dass das, was man war, jetzt nichts mehr war. Dass es einfach aufgefressen war. Es war verschluckt von der Dunkelheit.

Wer wollte das schon?

Ein Gefühl, das sich kaum aushalten ließ, machte sich in mir breit.

Auch am nächsten Morgen, als Adam mir eine Nachricht schrieb, war es nicht verschwunden. Verschlafen tastete ich nach meinem Handy und las, was es mir anzeigte:

Als ich dir schreiben wollte, dass ich dich um zehn abhole, fiel mir auf, dass ich gar nicht weiß, wo du wohnst.

Das Gefühl ging nicht weg, aber ich spürte, wie ein paar der Teilchen in meinem Bauch wieder anfingen, sich aus ihrer Starre zu lösen. So fühlte sich das nämlich an. Alles war eingefroren, was eine schreckliche Spannung verursachte. Aber begannen die Teile sich wieder zu bewegen, löste sich der Knoten in meinem Magen langsam.

Ich schrieb Adam meine Adresse und legte das Handy wieder weg. Eigentlich wollte ich weiter schlafen, aber dazu war ich nun zu aufgeregt. Außerdem sollte ich langsam mal aufstehen, wenn er um zehn vorbeikommen würde. Also schlang ich mich aus der Decke und machte mich auf den Weg ins Bad, um den Tag mit einem frischen Gefühl zu starten – das war nicht nur für mich besser.

Am Frühstückstisch saß ich meinem Bruder gegenüber. Er spachtelte gerade Nutella auf sein Brötchen. Meine Eltern waren kurz nach mir aufgestanden und hatten sich gewundert, dass ich schon wach war. Sonst schlief ich immer länger am Wochenende. Mit dem Blick auf meinem Teller bemerkte ich nebensächlich: „Ich treffe mich heute mit jemandem aus meiner Klasse, ist doch in Ordnung, oder?"

Meine Mutter blickte auf: „Nicht mit Viola oder Alison?"

Ich schüttelte schon genervt den Kopf. Auf Fragen konnte ich nun wirklich verzichten.

„Wie heißt er?", schmunzelte meine Mutter.

Sie durchschaute mich wohl immer. Na ja, zumindest fast immer.

„Adam", nuschelte ich zwischen zwei Bissen von meinem Brot.

„Schöner Name." Ich sah sie aus dem Augenwinkel mit einem Lächeln auf dem Gesicht nicken.

„Vier Jahre hat der Typ gekriegt", warf mein Vater kopfschüttelnd ein, „der hat mindestens zehn verdient."

Er reichte meiner Mutter die Zeitung rüber und tippte auf ein Bild eines Mannes, der sein Gesicht mit einer Mappe verdeckte. Vermutlich irgendein Verbrecher, der jetzt ins Gefängnis kam.

„Find' ich unmöglich, so etwas", redete er weiter.

Nach dem Frühstück half ich meiner Mutter beim Abräumen des Geschirrs.

The Adam-TheoryWhere stories live. Discover now