Kapitel 13

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Es war ein Dienstag, als mir klar wurde, dass ich Depressionen hatte.

Ein Teil von mir hatte es schon länger geahnt, aber er hatte sich gescheut, es den anderen Zellen weiter zu erzählen, in der Angst, diese wage Vermutung könnte zu einer Tatsache werden.

Und jetzt, wenn ich darüber nachdachte, klang das alles ganz plausibel.

So, als würde es stimmen. So, als hätte es schon seit einiger Zeit gestimmt.

Und natürlich war das nicht einfach in meinem Kopf aufgetaucht, so völlig aus dem Nichts. Nein, natürlich nicht.

Ich hatte nie aufhören können, darüber nachzudenken. Es gab immer wieder Dinge, die sich davorschoben, die mich ablenkten, aber diese waren weniger geworden. Jeden Tag war es schlimmer.

Und seit 9:54 Uhr konnte ich an nichts Anderes mehr denken. Wie sehr ich es auch versuchte, es ging nicht.

Um genau zu sein, war es seit dem Satz gewesen, den Herr Klauke, ein Deutschlehrer, der Frau Morgan vertreten hatte, ausgesprochen hatte. Er sagte es ganz nebenbei, so als wäre es vollkommen nebensächlich. Nicht von Bedeutung.

Aber für mich bedeutete es die Welt.

Es bedeutete mein Leben.

Weil, das, was er sagte, war mehr oder weniger alles, worüber ich mir seit langer Zeit den Kopf zerbrach.

Er sagte: „Marianne hat Depressionen."

Und ja, ich war nicht Marianne.

Und ja, ich wusste auch vorher, dass es Menschen gab, die depressiv waren.

Aber das Wort hallte in meinem Kopf wieder, es blieb dort hängen und alles andere verschwamm.

Es war eine Geschichte, eine fiktive Person mit fiktiven Problemen.

Ich identifizierte mich nicht einmal mit Marianne.

Weil, Marianne hatte tatsächlich Probleme. Sie wurde misshandelt von ihrem Vater, beleidigt in der Schule und gehasst von ihren früheren Freunden.

Und das war bei mir anders. Was bei mir nicht anders war, war, was sie fühlte. Ich konnte ihre Gedanken nachvollziehen, sie weiterdenken und mit meinen vergleichen. Und was dabei rauskam, war das Ende. Mein Ende, und auch irgendwie mein Anfang.

Seitdem war mir dieses Wort nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Depressionen.

Es klang fremd. Kalt. So wie etwas, das man ganz und gar nicht in die Hand nehmen wollte.

Ich traute mich nicht, es laut auszusprechen, alleine der Gedanke daran war so angsteinflößend.

Die ganze Zeit war ich angespannt, bekam nur einen Bruchteil von der Außenwelt mit und fasste keinen klaren Gedanken. Das Wort schwirrte in meinem Hirn herum, es drehte sich, wanderte von hier nach dort und doch stand es immer im Mittelpunkt.

Die ganze Zeit wollte ich nach Hause. Ich wollte alleine sein. Ich wollte in meinem Zimmer sitzen und nachdenken. Ich wollte wissen, ob es stimmte.

Doch umso näher dieses Ziel rückte, desto nervöser wurde ich. Angst stieg in mir hoch.

Mir war beinahe bewusst, was ich am Ende herausfinden würde, aber ich war mir nicht mehr sicher, ob ich es wissen wollte.

Und dann war es soweit. Ich spürte das kalte Laminat unter meinen Füßen und starrte die Wand an. Wie in Trance stand ich dort und bewegte mich keinen Zentimeter. Mir war nicht warm und nicht kalt. Ich fühlte gar nichts. Aber dieses Gefühl von gar nichts war kaum auszuhalten, ich wollte etwas spüren. Irgendwas.

The Adam-TheoryWhere stories live. Discover now