| Kapitel 4|

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Ich stehe nicht wie erwartet in einer gemütlich eingerichteten Holzhütte mit Steinofen und karierter Tischdecke. Nein, ich stehe in einer hochmodernen Villa, wie man sie hier im Wald nicht erwartet. Erst recht nicht, wenn man die Fassade der Hütte bedenkt. Diese sieht nämlich genauso aus, als würde hier drin ein gemütliches, altmodisches Bettchen mit Wärme durch einen Backsteinofen auf einen warten, über dem gerade eine Linsensuppe von einer achtzigjährigen Frau gekocht wird. Was nicht wirklich der Fall ist. Überhaupt nicht.

Die Wände sind glatt und weiß gestrichen, von dem ursprünglichem Holz ist nichts mehr zu sehen. Der Boden ist mit neu aussehendem Laminat versehen, auf dem unsere nassen Klamotten große Pfützen hinterlassen. In der Mitte steht ein Tisch, oval und aus Glas gebaut, ohne Tischdecke und ohne Stühle. Weitere Möbel gibt es nicht. Was auch nicht vorhanden ist, sind Fenster. Nur eine neumoderne Lampe spendet kaltes, ungemütliches Licht. Es riecht nach Putzmitteln. Hier drin ist es besser als draußen, es regnet nicht, ist angenehm warm und wir sind sicher vor dem Gewitter, aber toll finde ich es trotzdem nicht, ich fühle mich unwohl und eingeengt, obwohl die Hütte beziehungsweise Villa nicht gerade klein ist.

„Jetzt schau nicht so bedrückt", lacht Sam, „Wir bleiben nicht hier."

Damit drückt er auf einen Knopf an der Wand, die mir gegenüber liegt, der mir vorher garnicht aufgefallen ist. Augenblicklich bewegt sich der Tisch in der Mitte des Raumes fast lautlos zur Seite, mit ihm der Boden, wodurch eine  versteckte Treppe zum Vorschein kommt. Meine Kinnlade fällt in Richtung Boden. Ich muss gerade ganz schön bescheuert aussehen.

Sam geht die Treppe nach unten, nasse Fußspuren hinterlassend, ich hinter ihm. Ist es schlau, einem Fremden, der mich wahrscheinlich stalkt in einen dunklen Keller zu folgen? Nein. Hätte ich es im Nachhinein lieber lassen sollen? Schwierig. Mache ich es? Ja. Warum auch immer. Aber warum auch nicht? Was bleibt mir gerade anderes übrig? Außerdem ist der Keller nicht dunkel, sondern einladend hell. Aber er ist nicht in dieses unangenehme, weiße Licht getaucht wie der Raum über uns, eine Lampe spendet warmes, gelbliches Licht, das mich erleichtert aufatmen lässt. Hier unten ist es definitiv angenehmer als oben, es riecht auch nicht so streng, sondern eher nach Erde und Apfelkuchen. Nur dass hier nun gar keine Möbel stehen.

„Dein Freund wohnt noch nicht lange hier, was?", bemerke ich mit Blick auf die fehlende Einrichtung des Raumes. Sam dreht sich zu mir um.

„Oh, nein, da hast du was falsch verstanden. Erstens ist er nicht mein Freund, vielmehr mein Kollege. Zweitens wohnt er nicht hier, es ist ein Zugang zu unserer Arbeit."

Ich nicke stirnrunzelnd. Wenn seine Arbeit einen extra Zugang braucht, der mitten im Wald liegt, muss sie irgendwie geheim sein. Aber wieso sollte er mich dann herführen? Erst will ich fragen, was für eine Arbeit er meint, aber ich möchte nicht zu neugierig wirken. Nicht, dass es mich kümmert, was Sam über mich denkt, aber ich habe ein sehr ungutes Gefühl bei der Sache.

„Ok, und... Was machen wir jetzt? Einfach warten?", erkundige ich mich betont beiläufig, als würde es mich garnicht interessieren und als würde ich nur aus purer Langeweile fragen. Sam seufzt tief, dann sieht er mich entschuldigend an.

„Nein. Natürlich nicht." Er fährt sich durch die Haare, als wäre ihm irgendetwas unangenehm. „Was ich jetzt tun muss tut mir leid, aber ich habe meine Anweisungen."

Mir bleibt kaum Zeit, verwirrt den Mund zu öffnen, da wird mir ein Sack über den Kopf gestülpt. Ich schreie auf und will mir den Sack vom Kopf reißen, aber meine Hände sind aus irgendeinem Grund hinter meinem Rücken verbunden und mir steckt ein Knebel im Mund. Wie hat Sam mich so schnell fesseln können?

———

Ich weiß nicht genau, wo wir nun langlaufen, aber wir laufen schon lange, sehr lange. So lange, dass meine Füße von dem Gehen bereits schmerzen. Die ganze Zeit über entschuldigt sich Sam und meint, es sei nur zu meinem Besten. Ich will ihn anschreien, wie es zu meinem Besten sein soll, mich zu entführen, aber, naja, der Knebel.

Unter dem Sack wird es so langsam stickig, meine Handgelenke schmerzen unter den Fesseln, der Knebel schmeckt bitter. Ich hoffe, dass er neu ist, denn die Vorstellung, dass ihn vor mir schon hundert Leute im Mund hatten, finde ich nicht gerade schön, auch wenn das gerade wahrscheinlich mein kleinstes Problem ist, schließlich werde ich entführt. Ich vermute außerdem, dass ich von Kabelbindern gefesselt werde, denn sie sind zu hart und scharf für Seile. Obwohl mir Seile lieber wären. Die Kabelbinder schneiden mir in mein Handgelenk und ich es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie anfangen werden, zu bluten. Sam führt mich, indem er meine Handgelenke festhält und mich in die richtige Richtung lenkt, was auch nicht angenehm ist.
Noch dazu bin ich immer noch nass, was sich langsam auf den Sack abfärbt. Auch wird hier scheinbar nicht mehr so stark geheizt, denn ich fröstele mehr als nur ein Bisschen.

Nach einiger Zeit, ich kann mich mittlerweile kaum noch auf den Beinen halten, setzt Sam mich auf einen Stuhl ab. Oder auf etwas, dass sich anfühlt, wie ein Stuhl, denn sehen kann ich dank des Sacks ja immer noch nicht.
„Ok, hör zu:", fängt Sam an, „ich werde dir gleich etwas spritzen, das dir dabei hilft, dich zu entfalten."
Er betonte das entfalten dabei so, als wäre es etwas ganz Besonderes, sich überhaupt entfalten zu können. Aber meine Gedanken bleiben einzig und allein an dem Wort spritzen hängen. Ich hasse Spritzen. Daher bäume ich mich so stark ich kann gegen meine Fesseln, aber ich bin jetzt auch an den Stuhl gefesselt. Wann Sam das gemacht hat? Keine Ahnung, ist mir auch egal. Ich will nur hier weg, weg von Sam, weg von den Spritzen. Hätte ich mich nur nicht verfahren.

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