Etwas, dass ich schon immer schreiben wollte.

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Sie ist fort.

Ruckartig fuhr ich hoch, schweißgebadet und mit einem stechendem Druck in meinem Kopf; Es hörte einfach nicht auf, dieser Druck, dieser Schmerz, er war unerträglich und mein ständiger Begleiter in den letzten Tagen.
Ein Alptraum.
Mein Zimmer war dunkel, der Mond leuchtete hell aus meinem Fenster und es war kalt. Ein Wunder, dass ich schlafen konnte, eine Schande, dass ich es getan hatte. Meine Augen waren angeschwollen, meine Wangen gerötet und meine Haare durcheinander.
Ich atmete schwer aus und versuchte, wieder zur Ruhe zu kommen. Aber es war wie ein Sturm in mir, es hatte kein Ende und kein Anfang, mein Innerstes war ständig in Bewegung; mein Herz schlug schneller, mein Körper zitterte.
Hoffnungslos schaute ich aus dem Fenster und fühlte mich leer; ich konnte nichts machen. Ich konnte nicht helfen. Ich konnte mich nicht verabschieden, wenn es so weit kommen sollte.
Schmerzverzerrt schloß ich die Augen und merkte, wie ich schon wieder anfing zu weinen.
Meine beste Freundin ist im Krankenhaus.
Und ich kann nichts tun.
Diese Sätze begleiteten mich tagelang, seit meine beste Freundin ins Krankenhaus gebracht wurde. Sie lebte. Sie atmete. Aber sie schlief. Sie kämpfte ums überleben. Ein Kampf zwischen ihrem Herz und dem Leben: Wieso musste ausgerechnet an ihrem glücklichstem Tag seit langem so etwas schreckliches geschehen?
Eine Weile saß ich mit nassen Wangen im Bett, die Augen geschlossen und die Gedanken bei den Erinnerungen an den gräßlichen Tag.
Schmerzerfüllte Schreie, unerträgliche Ahnungslosigkeit, pure Hektik und das schlimmste: Das Läuten der Sirenen, die der atemlosen Stimme meiner Besten Freundin folgten.
Ich zog meine Beine an mein Körper und umklammerte sie mit dem Armen, den Kopf auf die Knie abgestüzt.
Dann fiel ich wieder in eine Heulattacke; ich wimmerte und zitterte und schnupfte.
Ich ließ meine innere Traurigkeit los, obwohl die Luft vor lauter Kummer feucht war und mein Zimmer noch unordentlicher als  sonst.
So saß ich, allein und bemitleidend bis ich etwas dumpfes vom Fenster hörte. Sofort hob ich den Kopf und sah eine Silhouette hinter der Scheibe.
Adam.
Abrupt stand ich auf, so schnell, dass mir schwindelig wurde. Ich richtete meine Haare und wischte die Tränen weg.
Was sucht er hier?
Erneut ein dumpfes Klopfen.
Ich sah, wie er den Kopf zu mir neigte, um mich sehen zu können. Ich bekam Panik. Adam durfte mich so nicht sehen. Er kannte schon genug Schwächen von mir, ich war nicht bereit mich ihm so entgegen zu stellen, ich fühlte mich... nackt.
Kaum geschützt.
Vorsichtig gehe ich auf mein Fenster zu, als wäre es eine tickende Zeitbombe, gefährlich anzusehen und erst recht anzufassen.
Ich öffnete das Fenster und kühle Luft drängte sich in mein mit Kummer gefülltes Zimmer.
Adam, mit einem schwarzen Kapuzenpullover und ermüdeter Miene, schaute mich an.
Schaute mich an, und sah mich.
Sah meine geröteten Augen, meine nassen Wangen, meine wilden Haare. Aber es war nicht alles, was er sah: Er sah meine Trauer, meine Hoffnungslosigkeit, mein Mitgefühl.
Denn genau das war auch auf seinem Gesicht geschrieben.
Seine Mundwinkel standen ziemlich weit unten, seine Miene war ernst, so ernst, dass es mir Angst einjagte. Ein Schauder durchfuhr mein Rücken, als er in mein Zimmer kletterte, wie so viele Male schon zuvor. Immer wenn er London besuchte, blieb kein Besuch bei mir erspart. Ich wusste nicht, wie sich das entwickelt hatte, eines Tages, als ich dreizehn war, war er einfach zu mir gekommen und hatte geklopft. Auch jetzt fühlte ich mich jung und naiv; die Wahrheit stand fest in meinen Augen geschrieben, ich musste mir nicht die Mühe machen es zu verstecken.
Vor allem nicht vor ihm.
Unser ganzes Leben lang hatten wir uns auch ohne Worte verstanden, unsere Blicke, unsere Anwesenheit war Kommunikation genug.
Genau wie jetzt.
Ich hasste es, dass mir diese Nächte gefielen, wo er mich besuchte. Es war ein unausgesprochenes Geheimnis zwischen uns, welches wir vor meiner besten Freundin versteckten.
Denn es war ihr Cousin.
Mein bester Freund und mein größter Erzfeind.
Meine Beine fühlten sich wackelig an, als er vor mir stand. Sein Atem ging unregelmäßig, leise und fast schon schwer. Ein unfassbar starke Welle der Kummer erfasste mich, als ich ihn so sah. Sein Charisma war verschwunden, sein Sarkasmus tief in sich eingeschlossen.
Und er wirkte diesesmal kaum einschüchternd, auch wenn er so groß war.
Trotzdem wand ich den Blick ab, weil es zu offensichtlich war: Ich war gebrochen, meine Energie kaum zu spüren, meine Lebensfreude verloren.
Er näherte sich mir heran und schaute zu mir runter. Seine dichten Wimpern senkten sich, als er mich erforschte. Ich wagte es nicht, etwas zu sagen, denn ich wusste, dass alles was ich raus bringen würde, nur lächerliche Geräusche sein würden. Und ich wollte nicht, dass er mich so hörte. Dass er mich so sah. So schwach und zerbrechlich.
Meine Sicht verschwamm.
"Chloe", brachte Adam raus, die Stimme atemlos und gebrochen. Ich schloss getroffen die Augen, als hätte er mir mit dem Messer gegen die Brust gestochen, so weh tat mein Name in seiner Erwähnung.
Dann spürte ich seine Hand, seine Finger auf meiner Wange, so zärtlich, so zurückhaltend, dass ich es fast nicht hätte bemerken können. Er strich mir die Haare aus dem Gesicht, eine schrecklich liebevolle Geste.
Doch am schlimmsten war, dass ich nicht wusste, ob ich ihn von mir schubsen, oder ihn an mich drücken sollte.
Unentschlossen stand ich einfach nur da und genoß seine Anwesenheit, obwohl ich das nicht sollte.
Und während ich in mir darum kämpfte, nicht zusammenzubrechen, zog er mich einfach näher zu sich heran, bis ich in seinen Armen lag. Wie ein Äffchen klammerte ich mich an ihn und suchte Sicherheit.
Doch was waren wir, ohne sie?
Auf Knopfdruck flossen meine Tränen die Wangen herunter, und ich hatte es satt, es zu verbergen. Wimmernd hielt ich mich an ihm fest. Und er ließ es sein. Ohne Einwand schlang er die Arme um mein Rücken und ich spürte deutlich seine Anspannung.
Und als die Welt zusammenbrach, die Wände immer näher kamen, mein Atem sich beschleunigte, da ließen wir uns nieder. Sitzend auf meinem unordentlichen Zimmer heulte ich mich bei ihm aus, wie ein Kind bei dem Vater.
"Ich kann nichts tun", wimmerte ich in seine Brust. Und er spielte mit meinen Haaren. "Keiner kann etwas tun", murmelte er.
Allmählich kam ich zur Ruhe. Ich wäre fast eingeschlafen, wäre fast wieder in ein Alptraum geraten, als er wieder anfing zu sprechen.
"Weißt du, du weinst wie mein kleiner Bruder wenn er hunger hat" Überrascht schaute ich ihm in die dunklen Augen. "Ich hab nur gewimmert, du Idiot", erwiderte ich und merkte gar nicht, dass ich grinste. Egal, ob er mit Kummer, Wut oder Angst zu kämpfen hatte, sein Humor blieb weiterhin bestehen.
Er lachte kurz auf und veranschaulichte seine weißen Zähne. Mir entfuhr auch ein Glucksen, und ich fühlte mich für eine Sekunde sorglos. Eine Sekunde, in dem ich kurz vergaß, wo ich war. Eine Sekunde, die ich genoss. Eine Sekunde, nicht lange, aber eine kleine Unendlichkeit.
Wenn man ein lieber Mistkerl sein konnte, dann war Adam genau das.

PS: Das ist ein kleiner ausgedachter Ausschnitt aus meinem ersten Roman "Broken Heart", diese Szene wollte ich schon immer mal schreiben, ich hoffe, es hat euch gefallen :)

Reden ist silber, Schreiben ist Gold --- Kurzgeschichten :)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt