Kapitel 13

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Emilia saß an ihrem Esstisch, eine Tasse Tee vor sich, als sie den neuen Brief in den Händen hielt. Sie hatte ihn in ihrem Briefkasten gefunden, zusammen mit Rechnungen und einer Werbebroschüre. Der Umschlag war schlicht und weiß, ohne Absender, aber sie erkannte die Handschrift sofort. Es war Annas.

Ihre Hände zitterten leicht, als sie den Brief öffnete. Sie zog das gefaltete Papier heraus und spürte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte. Langsam entfaltete sie das Papier und begann zu lesen.

Liebe Emilia,

Ich hoffe, der letzte Brief hat dich zum Nachdenken gebracht. Es tut mir leid, dass es so weit kommen muss, aber manchmal erfordert die Liebe zu einem Menschen harte Maßnahmen.

Ich möchte dir versichern, dass ich Severin sehr gut kenne und nur das Beste für ihn will. Du scheinst eine nette Frau zu sein, aber du verstehst nicht, dass er nicht für dich bestimmt ist. Er gehört zu mir.

Es ist mir nicht entgangen, dass du versuchst, Informationen über mich zu sammeln. Du suchst nach mir, aber glaub mir, ich habe dich schon längst gefunden. Ich weiß, wo du arbeitest, Emilia. Ich weiß sogar, dass du letzte Woche einen Termin beim Frauenarzt hattest. Was für ein schöner Gedanke, dass du so um deine Gesundheit besorgt bist. Es wäre doch schade, wenn jemand diesen friedlichen Alltag stören würde, findest du nicht?

Lass mich dir einen guten Rat geben: Halte dich von Severin fern. Wenn du das tust, wird nichts weiter passieren. Aber wenn du weitermachst, wenn du versuchst, mich zu bekämpfen oder dich in Dinge einzumischen, die dich nichts angehen, dann wird es Konsequenzen geben. Und ich verspreche dir, Emilia, dass diese Konsequenzen sehr real und sehr schmerzhaft sein werden.

Denk darüber nach. Ich werde dich beobachten.

Mit freundlichen Grüßen,

Anna

Emilia las den Brief mehrmals, unfähig zu glauben, was sie da in den Händen hielt. Eine kalte Angst kroch ihren Rücken hinauf, als sie die Worte erneut überflog. Anna wusste Dinge über sie, die sie eigentlich nicht wissen sollte. Ihre Arbeit, ihre Arzttermine — das waren private Details, die nur jemand erfahren konnte, der sie systematisch ausspionierte.

Sie stand auf, unfähig, still zu sitzen, und ging im Raum auf und ab. Die Wände ihrer Wohnung schienen plötzlich beängstigend eng, als ob sie sie einsperren würden. Ihr Verstand raste, suchte nach Erklärungen und Lösungen. Sie wusste, dass sie Severin informieren sollte, aber der Gedanke, ihm noch mehr Sorgen zu bereiten, hielt sie zurück. Er war ohnehin schon angespannt und belastet von der ganzen Situation.

Severin war sich der Gefahr bewusst, die Anna darstellte, aber er wusste nicht, wie nahe sie Emilia bereits gekommen war. Emilia erinnerte sich an die Nacht, in der Severin ihr von Lia erzählt hatte. Die Angst in seinen Augen, die Schuld. Sie konnte ihn nicht weiter belasten. Sie musste einen Weg finden, das selbst zu regeln, zumindest vorerst.

Sie zerknüllte den Brief und warf ihn in den Papierkorb, dann zog sie tief die Luft ein, versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Was konnte sie tun? Sollte sie zur Polizei gehen? Aber was würde sie sagen? Dass eine Frau sie bedrohte, die behauptete, Severins Seelenverwandte zu sein? Sie hatte nichts Handfestes, keine Beweise, nur eine Serie von bedrohlichen Briefen.

Als Severin später an diesem Abend nach Hause kam, bemühte sich Emilia, so normal wie möglich zu wirken. Sie zwang sich zu einem Lächeln, begrüßte ihn mit einem Kuss und fragte nach seinem Tag. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust, aber sie zwang sich, ruhig zu bleiben.

Severin merkte, dass etwas nicht stimmte, konnte aber nicht genau sagen, was. Emilia war gut darin, ihre Sorgen zu verbergen, und heute Abend war keine Ausnahme. Sie kochten zusammen, sprachen über alltägliche Dinge und lachten sogar. Doch im Hinterkopf spürte Emilia ständig die Anwesenheit von Annas Drohung, wie ein dunkler Schatten, der über ihnen schwebte.

In der Nacht, als sie sich ins Bett legten, drückte Severin sie fest an sich. „Ich liebe dich," flüsterte er, seine Stimme war voller Wärme und Zärtlichkeit. Emilia lächelte, obwohl ihr Herz schmerzte. „Ich liebe dich auch," flüsterte sie zurück, aber in ihrem Inneren tobte ein Sturm aus Angst und Unsicherheit.

Die Nacht war ruhig, aber Emilia konnte kaum schlafen. Ihre Gedanken kreisten um Anna und die Drohungen, die sie ausgesprochen hatte. Wie viel wusste Anna wirklich? War sie tatsächlich in der Lage, ihre Drohungen wahrzumachen? Und wenn ja, was sollte Emilia tun?

Am nächsten Morgen war Emilia noch immer aufgewühlt, aber sie zwang sich, ihre Sorgen zu verbergen. Sie küsste Severin zum Abschied, als er zur Arbeit ging, und blieb eine Weile an der Tür stehen, nachdem sie sich geschlossen hatte. Ihr Herz war schwer, und sie fühlte sich einsam und isoliert.

In der Zwischenzeit nahm sie sich vor, vorsichtig zu sein, besonders in der Öffentlichkeit. Sie beschloss, ihre sozialen Medien noch einmal zu überprüfen und sicherzustellen, dass ihre Privatsphäre-Einstellungen so hoch wie möglich waren. Außerdem würde sie versuchen, ihre Bewegungen weniger vorhersehbar zu machen. Sie wusste, dass diese Maßnahmen vielleicht nicht viel brachten, aber sie musste zumindest das Gefühl haben, etwas zu tun.

Emilia rief ihre beste Freundin Clara an und bat sie um ein Treffen. Sie brauchte jemanden, mit dem sie reden konnte, jemanden, dem sie vertraute. Als Clara kam, zögerte Emilia, ihr von dem neuen Brief zu erzählen, aber schließlich tat sie es. Sie zeigte Clara die zerknitterten Seiten, die sie aus dem Papierkorb gefischt hatte.

„Das ist nicht gut," sagte Clara, als sie den Brief las, ihre Stirn in Falten gelegt. „Sie weiß viel zu viel über dich. Und diese Drohungen... das kann man nicht einfach ignorieren."

Emilia nickte, unsicher, was sie als nächstes tun sollte. „Ich weiß, aber ich möchte Severin nicht noch mehr belasten. Er ist schon so angespannt wegen der ganzen Sache mit Lia. Und ehrlich gesagt, ich weiß nicht, ob ich die Polizei einschalten sollte. Sie könnten denken, dass ich überreagiere."

Clara legte eine Hand auf Emilias Schulter. „Du überreagierst nicht. Diese Frau klingt gefährlich. Und es geht nicht nur um dich, Emilia. Es geht auch um Severin. Du kannst das nicht alleine durchstehen. Und die Polizei... sie sollten zumindest informiert sein, falls etwas passiert."

Emilia sah Clara in die Augen und spürte eine Welle der Dankbarkeit. Sie hatte Recht. Sie konnte das nicht alleine tragen. „Vielleicht hast du recht. Ich werde darüber nachdenken."

Die beiden Frauen verbrachten den Rest des Nachmittags zusammen, sprachen über andere Dinge, versuchten, die Dunkelheit, die Annas Brief mit sich gebracht hatte, zu vertreiben. Doch in Emilias Herz blieb die Angst. Sie wusste, dass sie eine Entscheidung treffen musste, und zwar bald. Anna war gefährlich, und die Bedrohung schien realer denn je.

An diesem Abend, als Severin nach Hause kam, beschloss Emilia, ihm nichts von dem Brief zu erzählen. Sie lächelte, küsste ihn und tat so, als wäre alles in Ordnung. Aber innerlich wusste sie, dass sie sich auf eine Konfrontation mit Anna vorbereiten musste. Sie konnte nicht zulassen, dass diese Frau ihr Leben zerstörte.

In den folgenden Tagen blieb Emilia vorsichtig, beobachtete ihre Umgebung genau und versuchte, ihre Routinen zu ändern. Sie vermied es, allein unterwegs zu sein, und ließ ihre Freunde und Familie wissen, dass sie wachsam sein sollten. Doch die Unruhe blieb, ein ständiger Begleiter in ihrem Leben.

Severin bemerkte ihre veränderte Stimmung, aber Emilia versicherte ihm, dass alles in Ordnung sei. Sie sagte, sie sei einfach nur müde und gestresst von der Arbeit. Doch in Wahrheit wartete sie jeden Tag darauf, dass Anna erneut zuschlug, auf welche Weise auch immer.

Die Tage vergingen, und Emilia versuchte, ihre Angst zu verdrängen. Doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass sie sich Anna stellen musste, um endlich Frieden zu finden. Sie konnte nicht ewig weglaufen. Und sie wusste, dass der Moment der Wahrheit näher rückte.

Sonnenaufgang im Herzen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt