Kapitel 17

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Emilia saß auf dem Untersuchungstisch, ihre Hände fest auf ihren Schoß gepresst, während sie die Worte des Arztes kaum glauben konnte. „Sie sind schwanger", hatte er gesagt, seine Stimme ruhig und professionell, als ob er solche Nachrichten täglich überbringen würde. Doch für Emilia fühlte sich dieser Moment wie ein Schlag in die Magengrube an.

„Ich bin was?!" fragte sie, ihr Kopf schien sich in einem dichten Nebel zu befinden, ihre Gedanken wirbelten durcheinander. Die Realität dieser Nachricht war wie ein Schock, der durch ihren ganzen Körper ging.

Der Arzt nickte verständnisvoll, doch Emilia spürte seine Worte kaum. „Ja, die Tests sind eindeutig. Sie sind etwa in der sechsten Woche. Wir sollten einen weiteren Termin vereinbaren, um..."

„Nein... das kann nicht sein... das geht jetzt nicht..." stammelte sie, unfähig, den Gedanken zu fassen. Ihre Hände zitterten, als der Arzt ihr das Ultraschallbild reichte – ein winziger Fleck, der alles veränderte.

„Frau Reichert, wir müssen noch einen Termin ausmachen", versuchte der Arzt es erneut, doch seine Worte prallten an ihrer Verwirrung ab.

Völlig in Trance nahm Emilia das Bild und stand auf. Ihre Beine fühlten sich schwach an, und die Welt um sie herum schien sich zu drehen. Ohne ein weiteres Wort verließ sie die Praxis, die Tür fiel hinter ihr ins Schloss, und sie stand plötzlich draußen, unter dem klaren Himmel, der sich in einer zynischen Ruhe über die Stadt spannte.

Die kalte Luft traf sie wie ein Schlag, und ihre Tränen brachen frei. Sie schaute auf das Ultraschallbild in ihrer Hand und fühlte eine überwältigende Flut von Gefühlen – Angst, Verzweiflung, ein Hauch von Freude, der sofort wieder von Panik überschattet wurde. Ein Kind? Jetzt? Inmitten all dieses Chaos, mit einer psychopathischen Ex-Freundin, die sie bedrohte und einer Beziehung, die gerade in Trümmern lag?

Emilia fühlte sich, als würde sie in einem Albtraum gefangen sein, aus dem sie nicht entkommen konnte. Ihre Gedanken wanderten zu Severin, doch sie konnte sich nicht überwinden, ihm die Wahrheit zu sagen. Wie konnte sie ihm das jetzt noch erzählen, wo sie ihn gerade verlassen hatte, um ihn zu schützen?

Als sie sich die Tränen aus den Augen wischte, hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Sie blickte sich um, doch die Straße schien leer. Vielleicht war es nur Einbildung, eine Folge der ständigen Anspannung und des Drucks, unter dem sie stand. Doch irgendwo in ihrem Unterbewusstsein nistete sich die Furcht ein, dass Anna vielleicht immer noch in ihrem Leben herumspukte, wie ein unsichtbarer Schatten, der sie verfolgte.

Mit schweren Schritten ging Emilia zu ihrem Auto, stieg ein und setzte sich, ihre Hände fest um das Lenkrad geklammert. Das Ultraschallbild lag auf dem Beifahrersitz, ein stummer Zeuge ihrer neuen Realität. Ihre Gedanken rasten. Was sollte sie tun? Wie konnte sie weiterleben, als wäre nichts geschehen? Sie konnte dieses Kind nicht verheimlichen, aber sie konnte auch nicht riskieren, dass Anna davon erfuhr.

Die Stunden vergingen wie in einem wirren, verschwommenen Traum. Emilia war unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn eine Entscheidung zu treffen. Ihre einzige Sicherheit war, dass sie Severin nicht weiter belasten wollte. Doch die Verantwortung, die nun auf ihren Schultern lastete, fühlte sich unerträglich an. Die Vorstellung, Mutter zu werden, hätte sie unter anderen Umständen vielleicht gefreut, doch jetzt schien es wie eine zusätzliche Bürde, eine weitere Unwägbarkeit in einem ohnehin schon unkontrollierbaren Leben.

Sie fuhr schließlich nach Hause, wo sie sich auf ihr Bett fallen ließ, das Gesicht in den Händen vergraben. Ihre Gedanken waren ein wirres Durcheinander aus Furcht, Trauer und einer stillen, unausgesprochenen Hoffnung. Sie fühlte sich verloren, gefangen in einer Situation, die sie nicht verstehen konnte.

Am nächsten Morgen wachte Emilia auf, als hätte sie in einem düsteren Traum gefangen gelegen. Das Ultraschallbild lag noch immer auf dem Nachttisch, eine Erinnerung an die Realität, die sie einholen würde, egal wie sehr sie versuchte, sie zu verdrängen. Sie wusste, dass sie irgendwann eine Entscheidung treffen musste, aber der Gedanke daran lähmte sie.

Der Tag verstrich in einem nebulösen Zustand, während Emilia versuchte, sich abzulenken. Sie konnte Severins Anrufe nicht beantworten, konnte seine Nachrichten nicht lesen. Jeder Gedanke an ihn verstärkte nur die innere Zerrissenheit, die sie empfand. Wie sollte sie ihm das erklären? Wie könnte sie ihm sagen, dass er Vater wird, wenn ihre Beziehung bereits in Trümmern lag? Und was würde Anna tun, wenn sie es herausfand?

Während sie in ihrer Wohnung saß, das Foto betrachtend, spürte sie plötzlich eine beunruhigende Präsenz. Ein Schauder lief ihr über den Rücken, als hätte sie tatsächlich jemanden in ihrer Nähe gespürt. Sie drehte sich um, sah aber niemanden. Die Wohnung war leer und still. Doch das Gefühl der Beobachtung blieb. War es Anna? Verfolgte sie sie? Oder waren es nur ihre Nerven, die ihr einen Streich spielten?

Die Vorstellung, dass Anna noch immer in ihrem Leben präsent war, beunruhigte sie zutiefst. Sie wusste, dass diese Frau gefährlich war, dass sie zu allem fähig war, um das zu bekommen, was sie wollte. Und jetzt, mit dem Wissen um die Schwangerschaft, schien die Bedrohung noch realer.

Emilia beschloss, sich nicht weiter von ihrer Angst leiten zu lassen. Sie musste stark sein, für sich selbst und für das Kind, das sie unter ihrem Herzen trug. Sie wusste, dass sie sich früher oder später der Realität stellen und eine Entscheidung treffen musste, wie es weitergehen sollte. Aber vorerst beschloss sie, ihre Gedanken zu ordnen und zu überlegen, was der beste Weg war, um sich und das ungeborene Kind zu schützen.

Die nächsten Tage waren ein Balanceakt zwischen Verdrängung und der unerbittlichen Rückkehr zur Realität. Emilia versuchte, ihre Arbeit normal weiterzuführen, doch immer wieder wurde sie von der Angst und der Unsicherheit überwältigt. Sie hatte Angst, dass Anna ihre Drohungen wahrmachen könnte, dass sie Severin oder ihr selbst schaden könnte. Und sie hatte Angst davor, dass sie, wenn sie Severin alles erzählte, seine Wut und seinen Schmerz nicht ertragen könnte.

An einem Abend, als sie alleine auf ihrer Couch saß, klingelte das Telefon erneut. Es war Severin. Dieses Mal entschied sie sich, den Anruf anzunehmen, konnte aber kaum ein Wort herausbringen, als sie seine Stimme hörte. Er klang besorgt und zugleich verletzt, und Emilia fühlte, wie die Schuld sie überwältigte.

„Emilia, bitte, wir müssen reden. Was ist los? Warum tust du das?" fragte er, seine Stimme zitterte leicht.

Sie atmete tief durch, ihre Gedanken rasten. „Severin, es tut mir leid. Ich kann das jetzt nicht..."

„Du kannst mich nicht einfach aus deinem Leben ausschließen. Es muss einen Grund geben. Ist es wegen Anna? Hast du wieder etwas von ihr gehört?"

Emilia schloss die Augen, Tränen liefen über ihre Wangen. Sie wollte ihm die Wahrheit sagen, wollte alles erklären, doch die Worte kamen nicht heraus. Stattdessen sagte sie leise: „Es ist besser so. Bitte, versteh das."

„Besser für wen? Emilia, ich liebe dich. Ich kann das nicht akzeptieren, ohne eine Erklärung zu bekommen. Du bist alles für mich."

Ihre Hände zitterten, als sie das Telefon fester hielt. „Ich kann das jetzt nicht erklären. Ich brauche Zeit."

„Zeit für was? Um dich zu verstecken? Um mich wegzustoßen?" Severins Stimme wurde lauter, seine Verzweiflung offensichtlich. „Emilia, bitte..."

Doch Emilia legte auf, unfähig, das Gespräch fortzusetzen. Sie saß in der Dunkelheit, die Stille drückend und unerträglich. Das Bild des Ultraschalls lag immer noch auf dem Tisch, eine stumme Erinnerung an die unausweichliche Wahrheit, die sie so verzweifelt zu verbergen versuchte.

Die Tage vergingen in einem nebligen, bedrückenden Zustand, und Emilia wusste, dass sie nicht ewig vor der Wahrheit fliehen konnte. Sie würde eine Entscheidung treffen müssen, sowohl für sich selbst als auch für das Kind. Aber im Moment fühlte sie sich wie ein Boot, das in einem Sturm gefangen war, ohne Land in Sicht.

Während sie alleine saß, konnte sie nicht aufhören, über die letzten Wochen nachzudenken – die Bedrohungen, die Angst, die Liebe zu Severin, die jetzt mit dem Wissen um ihre Schwangerschaft noch komplizierter war. Sie wusste, dass sie eine Lösung finden musste, um mit all dem umzugehen, aber die Unsicherheit und die Angst machten es schwer, einen klaren Weg zu sehen.

In ihrem Herzen hoffte Emilia, dass sie irgendwann den Mut finden würde, Severin alles zu sagen. Vielleicht würde er verstehen, vielleicht würde er ihr helfen, einen Weg durch dieses Chaos zu finden.

Sonnenaufgang im Herzen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt