Emilia stand in der kleinen Kaffee-Küche ihres Büros, die Hände um eine Tasse heißer Schokolade geschlungen. Sie hatte eine unruhige Nacht hinter sich, ihre Gedanken waren unaufhörlich um Annas letzten Brief gekreist. Die Drohungen, die subtilen Hinweise, dass sie beobachtet wurde – alles hatte ihre Nerven bis zum Zerreißen gespannt. Sie hatte sich fest vorgenommen, Severin alles zu erzählen, sobald sie zu Hause waren, doch der Gedanke, ihn noch mehr zu belasten, ließ sie zögern.
Plötzlich hörte sie eine Stimme von draußen: „Ein Päckchen für Emilia Reichert!" Die Worte hallten durch den Raum und ließen sie erstarren. Ihre Tasse klapperte, als sie sie auf die Ablage stellte. Wer konnte ihr ein Paket geschickt haben? Ohne sich dessen bewusst zu sein, hielt sie den Atem an. Ihre Gedanken rasten, sie erinnerte sich an die Drohungen im letzten Brief, an die unheimlichen Hinweise darauf, dass Anna genau wusste, wo sie arbeitete.
„Hier! Stellen Sie es bitte dort ab," rief sie schließlich, ihre Stimme zitterte leicht. Sie zeigte auf ihren Schreibtisch, unsicher, ob sie überhaupt das Paket sehen wollte. Die Angst kroch wie ein kalter Schatten in ihren Nacken.
Als sie das Büro betrat, sah sie Clara, ihre beste Freundin und Kollegin, bereits neugierig neben dem Schreibtisch stehen. „Was ist das?" fragte Clara und warf Emilia einen besorgten Blick zu. Die Spannung im Raum war greifbar.
Emilia ging zögernd auf das Paket zu. Es war unscheinbar verpackt, in braunem Karton, ohne Absender, nur mit ihrem Namen darauf. Ihre Finger zitterten, als sie nach einer Schere griff und die Kante aufschlitzte. Für einen Moment sah sie Clara an, die ihr ermutigend zunickte, obwohl auch in ihren Augen eine Spur von Unruhe lag.
Vorsichtig öffnete Emilia den Karton. Er war mit Papier ausgepolstert. Sie schob das Papier zur Seite, und darunter kam ein strahlend rotes Kleid zum Vorschein. Es war elegant, aus seidigem Stoff, der in sanften Falten fiel. Ein atemberaubendes Kleid, das in einem Geschäft sicher eine beträchtliche Summe gekostet hätte.
Neben dem Kleid lag ein Brief. Ihr Herz klopfte schneller, als sie ihn herauszog. Ihre Hände zitterten stärker, als sie den Umschlag öffnete und das Blatt Papier herauszog. Für einen Moment hatte sie Angst, dass es wieder eine Nachricht von Anna sein könnte, aber dann erkannte sie die Handschrift.
Es war Severins.
Liebe Emilia,
ich wollte dich mit einem besonderen Abend überraschen. Dieses Kleid ist für dich – ich hoffe, es gefällt dir. Wir haben in letzter Zeit so viel durchgemacht, und ich möchte uns einen schönen Abend schenken, an dem wir all das hinter uns lassen können. Ein romantisches Dinner nur für uns zwei, damit wir uns an die Liebe erinnern, die wir teilen. Zieh das Kleid an und sei bereit, wenn ich dich abhole. Ich freue mich auf dich.
In Liebe,
SeverinEmilia las den Brief zweimal, ihre Anspannung löste sich langsam. Ein Gefühl der Erleichterung durchflutete sie. Es war nicht Anna, sondern Severin, der ihr dieses Paket geschickt hatte. Die letzten Tage hatten sie so paranoid gemacht, dass sie sofort das Schlimmste erwartet hatte. Sie atmete tief durch, spürte, wie ihre Muskeln sich lockerten.
„Es ist von Severin," sagte sie schließlich, ihre Stimme klang fast erstaunt. „Er plant ein romantisches Dinner."
Clara lächelte erleichtert. „Das ist ja wundervoll! Und das Kleid..." Sie berührte den Stoff, ließ ihn durch ihre Finger gleiten. „Es ist wunderschön."
Emilia nickte, strich sanft über den Stoff. Das Kleid war wirklich traumhaft. „Ja, das ist es," murmelte sie, noch immer ein wenig überwältigt. Sie konnte kaum glauben, dass Severin sich so eine Geste überlegt hatte, besonders jetzt, wo alles so kompliziert war.
Der restliche Arbeitstag verlief ruhiger. Emilia hatte das Kleid in ihrem Büro aufgehängt, und es zog immer wieder ihre Blicke auf sich. Die Vorfreude auf den Abend mischte sich mit einem Gefühl der Unsicherheit. Sie wollte diesen Abend genießen, aber die Bedrohung durch Anna schwebte wie eine dunkle Wolke über ihren Gedanken.
Als der Arbeitstag zu Ende ging, verabschiedete sich Emilia von ihren Kollegen und fuhr nach Hause. Sie warf einen letzten Blick auf das rote Kleid, bevor sie es in ihre Tasche packte. Auf dem Heimweg versuchte sie, ihre Gedanken zu ordnen, sich auf den Abend mit Severin zu freuen und die düsteren Gedanken beiseitezuschieben.
Zuhause angekommen, bereitete sie sich auf den Abend vor. Sie duschte, machte sich die Haare und zog schließlich das rote Kleid an. Es passte perfekt und fühlte sich angenehm kühl auf ihrer Haut an. Als sie sich im Spiegel betrachtete, fühlte sie sich für einen Moment wie eine Figur aus einem romantischen Film, fern von all den Sorgen und Ängsten.
Pünktlich, wie angekündigt, klingelte es an der Tür. Severin stand dort, in einem eleganten Anzug, mit einem Lächeln, das sein Gesicht erhellte. In seinen Händen hielt er einen Strauß roter Rosen.
„Du siehst umwerfend aus," sagte er, seine Stimme warm und voller Bewunderung. Emilia lächelte und nahm die Blumen entgegen, ihre Sorgen schienen für einen Moment vergessen.
„Danke," sagte sie leise, spürte, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten, aber es waren keine Tränen der Angst oder des Kummers, sondern der Rührung. Sie wusste, dass Severin sie liebte und dass er versuchte, das Beste aus einer schwierigen Situation zu machen.
Der Abend verlief magisch. Severin führte Emilia zu einem kleinen, aber eleganten Restaurant, das mit Kerzenlicht und leiser Musik eine intime Atmosphäre schuf. Sie sprachen über alles und nichts, lachten und genossen das exquisite Essen. Es war, als hätten sie einen Moment der Normalität inmitten des Chaos gefunden, das ihr Leben zu bestimmen schien.
Doch trotz der schönen Umgebung und des liebevollen Miteinanders blieb Emilias Gedanken immer wieder an Anna hängen. Sie fragte sich, ob diese unerwartete Freude nur die Ruhe vor dem Sturm war. Aber sie zwang sich, den Moment zu genießen, jeden Augenblick der Liebe und des Glücks in sich aufzunehmen.
Als sie später an diesem Abend nach Hause kamen, spürte Emilia eine Mischung aus Erleichterung und Erschöpfung. Der Abend hatte ihr gezeigt, wie stark ihre Beziehung zu Severin war, aber auch, dass die Schatten der Vergangenheit sie immer noch verfolgten.
„Danke für diesen wunderschönen Abend," sagte Emilia, als sie gemeinsam in die Wohnung traten. Sie lehnte sich an Severin, spürte die Wärme seiner Umarmung.
„Es war mir eine Freude," antwortete Severin sanft. „Ich wollte, dass wir uns an das erinnern, was wirklich zählt. Uns."
Emilia nickte und fühlte sich für einen Moment sicher. Doch als sie sich zur Ruhe legten, konnte sie nicht anders, als sich zu fragen, wie lange dieser Frieden anhalten würde. Die Drohung, die in Annas letzten Briefen lag, war nicht verschwunden, und Emilia wusste, dass sie irgendwann die Wahrheit ans Licht bringen musste. Aber für diesen einen Abend entschied sie sich, die Sorgen beiseitezuschieben und einfach nur im Arm ihres Liebsten zu sein.
Und so schliefen sie ein, eng umschlungen, im Glauben, dass die Liebe alles überwinden konnte, selbst die dunkelsten Schatten. Doch tief in Emilias Herzen nagte die Sorge, dass die Ruhe, die sie gefunden hatten, nur von kurzer Dauer sein würde.
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Sonnenaufgang im Herzen
RomanceAn einem magischen Sommerabend, als die Welt in goldenen Farben erstrahlt und die Zeit stillzustehen scheint, finden sich Emilia und Severin auf einem kleinen Steg am Rande eines ruhigen Sees wieder. Umgeben von der Wärme einer sanften Brise und dem...