Kapitel 5

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Im Vergleich zu dem Riesenanwesen, in der es nach Vermögen und Reichtum riecht, ist das alte Badehaus nichts. Anders als hier gibt es keine aufgeplatzten Rohre, aus den dreckiges Regenwasser tropft und die Ratten Zuflucht zwischen den zugewachsenen Gräsern und den zersplitterten Fensterscheiben suchen.

So richtig erleichtert bin ich jedoch nicht, als ich in das angenehm warme Anwesen trete und von Angestellten begrüßt werde, denn ich bin immer noch halbnackt. Ich werde wie Vieh behandelt und schäme mich vor den Blicken der Bediensteten, die eilig an uns vorbei huschen und von der nächsten Ecke verschluckt werden.

Meine nackten Füße treffen auf das Parkett, während wir durch den breiten Flur gehen und vielerlei Portraits die Wand füllen. Schon am Eingang und bei der Wendeltreppe ist mir aufgefallen, dass das eine traditionelle und große Familie zu sein scheint. Sie legen Wert auf Kleidung, die räumliche Gestaltung und der Präsenz jedes der Familienmitglieder. Selten gibt es ein Bild, in dem einer fehlt. Es sind Einzel oder Familienportraits, aber ich habe keine Ahnung, wie sie zueinanderstehen. Vielleicht sind es bloß Geschäftspartner, Cousins oder ferne Bekannte.

Wir halten an, der Verlauf der Waffe fest an meiner Schläfe gedrückt. Der mir noch unbekannte Mann öffnet die Tür, hinter der leises Gestöhne erklingt.

Kurz darauf klagt eine Stimme nach Schmerzen. »Fuck! Nimmt mir diese scheiß Kugel aus dem Körper!«

»Er ist wieder wach?«

»Ja, vor fünf Minuten ist er aufgewacht«, brummt der breitere, der mich vorhin festgenommen hat, wie eine Schwerverbrecherin. Neben ihn steht ein Junge, der weitaus jünger als ich sein müsste, und auf dem Bett, der inmitten des prächtigen Raumes steht, liegt ein Kerl. Sein Verband getränkt in Blut, wodurch ein Schauer über meine Wirbelsäule kriecht.

Ich habe keine Zeit mich umzusehen oder die Situation einzuschätzen, in der ich gelandet war, denn Jaxon schubst mich in Richtung des Bettes. Alle im Raum sehen mich Erwartungsvoll an, hingegen ich völlig verwirrt und desorientiert bin.

»Was?« ist das Einzige, was ich über die Lippen bringe.

»Frag nicht so doof und behandle ihn«, knurrt Jaxon zur Antwort. Ich hebe meine Augenbrauen und sehe zum Verletzten.

»Verdammt, ich lasse mich doch nicht von einer Hure verarzten!«, zischt jener Mann und verzieht schmerzerfüllt das Gesicht. Die Schusswunde ist Oberhalb seiner Brust, dass er lebt und die Kugel überhaupt sein Herz knapp verfehlt hat, ist ein Wunder. Seine tiefschwarzen Haare sind völlig verschwitzt und kleben in seinem Gesicht. Als er versucht sich aufzusetzen, fällt er zurück und grollt.

»Sei nicht so stur. Sie ist Ärztin und wird dir helfen!«, mahnt der Vater von Jaxon. Ich vermute, dass sie alle in diesem Raum verwandt sind und er der Vater der Bande ist – das Oberhaupt. Mein Herz trommelt um eine Nuance schneller und für ein winzigen Moment vergesse ich zu atmen. Dann, ganz vorsichtig, hebe ich meine Hand zum Verband. Doch der schwarzhaarige stoßt sie weg, als wäre ich Dreck.

Allein dafür, dass er mich Hure genannt hat, sollte ich ihn verbluten lassen und dann auch noch meine Hand wegzuschlagen, obwohl ich seine Einzige Notlösung bin, ist dreist! Aber ich kann nicht anders, als einen Verletzten zu helfen, denn das macht mich aus.

»Alessandro, lass sie dir diese Kugel entfernen!«

»Ein Scheiß werde ich tun lassen!«

»Hat mal einer an mich gedacht?«, frage ich gereizt. »Ich bin Assistenzärztin und kein Chirurg!«

»Du wirst tun, was man dir sagt«, droht Jaxon hinter mir und übt Druck auf meinen Hinterkopf aus.

Meine Nackenhaare stehen zu Berge. »Mit einer Waffe am Kopf macht ihr mich nur nervöser«, fauche ich.

Es nervt mich, dass ich nicht nur von den Kunden in der Bar angemacht wurde, sondern auch, dass mein Helferinstinkt mich in Gefahr gebracht hat und ich entführt, betäubt und gefesselt wurde. Nicht zu vergessen, dass mir eine Waffe an den Kopf gehalten und er schießen wird, wenn ich nicht seinen Befehlen gerecht werde. »Ihr habt echt kein Feingefühl, was!?«

Ich bin müde, erschöpft von der Demütigung und den Torturen. Aber ich weiß, dass ich jetzt keine Schwäche zeigen darf, denn vor mir liegt Jemand, der heute noch sterben könnte und das würde ich mir nie verzeihen. Selbst wenn jener ein Schwerverbrecher ist.

Tief atme ich durch meine Nasenlöcher ein und durch den Mund wieder aus. Dann richte ich mich, als wäre nie etwas gewesen, an den breiteren. »Gibt es Austrittswunden? Verdammt ich bräuchte ein Röntgenbild! Ich brauche Wundpolster, Tamponaden und Binden. Zunächst muss die Blutung gestoppt werden.«

»Ich werde mich nicht ...« Noch bevor der schwarzhaarige seinen Satz beenden kann, fallen seine Lider zu und er wird bewusstlos. Ich beiße mir auf die Zunge. Einerseits bin ich froh, dass er Ruhe gibt und mich nicht stören wird, doch andererseits ist es schlecht, denn so weiß ich nicht, ob er einigermaßen stabil ist.

Rasch bin ich an seiner Seite, beuge mich zu ihm und bemerke, wie mein Herz höher pocht, als ich sein Atem teste. Sein Puls ist gleichmäßig, aber schwach, deswegen verschwende ich keine Zeit, öffne den Verband und nehme die Utensilien, die mir auf Anweisung gebracht wurden.

Nach etlichen Stunden, in denen ich Notgedrungen die Kugel entfernt und meinen Patienten behandelt habe, sacke ich erschöpft neben ihn zusammen. Die Wunde ist gut versorgt, zugenäht und ich hatte Glück, dass die Kugel nicht in einzelne Splitter zerfallen ist.

Für einen Moment halte ich inne, schließe meine Augen und lasse alles in Revue passieren. Dabei ignoriere ich, dass ich immer noch halbnackt und mittlerweile mit Blut besudelt bin. Ich bin zu müde, um mich um mich selbst zu kümmern oder mich darum zu beschäftigen, dass ich gefangen in einem Zimmer voller Krimineller bin. Der Raum ist mit Stille und Seufzern der Erleichterung erfüllt.

Es war eine gute Idee einen Tag lang bei Dr. Brown assistieren zu dürfen! Dr. Brown ist eine ausgesprochen gute Chirurgin, die ein gutes Händchen dafür hat, Menschen auf dem Tablett zu operieren. Ich hatte einmal die Chance, weil ich eine Wette mit einem anderen Assistenzarzt in der Ausbildung abgeschlossen und gewonnen hatte, Dr. Brown zu zusehen. Gelegentlich durfte ich helfen und das Skalpell führen oder die Naht vollenden.

Es war eine coole und hilfreiche Erfahrung, denn obwohl es mir Spaß gemacht hat, und ich fasziniert von ihrer Arbeit war, habe ich dadurch meinen Weg zum Traum als Ärztin gefunden.

Noch bevor ich etwas dagegen tun kann, falle ich in einen endlos langen Schlaf, neben einen der gefährlichsten Männer: von den ich nur noch nicht weiß, dass er mir zum Verhängnis wird.

Als ich wieder aufwache, bin ich gefesselt.

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Weil ich erst einmal eine Pause einlege, werdet ihr weniger von mir hören bzw. lesen. Ich habe einige Kapitel mit Datum und Zeit versehen, die dann an den jeweiligen Daten veröffentlicht werden.

XOXO
P. E.

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Hell's heartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt