Ich zeigte es ihr nicht, um sie nicht zu verunsichern, jedoch beschäftigte mich ihre Herkunft immens. Wie konnte dieser wunderschöne schlafende Engel direkt neben mir, die Tochter des derzeit gefährlichsten Jägers sein? Auch war mir nicht wirklich klar, ob sie von den Machenschaften ihres Vaters wusste. Allerdings fragte ich mich, weshalb sie sonst versuchte vor ihrem früheren Leben zu entkommen. Je länger ich darüber nachdachte, umso sicherer wurde ich mir, dass es sich dabei um Selbstschutz handelte. Wenn bestimmte Dämonen davon wüssten, würde man zweifelsfrei versuchen sie auszulöschen. Auf der anderen Seite verschmähte sie nicht nur ihren Namen, sondern auch alles, was mit ihrer Familie in Verbindung stand, was mich ins Schwanken brachte. Ich musste einfach Antworten finden und schlich mich leise aus meinem Schlafgemach, ohne sie dabei zu wecken. Es war zwar riskant, aber wenn ich etwas herausfinden wollte, musste ich in ihre Welt reisen und ihrem Elternhaus einen Besuch abstatten. Wenn ich Glück haben würden, könnte ich unbemerkt in ihren Geist eindringen und mir ihre Erinnerungen zu eigen machen. Die letzte Begegnung, die ich mit Aurel von Jüchen hatte, endete zwar glimpflich, aber ich musste einfach wissen, wie er zu seiner Tochter stand. Ich betrat die Bibliothek und beschwor kurzerhand mein Grimoire, welches auf magische Weise erschien. Sobald ich es in meinen Händen hielt, lenkte ich meine geballte Konzentration auf dieses Buch, sodass eine bestimmte Seite, wie von selbst aufschlug. Mein Grimoire half mir dabei, zwischen den Welten zu wandeln und erlaubte es mir, an genau die Orte zu reisen, zu denen ich wollte oder musste. Meine Augen glühten in der Dunkelheit und mit einer geübten Handbewegung erschuf ich ein Portal, durch welches ich hindurch ging. Ich weiß nicht, wie oft ich dies bereits getan hatte, aber jedes Mal aufs Neue, war es ein eigenartiges, einengendes Gefühl. Da die Menschen unter dem Schutz Gottes standen, diesem Narren, konnte ich meine Kräfte nicht vollständig nutzen, was einige Situationen erschweren konnte. Die Menschenwelt hatte eben ihre eigenen Regeln. Meine Gestalt wandelte sich und im nächsten Augenblick befand ich mich in einem verlassenen Zimmer, dessen Möbel vollständig verhüllt waren. Ich bewegte mich, wie ein Schatten, durch den Mondlichtdurchfluteten Raum. War ich wirklich in ihrem ehemaligen Zimmer gelandet? Wobei das Wort Zimmer nicht die richtige Bezeichnung dafür war, weil es ziemlich groß war. Lautlos und vorsichtig zog ich ein Tuch, welches ein Wandbild verdeckte, beiseite und tatsächlich! Da sah ich sie. So jung, anmutig, schön und... unglücklich. Ihre Haltung verriet es vielleicht nicht auf den ersten Blick aber ihre Augen. Glasig, kühl und ohne jegliche Lebensfreude. Es war, als würde man ins Nichts blicken und es traf mich zutiefst, sie so zu sehen. Ich sah mich weiter um und erspähte etwas, was einem Schreibtisch ähnelte. Jackpot, dachte ich und hatte die Hoffnung etwas Nützliches zu finden. Ich sollte mit meiner Vermutung Recht behalten und öffnete eine Schublade. Tatsächlich befand sich darin ein Stapel geöffneter Briefe, welche alle samt an sie adressiert waren. Erst beim genaueren Betrachten fiel mir auf, dass die Meisten von zahlreichen Verehrern stammten. Ein Grollen entwich mir, obwohl es mich nicht wundern sollte, bei ihrem Antlitz. Sie war der Inbegriff von Schönheit und vermutlich war jeder der sie ansah, wie von Sinnen. Ich blätterte die Briefe durch, bis mir plötzlich ein Name ins Auge schoss. Van Swieten. Gleich mehrere Briefe von dem Sohn eines Jägers. Wer weiß, was die alten Herrschaften für geheime Pläne schmiedeten, aber ganz offensichtlich versuchte er ihr Herz für sich zu gewinnen. Gleich mehrere Briefe fand ich von ihm, jedoch verloren diese immer mehr an Würde, was mich stutzig machte. Schrieb sie etwa nicht zurück? "Liebste Mary, Warum zierst du dich so? Bitte sende mir doch ein Zeichen deiner Gunst..." Meine Augen loderten vor Zorn. Ich packte alles an seinen Platz zurück und versuchte die Ruhe zu bewahren. Dieser Trottel wusste offenbar nicht einmal, dass sie lieber mit Lilly angesprochen wurde. Obwohl diese Briefe bald 20 Jahre alt waren, überkam mich die blanke Eifersucht. Ich atmete einmal durch bevor ich vorsichtig, wie eine schleichende Katze, aus dem Zimmer heraustrat. Ich suchte nach dem Schlafgemach ihrer Eltern und wurde fündig, allerdings konnte ich nur ihre Mutter vorfinden. Verdammt. Wenn der Alte hier noch irgendwo umher wandelt, könnte er mich überwältigen. Ich verbarg mich im Schatten und schaute mich um. Ich konnte niemanden hören oder sehen. Um ganz sicher zu sein legte ich eine Hand an die Wand und versuchte, mithilfe meiner übernatürlichen Fähigkeiten, herauszufinden, wer sich alles in diesem Anwesen aufhielt. Dabei spürte ich die Präsenz von 3 Dienstboten und einer weiteren schlafenden, männlichen Person. Vermutlich ihr Bruder, der ebenfalls mit Vorsicht zu genießen war. Er wurde definitiv in das Familienvermächtnis eingeweiht, da ich ihn bereits in einer Vision sah. Solange er schlief, sollte er jedoch keine Gefahr darstellen. Trotzdem würde ich mich beeilen müssen, um kein unnötiges Risiko einzugehen. Meine Augen fielen wieder auf ihre Mutter. Mit voller Konzentration und einem Hauch Magie verschaffte ich mir Zutritt zu ihren Erinnerungen. Ich ging ungefähr 21 Jahre zurück, da ich nur eine grobe Vorstellung davon haben wollte, wie das Verhältnis zwischen ihnen war. Im nächsten Moment befand ich mich in einem Salon. In der Luft lag eine Tabaknote und der Hauch eines lieblichen Damenparfüms. Die Umgebung war warm und das kühle Winterlicht, welches durch die Scheiben schimmerte, wirkte zwar natürlich, aber gleichzeitig unwirklich. Im nächsten Moment stapfte eine wütende Lilly an mir vorbei. Sie konnte mich nicht sehen und es war jedes Mal aufs Neue eine intensive Erfahrung, da man leicht vergessen konnte, dass diese Sinnbilder nicht der Realität entsprachen. "MARY! Sei doch nicht jedes Mal so stur! Die Gäste werden jeden Augenblick eintreffen und du bist nicht vorzeigbar!", zeterte ihre Mutter, die ihr mit einem Kleid hinterher stürmte. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie im Grunde nur Unterwäsche trug. "Ich lasse mich nicht vorführen, wie ein Zootier! Außerdem sind diese Klamotten so altmodisch! Ich will das nicht anziehen! Ich will normale Kleidung tragen! Was soll dieser Zirkus? Wir schreiben das Jahr 2004 und nicht 1920!", jammerte sie. Sie fummelte sich aufgekratzt an den Bändern ihres Korsetts herum und war inbegriffen, dieses herunterzureißen. Ich war fasziniert von ihrem Temperament und konnte nicht aufhören sie anzustarren, bis ich von der durchdringenden und theatralischen Stimme ihrer Mutter aus den Wolken gerissen wurde. "MAGDA! LENA! Haltet sie fest! Das nimmt jetzt ein Ende!" Zwei Hausmädchen kamen herbeigeeilt und unterbrachen sie bei dem Versuch sich zu befreien. "ICH HASSE DICH!", schrie sie kläglich und wurde im nächsten Moment von ihrer Mutter geohrfeigt. "Du törichtes Gör! Wie oft muss ich dir noch sagen, dass deine einzige Chance auf Anerkennung ein Mann aus gutem Hause ist! Stell dich also nicht so an und gehorche wenigstens einmal!" Sie zog das Korsett wieder straff, sodass Lilly nach Luft schnappte. Ungläubig schüttelte ich den Kopf und konnte nicht glauben, dass diese leichtgläubigen Bibelvertreter immer noch an diesem veralteten Frauenbild festhingen. Wie dumm konnten die Menschen nur sein? Lucifer schenkte ihnen die Freiheit und den freien Willen, aber aus irgendwelchen Gründen brauchten die Menschen offenbar Regeln und Gesetze. Sie hatten die Angewohnheit sich ausgezeichnet selbst in Schach zuhalten mit ihren ständig wechselnden Epochen. "Wenn du glaubst, dass ich auch nur ein Wort mit dieser erbärmlichen Kreatur spreche, dann hast du dich geschnitten! Ich verabscheue diesen Wichtigtuer! Außerdem ist er noch ein halbes Kind!", antwortete sie verbissen. Allmählich verstand ich, was vor sich ging. Sie erwarteten also Besuch eines potentiellen Bewerbers. Ich ballte die Fäuste und schluckte schwer. Der Gedanke daran, war mir zu wieder. "Christoph van Swieten ist eine sehr gute Partie und sein Vater ist eng mit deinem Vater befreundet! Du bereitest ihm große Schande, wenn du dich benimmst wie eine wildgewordene Furie!", sprach ihre Mutter erzürnt und stülpte ihr das staubblaue, enge Kleid mit dem weiten Rock und den weiten, gerafften Ärmeln über den Kopf. Da war er wieder. Der Name, der mich vorhin schon aus dem Konzept brachte. "Kleine Jungs, die mit dem Feuer spielen, verbrennen sich die Finger! Ihr werdet diesen Abend noch bereuen!", antwortete sie bissig und riss sich von den Dienstmädchen los. Mit einer Handbewegung stoppte ich die Erinnerung und betrachtete Lilly genauer. Dieser hasserfüllte Gesichtsausdruck, ohne den Funken von Einsicht. Ich strich ihr über die Wange und küsste ihre Stirn. "Ich werde nicht zulassen, dass du jemals wieder so behandelt wirst meine Liebste. Es tut mir leid, dass du so lange auf mich warten musstest, aber ich verspreche dir, dass ich dich nie wieder verlassen werde. Hiermit gebe ich dir mein Versprechen dich auf ewig zu lieben und zu ehren!" Anschließend spulte ich die Erinnerung vor und sah mir den Knaben genauer an, der sich an Lilly heranwagte. Seinen gesunden Menschenverstand musste er offenbar verloren haben. Wenn er diesen gehabt hätte, hätte er bemerkt, dass sie absolut kein Interesse an ihm hatte, was mir Genugtuung verschaffte. Ich sah mir noch einige weitere Ausschnitte ihres Lebens an und musste mit entsetzen feststellen, dass sie offenbar wirklich nichts Genaueres von den Ideologien und Taten ihres Vaters wusste. Ihre Bestimmung war es eine Ehefrau zu werden. Mit dieser Erkenntnis kappte ich die Verbindung zwischen mir und ihrer Mutter. All diese Informationen sollten vorerst genug sein und nun konnte ich sie zumindest verstehen. Ich schlich achtsam durch die Flure und spürte das Zimmer ihres Bruders auf. Ihn müsste ich noch im Auge behalten, bevor er und sein Vater ein weiteres Mal versuchen würden in unsere Welt einzumarschieren. Wie ein schlafendes Baby lag dieser stattliche Mann mittleren Alters in seinem gigantischen Bett und schnarchte. Ich wäre wohl kein echter Dämon, wenn ich ihm nicht zumindest ein kleines bisschen Angst machen würde, dachte ich und brachte die Wände zum Beben. Die Scheiben klapperten und das Wasserglas auf dem Nachtschrank vibrierte. Er schreckte hoch. "Was in Gottes Namen ist hier los?", brüllte er und und griff nach einem Kruzifix, welches in der Schublade seines Nachtschrankes lag. Ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen. Was hatte er damit vor? Wollte er mich zu Tode langweilen. Düster und schallend waren die mystisch, dunklen Klänge, die ihm das Blut in den Abern gefrieren ließen. "Das hier ist eine Warnung!", sprach ich düster und ließ die Lichter flackern. "Wo bist du Dämon! Zeige dich!", rief der Nachfolger des Hauses von Jüchen und sprang hektisch aus dem Bett. Mein Schatten huschte an den Wänden entlang und bewegte schließlich die langen Vorhänge vor den Fenstern. "Was ist los mit dir Dämonenjäger! Noch nie einen richtigen Dämon zu Gesicht bekommen?", fragte ich verachtend und ließ meine Augen in der Dunkelheit glühen. "Was willst du Kreatur der Finsternis?"
"Törichter Mensch, ich weiß, woran du und dein Vater arbeitet! Ihr dürft das Gleichgewicht der Welten nicht stören! Andernfalls wird euch ein Schicksal ereilen, welches schlimmer sein wird als der Tod!", drohte ich ihm und offenbarte ihm meine dämonische Erscheinung. Angstschweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn und ich konnte sein schwaches, menschliches Herz pochen hören. Wie zerbrechlich diese Geschöpfe doch waren! Er brachte keinen Ton mehr heraus und behielt mich mit starren, weit geöffneten Augen im Blick. Typisch Dämonenjäger. Unvorbereitet waren sie zu nichts zu gebrauchen und eben einfach nur kleingeistige Kreaturen. "Ich hoffe ich habe mich verständlich ausgedrückt!", waren die letzten Worte, die ich an ihn richtete, ehe ich mich in meine Ursprungsform zurückverwandelte und ein Portal erschuf. Ein verachtender Blick traf ihn und ich konnte sehen, wie der Zorn in ihm hochstieg, ehe sich das Portal wieder versiegelte. Nun befand ich mich wieder in der Bibliothek meines Palastes und musste erst einmal alles verarbeiten. Dass was ihre Eltern ihr antaten war einfach unverzeihlich und allein dies wäre schon Grund genug gewesen, um sie zu jagen und zu meucheln. Noch völlig in Gedanken versunken verschlug es mich zurück in mein Bett. In das Bett, was ich mit der Liebe meines Lebens teilte. Ihre seidenweiche und mondhelle Haut reflektierte das karge Licht der Nacht. Es war faszinierend, dass sie so viel menschliches an sich hatte. Seit Wochen rätselte ich darüber, was sich hinter dieser lieblichen und zarten Erscheinung verbergen würde. Es gab auch keine typischen Versetzungsmale oder Markierungen, die einem verraten könnten, woran sie verstarb. Wohl ein weiteres Mysterium, welches ich zu gern in Erfahrung bringen würde. Damit wären wir dann wohl bei meiner Schwäche angelangt. Leider lag es in meiner Natur alles zu hinterfragen und den Dingen auf den Grund zu gehen. Viele würden dies mit Kontrollzwang vergleichen, dabei war ich einfach nur gern vorbereitet. Ich rückte eng an sie heran und legte meine Arme um sie. "Du hättest es sein müssen, und zwar von Anfang an...", säuselte ich vor mich hin. Ihr Geruch vernebelte mir beinahe die Sinne. Die Wirkung, die sie auf mich hatte, war einfach mit nichts zu vergleichen und ich würde wohl wirklich alles für sie tun. Sollte ich ihr die Frage möglicherweise schon jetzt stellen, oder würde sie mich dann nicht ernst nehmen? Wie würde sie wohl reagieren? Ich war überzeugt davon, dass sie diese tiefe Verbundenheit ebenfalls fühlte und ich glaubte daran, dass sie mich ebenfalls liebte, aber ich machte mir Gedanken darüber, dass ich sie überfordern könnte. Auf der anderen Seite wollte ich ihr doch zeigen, wie sehr ich sie lebte und rein theoretisch durfte ich doch machen, was ich wollte. Ich war ein Prinz der Hölle, Sohn von König Paimon und ein Wächter dieser Welt. Welches Gesetz gab es hier unten, was mir verbieten würde mehrere Frauen zu haben? Mein eigener Vater hatte schließlich selbst hunderte. Für einen kurzen Moment plusterte sich mein Gefieder auf und ich strotzte vor Selbstbewusstsein, stellte aber im nächsten Moment fest, dass ich niemals so sein könnte. Für mich gab es genau genommen seit 18 Jahren nur diese ein Frau und zwar die, die gerade neben mir schlief. Ach, verdammt nochmal Stolas, sei gefälligst ein Mann und frag sie, tadelte ich mich in Gedanken. Ich wollte und konnte sie einfach nicht mehr hergeben, komme was wolle.
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Aus dem Schatten der Einsamkeit mitten ins Herz
FanfictionAuf Wunsch versuche ich mich an einer Lovestory über Stolas und einen eigens entworfenen Charakter. Ich kann noch nicht genau sagen, wo die Geschichte hinführt und wie sie endet, aber wenn ihr auf Romantik und Pretty Woman Vibes abfahrt, dann könn...