Aus dem Schatten der Einsamkeit mitten ins Herz

Ganz in weiß...

Ich lehnte mich über das steinerne Geländer des Balkons und schaute auf das plätschernde Wasser des Brunnens im Vorhof hinab. Gefesselt von dem im Licht glitzernden Wasserstrahl, verlor ich mich in meinen Gedanken und wurde nervös. Sorgen und Ängste überkamen mich. War ich der bevorstehenden Zeremonie gewachsen? Genügte es denn, aus Liebe zu heiraten? Aufgaben, die für Ehefrauen seines Zirkels von Bedeutung waren, hatte ich keine, aber dennoch würde ich ihn in der Öffentlichkeit repräsentieren müssen. Fehltritte, die mir passieren würden, wären auch seine Fehltritte und ich war mir nicht sicher, wie viele wir uns davon erlauben dürften nach dem Skandal mit der Scheidung. "Lilly? Ist alles in Ordnung? Der Fahrer müsste bald eintreffen." Oskar gesellte sich zu mir und betrachtete mich aufmerksam. "Ich musste einfach nochmal kurz für mich sein. Ich bin gleich so weit.", antwortete ich und atmete tief durch. "Wehe du bekommst kalte Füße... ich habe mich gerade erst an dich gewöhnt!", scherzte er mit einem albernen Grinsen. Damit brachte er mich zumindest für den Moment auf andere Gedanken. "Warte erstmal ab, bis ich ganz offiziell deine Stiefmutter bin, dann ist das schöne Leben vorbei, Cinderella!", flachste ich und lachte diabolisch. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig. "Ich mach doch nur Spaß Herzchen... Jetzt komm schon. Dein kleines Täubchen wartet doch bestimmt auf dich." Ich zwinkerte ihm zu und quetschte mich, mit dem gewaltigen Überrock, durch die Glastüren. Am unteren Ende der Treppe warteten schon Lou, ihr Anhängsel Angel Dust und unser Neuzugang Mina. Sie sahen alle samt umwerfend aus. "Hey! Wer hat euch erlaubt so gut auszusehen? Ihr werdet mir die Show stehlen!", spaßte ich und fiel Lou freudestrahlend in die Arme. "Verdammt Süße! Hast du mal in den Spiegel gesehen? Es ist unmöglich mit dir mitzuhalten!"
"RAW, da muss ich meiner kleinen Zuckerschnute Recht geben! Da könnte man doch glatt auf Ideen kommen.", flirtete Angel und schlug Lou dabei auf den Hintern. Sie kicherte dümmlich und schmiegte sich an ihn. "Jetzt hör schon auf Süßer! Wir können doch nicht einfach so die Braut entführen!" Ich verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. Die beiden waren wie füreinander geschaffen. "Schade eigentlich, aber... weißt du was? Das wäre doch mal eine grandiose Idee für meinen nächsten Dreh." Apropos Traumpaar. Wo zum Henker, waren denn nun schon wieder Mina und Oskar abgeblieben? Kaum drehte man ihnen den Rücken zu waren sie verschwunden. Auf der einen Seite freute ich mich für ihn und er verdiente es glücklich zu sein, aber auf der anderen Seite brachten sie uns eine Menge Chaos. Bei jeder Gelegenheit machten sie Unsinn und ständig hatten sie irgendwelche Ideen, die uns ordentlich auf Trapp hielten. Erst vorgestern sausten sie auf Inlineskates durch den Palast und brachten damit fast eine teure Statue zu Bruch. Und dann waren da noch die Nächte. Sie waren laut. Sehr laut. Nicht, dass ich etwas dagegen gehabt hätte, ganz im Gegenteil, aber trotzdem wollte ich gar nicht so genau wissen, was sie des Nächtens anstellten. "Und? Bist du schon aufgeregt?", fragte Lou plötzlich und erinnerte mich daran, dass wir jeden Moment abgeholt werden mussten. "Aufgeregt?! Nein! Viel schlimmer! Ich fühle mich wie eine Crackhure auf Entzug!", antwortete ich aufgewühlt. Ich musste versuchen Ruhe zu bewahren und durfte nicht die Nerven verlieren. Lou und Angel lachten und grinsten. "Also, ich könnte dir etwas für deine Nerven beschaffen, Babydoll!" Angel Dust verschränkte lässig seine unteren Arme und zwinkerte. "Nein, sowas mach ich nicht mehr...", antwortete ich völlig verunsichert und schaute wie ein Schwein ins Uhrwerk. Bereits im nächsten Moment öffnete sich schwungvoll eine Tür und ein Dienstbote trat ein. "Der Fahrer wäre nun abfahrbereit, my Lady! Wenn die Herrschaften mir bitte folgen würden." Ich war froh, dass es nun endlich losging, weil ich befürchtete, dass ich Angels waghalsige Ideen noch in die Tat umsetzen würde, wenn wir noch länger herumstehen würden. Geistesabwesend schaute ich aus der fahrenden Stretchlimousine und konnte Stolas vor meinem geistigen Auge sehen. Ob ich ihm wohl gefallen würde? Ich stand so unter Strom, dass ich die Stimmen um mich herum kaum wahrnahm und je näher wir kamen, umso mehr spürte ich das Klopfen meines Herzens. Krampfhaft versuchte ich mich zu sammeln und zwang mich ruhig zu atmen. "Meine Fresse... Du siehst schlimmer aus als ein Frischling mit Lampenfieber!" Ich verdrehte die Augen und lächelte gekünstelt. "Jetzt ärger sie doch nicht mein kleiner Schmetterling. Komm! Lass uns aussteigen und den Paparazzi ein wenig Kanonenfutter geben." Angel setzte seine Herzförmige Sonnenbrille auf und ließ seinen Goldzahn aufblitzen. Es war immer wieder faszinierend, wie selbstbewusst er war. Ein Blitzlichtgewitter brach los, als sie gemeinsam ausstiegen. "Das ist ganz schön hell...", stellte Mina ängstlich fest und starrte den Türgriff an. Ich war so auf mich selbst fokussiert, dass ich die zwei schon fast vergessen hatte. Vor allem aber, weil sie so still waren. "Mach dir keine Sorgen. Bleib einfach bei mir und überlass mir das Sprechen.", versuchte Oskar sie zu beruhigen und hauchte ihr einen zärtlichen Kuss auf ihren Handrücken. Es amüsierte mich, dass Oskar seinem Vater so sehr ähnelte, auch wenn er das wohl niemals einsehen würde. Sie ließ sich von ihm leiten und folgte ihm schließlich aus dem Fahrzeug. In nur wenigen Augenblicken würde ich ebenfalls über den roten Teppich schreiten und wäre den gierigen Reportern ausgeliefert. Meine Hand zitterte, als ich diese zum Griff der Tür führte. "Jetzt stell dich doch nicht so an!", ermahnte ich mich selbst und fokussierte mich. In weniger als einer Stunde würde ich seine Frau sein und alles andere war unwichtig. Ich atmete tief durch und sammelte mich, ehe ich mich endlich hinauswagte. Showtime.