Die leisen Töne der Nähe

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Als ich die Augen öffne, fühle ich sofort das Brennen in ihnen. Die Nacht war hart gewesen, der Schlaf kam viel zu spät und ließ mich mit geschwollenen Lidern und tiefen Schatten darunter zurück. Meine Wangen fühlen sich trocken an, als wären die Spuren meiner Tränen der vergangenen Nacht noch immer spürbar. Mit einem tiefen Seufzer schwinge ich mich aus dem Bett und tapse ins Bad. Das kühle Wasser auf meinem Gesicht hilft, den Rest der Nacht abzuwaschen, doch die dunklen Ringe unter meinen Augen bleiben hartnäckig. Ich beschließe, sie mit etwas Make-up zu verdecken, bevor ich mich in die Küche wage. 

Als ich einen Blick auf die Uhr werfe, ist es bereits 10 Uhr morgens. Spät genug, dass die anderen schon wach sind und sich vermutlich auf den Tag vorbereiten. Mein Magen knurrt leise, also mache ich mich auf den Weg in die Küche. Dort angekommen, fällt mein Blick auf den Obstkorb. Ich greife nach einem Apfel und brühe mir einen schnellen Kaffee auf. Die Geräusche des Hauses sind gedämpft, fast als würde jeder in seiner eigenen Welt verweilen. Als ich aus dem Fenster blicke, sehe ich Steff und Yvonne draußen auf der Terrasse sitzen. Sie unterhalten sich angeregt, lachen leise, und wirken dabei so entspannt. Ein Teil von mir wünscht sich, sich ihnen anschließen zu können, einfach so dazusitzen und zu plaudern, aber ein anderer Teil hält mich zurück. Stattdessen greife ich meinen Kaffee und mein Obst und ziehe mich zurück. Die anderen sind wahrscheinlich in den Proberäumen, und ich sollte dasselbe tun. Morgen Abend werden wir die eigenen Versionen von Mark Forsters Liedern präsentieren, und ich habe mich für „Königin Schwermut" entschieden. Ein Lied, das mich schon in meiner Jugend berührt hat. Die melancholische Melodie und der tiefgründige Text haben damals eine Saite in mir zum Klingen gebracht, die noch immer nachhallt. 

Im Proberaum setze ich mich an das Piano, mein vertrauter Rückzugsort. Die Tasten unter meinen Fingern fühlen sich beruhigend an, und als ich beginne zu spielen, fließt die Musik viel leichter durch mich hindurch als gestern. Die Melodie nimmt Form an, wird weicher, reduziert sich auf das Wesentliche. Nur meine Stimme und das Piano, sonst nichts. Kein Schnickschnack, kein unnötiges Drumherum. Es ist einfach, roh, und genau so, wie ich es haben möchte. Die Zeit vergeht wie im Flug, und es ist bereits Abend, als ich immer noch an den Feinheiten des Songs arbeite. Die Ruhe im Raum ist beruhigend, fast wie eine Blase, die mich von der Außenwelt abschirmt. 

Da klopft es leise an der Tür.„Herein," rufe ich, ohne den Blick vom Piano zu heben. Die Tür öffnet sich, und ich erkenne Steffs Stimme, bevor ich sie sehe. „Na, fleißig am Arbeiten?" fragt sie mit einem Lächeln, das ich in ihrer Stimme höre, bevor ich es auf ihrem Gesicht sehe. Ich nicke und drehe mich leicht zu ihr um. „Ja, ich habe mich für ‚Königin Schwermut' entschieden." „Das ist ein tolles Stück," sagt Steff, als sie sich mir nähert. „Bist du schon fertig?" „Fast," antworte ich knapp und versuche, die Nervosität zu verbergen, die in mir aufsteigt. Gespräche, vor allem solche, die persönlicher werden könnten, machen mir immer noch Angst. Steff setzt sich neben mich auf die Bank und sieht mich neugierig an. „Weißt du, es ist irgendwie lustig. Ich spiele kein Instrument. Eigentlich untypisch für eine Musikerin, oder? Aber ich habe immer meine Bandkollegen, die das für mich übernehmen."Ich blicke überrascht auf. Dass sie kein Instrument spielen kann, hätte ich nie gedacht. „Wirklich? Das überrascht mich." „Ja, ich bin immer die, die singt. Und den Rest überlasse ich den anderen." Steff lacht leise, und es steckt etwas an, das mich dazu bringt, ein kleines Lächeln zu erwidern. Ein Gedanke formt sich in meinem Kopf, und obwohl ich ihn zunächst wegschieben möchte, spricht er sich schließlich von selbst aus. „Möchtest du... etwas lernen? Ich könnte dir ein paar Grundlagen am Piano zeigen." Steff sieht mich mit großen Augen an, fast als hätte sie nicht damit gerechnet. „Echt? Das wäre cool!" Sie rückt etwas näher heran, und ich spüre, wie meine Anspannung zunimmt. Doch ich zwinge mich, ruhig zu bleiben, als ich ihr einige einfache Griffe zeige. Steff versucht, sie nachzuspielen, doch ihre Finger scheinen sich auf den Tasten zu verheddern. Ohne viel nachzudenken, lege ich meine Hand auf ihre, um ihre Finger in die richtige Position zu bringen. Für einen Moment halte ich inne, als ich die Wärme ihrer Haut unter meiner spüre. Steff sieht mich überrascht an, ihre Augen treffen meine, und die Zeit scheint stillzustehen. Das Sonnenlicht, das durch das Fenster strömt, taucht ihr Gesicht in ein warmes, kupferfarbenes Licht, und ihre braunen Augen funkeln in diesem sanften Glanz. Das Bewusstsein über die Berührung lässt meine Wangen heiß werden, und ich ziehe schnell meine Hand zurück. „Entschuldigung," murmele ich, verlegen. Steff lächelt nur sanft, als würde sie verstehen, ohne Worte. „Kein Problem, wirklich." Die Situation wird mir plötzlich zu viel, und ich spüre das dringende Bedürfnis, den Raum zu verlassen. „Ich glaube, ich gehe jetzt. Ich muss noch etwas frische Luft schnappen." „Klar, mach das," sagt Steff und lehnt sich entspannt zurück. „Danke, dass du mir das gezeigt hast." Ich nicke kurz und verlasse den Raum, mein Herz klopft schneller als normal. Die ganze Szene wiederholt sich in meinem Kopf, und ich frage mich, ob ich etwas falsch gemacht habe. Als ich durch den Flur gehe, spüre ich den Druck, der mich umgibt, und lasse mich nicht von meinen Gedanken überwältigen. Ich brauche einfach einen Moment für mich allein. 

Beim Abendessen sitze ich still an meinem Platz, während die anderen von ihren Proben erzählen. Die Atmosphäre ist locker, fast festlich, doch ich fühle mich abseits, wie ein Zuschauer in einem Film. Das Rauschen der Gespräche und das Lachen um mich herum erscheinen mir wie aus der Ferne. Der Duft des Abendessens, eine Mischung aus frischem Fisch und aromatischen Gewürzen, erfüllt die Luft, doch ich bin zu sehr in meine eigenen Gedanken vertieft, um wirklich zu genießen. Steff wirft mir ab und zu einen Blick zu, aber ich vermeide es, ihn zu erwidern. Ihr Lächeln scheint in meinem Inneren Widerhall zu finden, doch ich kann nicht genau benennen, was es bei mir auslöst. Die anderen Künstler plaudern und lachen, und die Stimmung ist angenehm und unbeschwert. Doch ich kann mich nicht dazu bringen, mich wirklich zu entspannen. Jeder Blick, jedes Wort, das ich aufnehme, scheint mich noch tiefer in mein eigenes Gefühlschaos zu ziehen. 

Schließlich, als das Abendessen zu Ende geht und die Gespräche sich lockern, entschuldige ich mich leise und ziehe mich erneut in mein Zimmer zurück. Es ist spät, und die Müdigkeit von der letzten Nacht sitzt mir noch in den Knochen. Ich lasse mich auf mein Bett fallen und ziehe die Decke über mich. Die Gedanken an den Tag und die Begegnungen mit Steff wirbeln in meinem Kopf herum, ein undurchschaubares Durcheinander aus Unsicherheit und Sehnsüchten. Diesmal, als ich ins Bett falle, umfängt mich ein tiefer, traumloser Schlaf. Die Dunkelheit des Raumes und das sanfte Rauschen der Bäume draußen wiegen mich in einen ruhigen Schlaf, der vielleicht nicht alle Sorgen löst, aber für den Moment Ruhe bringt. In meinen Träumen tauchen Bilder aus der Kindheit auf, verzerrt und flüchtig, vermischt mit Szenen aus dem heutigen Tag. Steffs Lächeln, die Wärme ihrer Hand auf meiner, all das vermischt sich zu einem Gefühl von Vertrautheit und Geborgenheit. 

𝘚𝘵𝘳𝘰𝘯𝘨𝘦𝘳 𝘸𝘪𝘵𝘩 𝘺𝘰𝘶 - 𝘚𝘵𝘦𝘧𝘧 𝘍𝘢𝘯𝘧𝘪𝘤𝘵𝘪𝘰𝘯Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt