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Ich ließ mich an die Tür gelehnt auf den Boden sinken und starrte ins Leere. Mein Kopf war ein einziges Chaos, und ich wusste nicht, wie ich all die Gedanken und Gefühle ordnen sollte. Sascha war schon lange gegangen, vermutlich wieder auf die Party zurück, wo sie sich ablenken konnte. Flo hingegen blieb im Zimmer, und ich hoffte inständig, dass sie inzwischen eingeschlafen war. Ich lachte leise und bitter auf.

„Vielleicht sollte ich einfach am Gang schlafen", murmelte ich vor mich hin, als ob das irgendwie meine Unfähigkeit entschuldigen könnte, die Situation zu bewältigen.

Plötzlich öffnete sich die Tür hinter mir, und Flo stand in der Öffnung. Sie trug eine kurze Schlafhose und ein bauchfreies Shirt, und in ihrem Gesicht lag ein Ausdruck von müder Gelassenheit.

„Komm rein, du heimatloser Köter, sonst krieg ich noch Ärger von den Lehrern", murmelte sie, ihre Stimme klang ungewöhnlich sanft, fast wie eine Einladung, aber dennoch mit einem scharfen Unterton.

Ich erhob mich und folgte ihr ins Zimmer, die Tür schloss sich leise hinter mir.

„Nacht", sagte sie nur kurz und legte sich ohne weiteres Zögern in ihr Bett.

Verwirrt schaute ich zu ihr hinüber, unsicher, was ich nun erwarten sollte.

Wollte sie wirklich nichts über den Kuss sagen?

War es ihr tatsächlich so egal?

Ein tiefes Seufzen entwich mir, als ich mich auf die Kante meines Bettes setzte. Die ganze Situation fühlte sich surreal an, als wäre ich in einem schlechten Traum gefangen.

„Atme leiser", knurrte sie plötzlich, und ich verdrehte genervt die Augen.

Ohne ein weiteres Wort schnappte ich mir mein Schlafgewand und verschwand ins Bad, um mich umzuziehen.

Als ich wieder herauskam, lag Flo dicht an die Wand gekuschelt in ihrem Bett, so weit weg von mir wie möglich.

„Flo?", fragte ich zögerlich, doch sie drehte sich genervt um und sah mich mit einem harten Blick an.

„Ich werde mit dir nicht über den Kuss reden", sagte sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen. Ihre Stimme klang entschlossen, aber ich konnte den verletzten Unterton heraushören, der sich in ihre Worte mischte.

„Aber...", wollte ich ansetzen, doch sie schnitt mir sofort das Wort ab.

„Kein aber. Es war nur ein unbedeutender Kuss, und ich wollte Sascha einfach etwas reinwürgen."

„Warum wolltest du das?", fragte ich, meine Stimme war leise, fast unsicher. Ihre Antwort kam schnell und kalt:

„Einfach so."

Doch ich spürte, dass sie log.

Ihr Blick wich meinem aus, und ich konnte die Spannung in ihrem Körper sehen.

„Ist auch egal", murmelte sie schließlich und drehte sich wieder zur Wand.

Die Stille zwischen uns war drückend, und ich fühlte, wie der Abstand zwischen uns nur größer wurde.

„Wenn du meinst", sagte ich leise und spürte einen Stich der Enttäuschung in meiner Brust. „Dann werde ich das mit Sascha morgen klären."

Ich beobachtete, wie sich ihr Körper bei meinen Worten anspannte.

„Mach doch, wie du willst. Ich hingegen werde morgen wieder zu meinem Freund gehen", erwiderte sie scharf und provokant.

„Mach doch", knurrte ich zurück, die Wut stieg in mir auf, vermischt mit einer Traurigkeit, die ich nicht verstand.

„Mach ich auch!", schrie sie plötzlich, ihre Stimme war laut und voller Zorn, der sich wie ein Keil zwischen uns schob.

„Gut!", entgegnete ich ebenso wütend und legte mich schnaubend in mein Bett, das Herz schlug mir bis zum Hals.

Plötzlich ging die Tür auf, und Sascha schwankte ins Zimmer. Sie sah aus, als hätte sie zu viel getrunken, ihre Augen waren glasig, und sie wirkte verloren. Flo drehte sich sofort zur Wand, als wollte sie sich vor der Realität verstecken, die plötzlich so greifbar nah war. Sascha kam auf mich zu, unsicher auf den Beinen, doch in ihren Augen lag ein entschlossener Glanz, der mir Angst machte.

„Es ist mir egal, wie lange es dauert, aber du wirst mir gehören", sagte sie mit einer seltsamen Mischung aus Unsicherheit und Entschlossenheit in ihrer Stimme.

Bevor ich reagieren konnte, zog sie mich zu sich und legte ihre Lippen auf meine. Der Kuss war fordernd und irgendwie verzweifelt, als wolle sie etwas erzwingen, was nicht da war. Ich fühlte, wie mein Körper erstarrte, die Anspannung war unerträglich, und mein Herz raste vor Verwirrung und Zorn.

Flo blieb still, doch ich konnte ihre verletzte Präsenz im Raum spüren, wie eine kalte Wand, die mich von ihr trennte. Saschas Lippen schmeckten nach Alkohol, und der Kuss fühlte sich falsch an, doch ich war unfähig, mich zu bewegen, gefangen zwischen den beiden Menschen, die auf unterschiedliche Weisen meine Welt durcheinanderbrachten.

Da überkam mich eine plötzliche Panik, und ich schob sie weg, als wäre ihre  Nähe Gift für mich. Tränen schossen Sascha in die Augen und liefen stumm über ihr Gesicht. Sascha sah mich an, ihre Augen erfüllt von einer verletzten Kälte, die sich durch mich wie ein Dolch bohrte. Ohne ein weiteres Wort ging ich auf den Balkon, wo ich die ganze Nacht über blieb, eingehüllt in die Dunkelheit und die winterliche Kälte.

Am Morgen, während ich meine Sachen hastig zusammenpackte, war die Spannung in der Luft beinahe greifbar. Die anderen um mich herum wirkten unbeteiligt, doch ich fühlte ihre Blicke. Schweigend machten wir uns auf den Weg zum Bus, der uns zurück zur Schule bringen sollte. Ich wollte niemanden neben mir haben, weder Sascha noch Flo, und um das zu verdeutlichen, stellte ich meinen Rucksack demonstrativ auf den freien Sitzplatz neben mir.

Flo warf mir einen verwirrten Blick zu, musterte erst mich und dann den Rucksack, doch schien sie sich schnell zu fangen und ging, als wäre nichts, zu ihren Freundinnen weiter hinten im Bus. Sascha hingegen setzte sich so weit weg von mir wie möglich, ihre Augen starr nach vorne gerichtet, als würde sie versuchen, mich vollständig aus ihrem Blickfeld und ihrem Kopf zu verbannen.

Die Fahrt verging wie im Nebel, die Geräusche des Motors und die leisen Gespräche der anderen waren kaum mehr als ein dumpfer Hintergrund in meinem benommenen Zustand. Als wir endlich ankamen, sah ich schon von Weitem meine Oma und Hades, die beide auf mich warteten. Hades wedelte freudig mit dem Schwanz, als er mich erblickte, und in diesem Moment war es, als würde ein Teil der Last, die auf meinen Schultern lag, abfallen.

Meine Oma umarmte mich fest und warm, und ich ließ mich für einen Moment in dieser Geborgenheit fallen. Mein Blick schweifte über den Parkplatz und blieb an Flo hängen, die von ihrem Freund abgeholt wurde. Es schnürte mir die Kehle zu, als ich sah, wie sie ihn küsste, so selbstverständlich, als gäbe es keinen Schmerz in ihrem Leben. Ihr Blick traf kurz den meinen, aber es war nur ein flüchtiger Moment, zu schnell, um wirklich greifbar zu sein. Vielleicht hatte ich es mir nur eingebildet.

Meine Oma legte eine Hand auf meine Schulter, und zusammen gingen wir zum Auto. Die Fahrt nach Hause verlief schweigend, und auch der Rest der Woche plätscherte ereignislos dahin. Ich verbrachte die meiste Zeit allein in meinem Zimmer, verkrochen unter Decken, die dennoch nicht die Kälte aus mir vertreiben konnten. Als der Sonntagabend kam, fühlte ich plötzlich, wie mich eine fiebrige Hitze überkam, die Glieder schwer und schmerzend.

Wahrscheinlich war es die Strafe für die Nacht draußen auf dem Balkon, durchgefroren und ausgelaugt von der Suche nach Flo im Schnee.

Am Montagmorgen hörte ich meine Oma irgendwo aus dem Haus rufen.

„Ich ruf jetzt in der Schule an!", doch die Worte erreichten mich nur wie durch Watte.

Mein Kopf war schwer, der Schlaf zog mich immer wieder zurück, und die Realität verschwamm, als ich mehr in meinem Fiebertraum lebte als in der Wirklichkeit. Die Kälte der Nacht und die Ereignisse der letzten Tage hatten Spuren in meinem Körper und meiner Seele hinterlassen, und während ich da lag, konnte ich nichts anderes tun, als zu warten, bis das Fieber vielleicht endlich abklang und die Welt wieder einen Sinn ergab.

The devil's name is loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt