Kapitel 6

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Azrael 

Die Fahrt durch die dunklen Straßen war still. Nur das leise Brummen des Motors füllte die Stille in meinem Wagen, doch in meinem Kopf tobte es. Die Ereignisse der letzten Stunden spielten sich wieder und wieder ab, als würde ein Film auf Endlosschleife laufen. 

Aurelia. 

Ihr Gesicht, als sie mich voller Verlangen geküsst hatte, ihre Augen, die Mischung aus Wut und etwas anderem, das ich nicht einordnen konnte. Ich spürte noch immer die Hitze ihrer Haut unter meinen Händen, die Art, wie sie sich mir hingegeben hatte, und gleichzeitig schwelte in mir die Frage, wie ich es hatte zulassen können. 

Ich hatte sie zu sehr in meine Welt gezogen. 

Aber jetzt musste ich mich konzentrieren. Dante wartete. Und mit ihm zwei Männer, die glaubten, sie könnten sich mit mir und meiner Welt anlegen. Sie hatten nicht nur versucht, meine Ware zu stehlen, sie hatten es auch gewagt, ihre Blicke auf Aurelia zu werfen. Ich hatte es im Club bemerkt, wie ihre Augen auf ihr verweilten, als wäre sie irgendein Spielzeug, das man sich einfach nehmen konnte. 

Allein dieser Gedanke ließ die Wut in mir auflodern, doch ich atmete tief durch. Wut war ein Werkzeug. Sie konnte dich antreiben oder dich blind machen, und ich konnte mir jetzt keine Fehler leisten. Das Lagerhaus tauchte vor mir auf, beleuchtet von den fahlen Scheinwerfern. Dantes schwarze Gestalt zeichnete sich in der Dunkelheit ab, als er vor dem Eingang stand und wartete. Er war mein engster Vertrauter, einer der wenigen Menschen, denen ich in dieser verdammten Welt noch trauen konnte. Als ich ausstieg, nickte er mir knapp zu, kein Wort war nötig. Wir wussten beide, was als Nächstes kommen würde. 

»Die beiden sind drinnen,« sagte Dante, während er mir vorausging. 

»Sie haben nichts ausgesagt, aber das wird sich gleich ändern.«

Ich folgte ihm durch die schweren Metalltüren in den spärlich beleuchteten Raum. Das Lager war weitläufig, die Betonwände verstärkten jedes Geräusch, das in der Stille widerhallte. Und dort, in der Mitte des Raumes, saßen die beiden Männer, die versuchten, mein Leben und das, was mir gehörte zu gefährden. 

Ihre Hände waren auf den Rücken gefesselt, ihre Gesichter zeigten bereits Spuren von Dantes Vorarbeit. Gut so. Doch es reichte noch lange nicht. Als ich mich ihnen näherte, erhob einer der Männer den Kopf. Sein Blick war trotzig, herausfordernd, als glaubte er, er hätte noch die Kontrolle über die Situation. Die Arroganz in seinem Gesicht war beinahe bewundernswert, aber auch töricht. Ich blieb vor ihm stehen und sah ihn stumm an, ließ meine Präsenz für sich sprechen. Die Sekunden dehnten sich in die Länge, bis er schließlich nervös zu blinzeln begann. Genau das wollte ich. 

»Wer hat euch geschickt?« Meine Stimme war ruhig, doch die Spannung darunter war unüberhörbar. Der Mann spuckte auf den Boden. 

»Du glaubst, du kannst uns einschüchtern, Ashton? Du bist nichts weiter als ein Handlanger deiner Familie.« Mein Kiefer spannte sich an, und ich merkte, wie das vertraute Gefühl der Wut durch meine Adern pulsierte. Aber ich lächelte nur. Es war ein kaltes Lächeln, das den Mann noch unsicherer machte. 

»Ich gebe dir noch eine Chance, es mir einfach zu machen«, sagte ich, ohne die Ruhe in meiner Stimme zu verlieren. 

»Wer hat euch beauftragt?« Sein Partner neben ihm, der bislang stumm geblieben war, zischte ihm etwas zu. Es war kaum hörbar, doch ich konnte das Zittern in seiner Stimme erkennen. Er hatte bereits Angst. Der andere Mann jedoch schüttelte nur den Kopf, sein Grinsen war jetzt verzerrt von Verachtung. 

»Du kannst uns nicht brechen, Ashton.« Ich trat näher und beugte mich leicht vor, sodass ich in seine Augen sehen konnte. 

»Du weißt, was mit Menschen passiert, die mich unterschätzen?« fragte ich leise, fast sanft, und sah zu, wie sich der Ausdruck in seinem Gesicht veränderte. Die Verachtung verwandelte sich langsam in Unsicherheit. 

Perfekt. 

Ich richtete mich auf und sah zu Dante, der mir wortlos ein Messer reichte. Es war ein schlichtes, unauffälliges Ding, aber in den richtigen Händen konnte es mehr bewirken als jede Schusswaffe. Ich hielt es in meiner Hand, drehte es langsam, damit das Metall im Licht blitzte. Der Raum war still, und die Spannung lag schwer in der Luft. 

»Es ist nur eine Frage der Zeit«, sagte ich, während ich das Messer betrachtete. 

»Du kannst mir jetzt sagen, wer euch geschickt hat, oder wir machen das auf die harte Tour.« Der Mann schnaubte, aber der Nervosität in seinen Augen konnte er nicht verbergen. Er wusste, dass er keine Wahl hatte. Doch bevor er antworten konnte, warf sein Partner einen schnellen Blick auf mich, und in diesem Moment wusste ich es. Es war dieser Blick, der alles verriet. Sie hatten nicht nur versucht, meine Ware zu stehlen, sie hatten Aurelia beobachtet. Sie hatten ihr Augenmerk auf sie gelegt. Ein Zorn, so tief und so urtümlich, wallte in mir auf. 

»Was habt ihr mit ihr zu tun?« fragte ich, meine Stimme nun scharf wie ein Messer. Der Mann schwieg, doch sein Zögern war Antwort genug. Ich konnte es sehen, in der Art, wie er sich versteifte, wie seine Augen kurz zur Seite huschten. 

»Wer von euch hat es gewagt, sie anzusehen?« Meine Stimme klang jetzt gefährlich leise. Ich ließ das Messer über seine Haut gleiten, nicht tief genug, um ernsthaften Schaden anzurichten, aber genug, um ihn spüren zu lassen, dass dies der Anfang von etwas Schlimmem sein konnte. Seine Fassade begann zu bröckeln, und er atmete schwer. Sein Kollege, der bisher die Fassung behalten hatte, begann zu zittern. Er wusste, dass es vorbei war. 

»Sie ist nicht deine Sorge«, knurrte er, aber ich konnte den Angstschweiß riechen. Mein Griff um das Messer wurde fester, doch ich hielt mich zurück. Sie würden keine schnelle Erlösung finden, nicht bevor ich wusste, wer sie geschickt hatte und was sie über Aurelia wussten. Ich konnte sie nicht in diese Welt hineinziehen, doch ich hatte es schon getan. Mein Fehler war es gewesen, sie beim Musikwettbewerb anzusprechen. In diesem Moment hatte ich den Schleier zerrissen, der sie schützte. Und jetzt war sie angreifbar. Verwundbar. Weil ich zu unvorsichtig gewesen war. 

»Ich frage euch zum letzten Mal«, flüsterte ich, mein Gesicht dicht vor dem des Mannes. 

»Wer steckt dahinter?« er schwieg, starrte mich an, doch ich konnte das Zittern seiner Hände sehen, spürte, wie er innerlich zusammenbrach. Schließlich öffnete er den Mund, seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. 

Ein Name. 

Kurz, knapp, und doch genug, um alles in mir zum Stillstand zu bringen. Ich hörte den Namen, ließ die Information sacken und nickte Dante zu. Es war vorbei. Ohne ein weiteres Wort hob ich das Messer und setzte dem, was begonnen hatte, ein Ende. Schnell, präzise und ohne unnötiges Leiden. Beide Männer sackten lautlos zu Boden, und das Echo ihrer fallenden Körper hallte durch das Lagerhaus. Mein Atem ging ruhig, als ich das Blut an meiner Klinge betrachtete. Es war nicht das erste Mal, und es würde auch nicht das letzte Mal sein, dass ich so handelte. Das war mein Leben. Ich hatte keinen Platz für Reue. Doch etwas in mir, eine schwache Stimme, sagte mir, dass ich Aurelia hätte fernhalten müssen. Dass sie nicht für diese Welt gemacht war. 

»Räum das hier auf«, sagte ich zu Dante, ohne ihn anzusehen. Er wusste, was zu tun war. Ich musste zurück. 

Zurück zu Aurelia. 

Die Fahrt zu meinem Anwesen dauerte nicht lange, doch mit jedem Kilometer wuchs ein seltsames Unbehagen in mir. Es war eine Sache, sie in meine Nähe zu lassen, aber sie in meine Welt zu ziehen, war eine andere. Ich hatte sie schon zu tief in diesen Abgrund blicken lassen. Der Gedanke, dass jemand sie bedrohen könnte, ließ meine Kiefermuskeln anspannen. 

Als ich ankam, stieg ich aus dem Wagen und eilte ins Haus. Doch sobald ich den Flur betrat, spürte ich, dass etwas nicht stimmte. Die Stille war zu bedrückend. Ich ging die Treppen hinauf, direkt in den Raum, in dem ich sie zurückgelassen hatte. Das offene Fenster ließ den Vorhang im Wind flattern, und das Zimmer war leer. 

Aurelia war verschwunden.

Teuflische SeelenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt