Ich schließe mein Auto ab und gehe die Treppe hoch, um aus der Tiefgarage zu kommen. Ich war bei Maxi und Bella, um mich von der Funkstille zu Clara abzulenken. Ohne sie geht es mir nicht gut. Aber bald wird es mir besser gehen. Ohne ihre Manipulation. Wie konnte sie mir das antun? Ich habe deutliche und klare Signale gesendet, die zu verstehen gaben, dass ich nur sie möchte und keine andere, die mir schöne Augen gemacht hat.
Maxi hat mich heute wirklich aufgebaut und ausnahmsweise mal keine dummen Sprüche abgegeben. Er bedauert wirklich, was zwischen Clara und mir passiert ist. Bella wusste durch Maxi natürlich auch schon alles. Sie meinte, dass ich eine Frau verdiene, die das Gleiche, wie ich empfindet und keine „zuckerverrückte durchgeknallte Möchtegerntänzerin". Ihre Worte, nicht meine. Aber so weh es auch tut, ich gebe ihr recht. Ich habe sowas nicht verdient. Ich habe auf keine ihrer Nachrichten mehr geantwortet. Ich bin nicht ihr Spielzeug, das auf Abruf bereit steht und nach ihre Pfeife tanzt. Mir ist es nicht leicht gefallen sie zu ignorieren, aber es ist das einzig Richtige.
Ich gehe außenrum, da ich heute Mittag nicht zuhause war, um nach der Post zu schauen. Ich suche meinen Schlüssel aus meiner Tasche raus, als ich ein leises Schluchzen höre. Ich schaue auf und sehe eine Frau weinend auf der Stufe vor meiner Eingangstür sitzen. Sie ist nur leicht bekleidet für die schon winterlichen Wetterverhältnisse. Sie trägt ein kurzes dunkelrotes Cocktailkleid, das ihr beim sitzen nichtmal bis zu der Mitte ihrer Schenkel reicht. Ihre langen braunen Haare fallen ihr ins Gesicht, sodass ich es nicht sehen kann. Sie scheint mich noch nicht bemerkt zu haben, denn sie schaut nicht auf. Was soll ich jetzt machen? Wenn ich sie jetzt anspreche, habe ich gleich bestimmt Pfefferspray im Auge, obwohl sie vor meiner Tür sitzt. Dann werde ich wohl morgen nach der Post schauen müssen. Als ich mich gerade umdrehen und gehen möchte, hebt die Unbekannte ihre Hand und wischt sich mit dem Handrücken über ihr Gesicht. Dabei schaut sie auf und ihre Haare geben nun ihr Gesicht frei. Ich bleibe in der Bewegung stocken und schaue in ihre sonst so klaren rehbraunen Augen. Es sind nicht die Augen einer Fremden, sondern die einer Frau, die mich belogen und benutzt hat. Sie schaut mich aus ihren geröteten und traurigen Augen aus an. Es sind die Augen der Frau, die ich zu lieben gelernt habe in den vergangenen Wochen. Ich habe noch nie einen so schmerzerfüllten Blick gesehen und eine solche Verzweiflung. Mein Herz zieht sich zusammen und ich kann nicht einfach weggehen. Denn trotz ihrer unschönen Absichten, bin ich noch immer in sie verliebt und kann sie nicht so leicht bekleidet und weinend hier in der Kälte sitzen lassen. Was ist, wenn jemand ihr jemand etwas angetan hat?
Ich löse mich aus meiner Starre, die sich wie eine Ewigkeit angefühlt hat, aber in Wirklichkeit nur ein paar Sekunden angedauert hat. Mit jedem Schritt, den ich ihr näher komme, schlägt mein Herz vor Aufregung und Sorge schneller. Ich knie mich vor sie und hebe meine Hand, um sie am Arm zu berühren, doch ziehe ihn in letzter Sekunde zurück. Sie hat mich benutzt. Ich muss mich eigentlich von ihr fern halten. Sie jedoch berührt sanft meinen Arm und wispert meinen Namen, sodass mein Herz sich noch mehr zusammenzieht und ich einen schmerzenden Stich in meiner Brust fühle.
„Hat dir jemand etwas angetan?", frage ich in einem alarmierten Tonfall. Sie schüttelt den Kopf und eine Spannung, die ich vorher nicht bemerkt habe, fällt von meinen Schultern. „Möchtest du mit reinkommen?", frage ich sie, was sie mit einem leichten Nicken beantwortet. Ich richte mich auf und helfe auch ihr dabei, da sie so zerbrechlich und schwach wirkt. Ich halte sie an ihrem Arm und stelle mit Erschrecken fest, dass sie eiskalt ist.
„Seit wann sitzt du hier?", frage ich sie entsetzt und beeile mich die Tür aufzuschließen. So kalt wie sie ist, holt sie sich noch den Tod.
„Wie spät ist es denn?"
Ich schaue auf die Uhr. Es ist 1Uhr nachts.
„Fast zwei Stunden", antwortet sie, nachdem ich ihr die Uhrzeit gesagt habe. Ich bin entsetzt und gehe so schnell wie möglich mit ihr in meine Wohnung. Dort setze ich sie auf mein Sofa und bringe ihr eine Decke, die ich ihr über die Beine lege. Dann gehe ich in die Küche, um Kakao und eine Wärmeflasche zu machen. So weh sie mir auch getan hat, kann ich sie nicht leiden sehen. Während die Milch heiß wird, gehe ich in mein Schlafzimmer, um einen Pullover zu holen, den ich ihr geben kann. Ich gehe mit einem Pullover zurück zu Clara. Sie liegt jetzt mit leerem Blick nach vorn auf dem Sofa. Die Tränen laufen ihr nur noch stumm über die Wangen. Als sie den Pullover in meiner Hand sieht, richtet sie sich auf und lässt ihn sich von mir über ihren Kopf ziehen und zieht ihn richtig an. Ich lasse sie nochmal alleine, um die Kakaos und die Wärmeflasche fertig zu machen und kehre so schnell es geht wieder zurück. Zuerst sitzen wir nur schweigend da. Meine Tasse steht auf dem Tisch vor uns, doch Clara hält ihre dampfende Tasse in den Händen.
„Mir hat jemand was angetan", beginnt sie und ich reiße ruckartig meinen Kopf zu ihr herum. Ich will sie gerade fragen, wen ich umbringen muss, als sie fortfährt. „Nur nicht in dem Sinne, den du meinst. Nicht körperlich, sondern seelisch." Das macht die ganze Sache auch nicht besser, aber zum Glück ist niemand übergriffig geworden.
„Da geht es nicht nur dir so. Ich wurde auch seelisch verletzt. Und zwar von dir!", gebe ich als schroffe Antwort. Sie schüttelt den Kopf.
„Das denkst du nur. So wie ich dachte, dass du mich seelisch verletzt und ausgenutzt hast."
Ich bin geschockt und kurze Zeit sprachlos. „Ich habe dich nie benutzt und würde dies auch nie tun. Ich dachte, dass du es wüsstest. Dass du wüsstest, was ich für dich empfinde. Sonst hätte ich mich dir doch nicht als Tanzpartner aufgezwungen oder dir immer deine absurden Zuckerüberdosis-Bestellungen mitgebracht.", erkläre ich ihr fassungslos, als ich meine Stimme wiedergefunden habe. In meiner Stimme schwingt außerdem ein ungläubiges Lachen mit.
Sie lacht trocken auf. „Du meinst so wie du weißt, dass ich das nie machen würde? Ich habe mich nie um deine Aufmerksamkeit bemüht oder mich in den Mittelpunkt gestellt. Ich habe nie offensiv mit dir geflirtet wie Hannah. Ich habe die Zeit mit dir genossen und war dankbar. Meinst du ich hätte mich so über die ganzen Kleinigkeiten gefreut, wenn ich nur Sex ohne Gefühl und ohne jegliche Verpflichtungen wollen würde? Dann würde ich in den Club gehen und mir irgendeinen Idioten holen." Das bringt mich zum Nachdenken. Aber da ich auch manchmal ein Idiot bin, kann ich mir meinen nächsten Kommentar nicht verkneifen.
„Du meinst wie heute Abend?" Dabei lasse ich meinen Blick über ihren nun in dicke Schichten verhüllten Körper gleiten. Sie versteht und schnaubt humorlos.
„Ich war mit Emma aus, da ich Ablenkung wollte. Ich wollte abgelenkt werden, weil du mich ignoriert hast." Bei der Erwähnung des Namens ihrer besten Freundin zucke ich zusammen. „Ich saß alleine am Tisch und habe was gegessen, bis ich auf die Tanzfläche zu Emma gegangen bin, wo sie die Bombe hat platzen lassen." Sie schaut nun auf und in mein Gesicht. Ihre Augen sind glasig und gerötet. Sie sieht unglaublich erschöpft und müde aus. Aber vor allem sehe ich zutiefste Traurigkeit.
„Was hat sie dir über mich erzählt?", fragt sie mich und bricht den Blickkontakt nicht mehr ab.

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Erkämpfte Liebe
Novela JuvenilPaul mag Clara schon seit Jahren, doch hat sich nie getraut sie anzusprechen. Jetzt schöpft er Mut und traut sich sie zu anzusprechen. Endlich hat er es geschafft und die beiden verstehen sich. Doch ihnen scheint ihr Glück nicht gegönnt zu sein, den...