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Ich sagte nichts, so sehr zitterte ich.  Stolperte fast über meine eigenen Füße, doch bevor ich zu Boden gehen konnte, hielt ich mich schnell an dem Pfosten an der Seite des Zeltes fest. Der Stoff war rau unter meinen Fingern, aber das war mir egal. Ich ließ mich auf einen der Tribünenplätze fallen. Meine Beine fühlten sich an wie Gummi.

Er musterte mich. Verfolgte jeden meiner Schritte, jede meiner Bewegungen, als ob er nach etwas Bestimmtem suchte. Aber was? Mit wem hatte er vorher gesprochen? Etwa schon wieder mit meinem Vater? Freundeten die sich etwa an? Mir wurde übel bei dem Gedanken. Mein Magen drehte sich erneut um, und mir war, als würde sich alles um mich herum drehen.

Ich wünschte mir verzweifelt, dass er endlich etwas sagen würde. Irgendetwas. Es musste nicht viel sein. Ein „Das Wetter ist gut heute" oder, was mir am liebsten wäre, ein „Ich kündige einfach." Alles wäre besser, als diese drückende Stille, die zwischen uns hing. Oh Gott, bitte lass mich gehen, bevor ich hier vor ihm zusammenbreche. Oder schlimmer, ihm vor die Füße kotze. Das wäre wirklich erbärmlich.

Ich griff nach meiner Wasserflasche und nahm einen Schluck. Ein Fehler. Mein Magen protestierte sofort gegen den plötzlichen Eindringling, und ich fühlte, wie sich die Übelkeit verstärkte. Ich atmete tief durch und hoffte, dass ich es zurückhalten konnte.

„Steh auf." Seine Stimme, tief, bestimmt.

Ich zuckte zusammen und schüttelte den Kopf, fast automatisch. „Du kannst mich nicht einfach herumkommandieren. Das kannst du vergessen." Meine Stimme klang heiser, aber ich versuchte, sie fest klingen zu lassen. Meine Augen verengten sich zu Schlitzen, während ich ihn wütend anfunkelte.

Er ließ seine Hand in den Nacken gleiten und fuhr sich langsam durch die Haare. Dann lehnte er den Kopf nach hinten, seine Augen geschlossen, und sein Gesicht verzog sich, als hätte er Kopfschmerzen. „Ah shit...Das wird mehr Arbeit als erwartet."

Arbeit? Ich spürte, wie sich etwas in mir zusammenzog. Klar, jetzt kommen die erniedrigenden Beleidigungen. Als wäre die ganze Situation nicht schon peinlich genug. Aber es war mehr als das. Er hatte mich unterschätzt, mich als etwas gesehen, das er „reparieren" konnte. Als wäre ich ein Problem, das er lösen musste. Ich spürte, wie Zorn in mir aufstieg, aber gleichzeitig auch etwas anderes: Verzweiflung.

„Komm, Rhea, steh auf." Seine Stimme war weich und ich hatte keine Ahnung, was ihn plötzlich so nett mit mir reden ließ.

Ich sah ihn an, unsicher, ob ich wirklich tun sollte, was er sagte. Ohne ein Wort stand ich auf. Und Gott bewahre, mir war schwindelig. Alles drehte sich. Ich spürte, wie meine Beine unter mir wackelten, aber ich versuchte, nichts davon zu zeigen. Nichts anmerken lassen. Ich bin stark. Doch ich konnte mich nicht daran hindern, auf ihn zuzutaumeln wie ein betrunkener Teenager.

Er drehte sich zu mir, beobachtete mich mit einem leichten Stirnrunzeln, aber ohne zu sprechen. Seine Augen verfolgten jede meiner Bewegungen, als ich näher kam. Dann, als ich vor ihm stand, griff er nach meiner Jacke, die ich anscheinend immer noch fest in meinen Händen umklammert hielt. Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass ich sie die ganze Zeit festhielt, als wäre sie der letzte Anker in dieser verwirrenden, schwindeligen Welt.

„Die brauchst du nicht", sagte er leise, fast murmelnd, und zog mir die Jacke aus den Händen, ohne zu fragen. Seine Bewegungen waren ruhig und trotzdem so bestimmt, dass ich keinen Widerstand leistete. Ich schloss kurz sammelnd die Augen.

Als ich die Augen wieder öffnete, stand er nur ein paar Schritte entfernt, mit meiner Jacke in der Hand, aber ohne Eile, mich weiter zu bedrängen. Seine Augen suchten meine, aber sie wirkten nicht fordernd. Da war keine Kälte, keine Verachtung. Nur Stille.

„Ich will das nicht." flüsterte ich, so leise, dass ich mir sicher war, er hätte es nicht gehört.
Doch er hatte es gehört. „Dann musst du nicht." Seine Stimme war ruhig.

Ich hob den Kopf und sah ihn überrascht an. Hatte ich das richtig verstanden? „Was?" Ich starrte ihn an, irgendwie entgeistert und völlig aus der Bahn geworfen. „Wenn du nicht willst, musst du nicht. Merk dir das. Wir haben Zeit." Er zuckte mit den Schultern.

Diese Worte trafen mich unerwartet. Ich spürte, wie sie langsam in mir nachhallten, während ich sie immer wieder in meinem Kopf wiederholte. Zeit. Vielleicht war das ja wirklich alles, was ich brauchte. Es heißt doch, Zeit heilt alle Wunden, oder?

Ich schluckte schwer und ließ den Blick kurz sinken, bevor ich ihn wieder hob. „Was ist in dich gefahren?" fragte ich schließlich, meine Stimme leiser, aber etwas fester als zuvor. „Wieso bist du so nett zu mir?" Die Frage war ehrlich, und ich zog eine fragende Augenbraue nach oben. Nichts an seiner plötzlichen Freundlichkeit machte Sinn.

Er lachte, ein kurzes, raues Lachen, das mich genauso verwirrte wie alles andere. Dann senkte er den Kopf, und schüttelte ihn leicht, als wäre ich diejenige, die nicht verstand. Ich neigte meinen Kopf zur Seite und beobachtete ihn, suchte nach einem Hinweis, einer Erklärung. Dieser Mann war mir ein Rätsel. Ein Mysterium, das ich nicht lösen konnte.

„Manchmal", begann er langsam, seine Stimme tiefer und nachdenklicher als zuvor, „muss man einfach erkennen, wann es genug ist." Er hob den Kopf und sah mich an, seine Augen fest auf meine gerichtet. „Du brauchst keinen Kampf mehr, Rhea. Du brauchst eine Pause."
Eine Pause?

„Hör zu, ich weiß, was passiert ist, okay?" Seine Stimme war fest, aber nicht kalt. „Und ich weiß, dass ich ihn nie ersetzen kann. Aber ich verspreche dir, dass ich alles tun werde, um dein Vertrauen zu gewinnen."

Ich schluckte, als seine Worte bei mir ankamen. Vertrauen. Ein schweres Wort. Wiegt viel und siegt meist nicht. Es fühlte sich an wie ein Schwert, das über mir schwebte, scharf und bedrohlich. Ich hatte so oft erlebt, wie Vertrauen zerbrach, wie es wie Glas zerfiel, wenn man es am wenigsten erwartete. Ich sagte nichts, ließ die Stille zwischen uns zu einem schwerfälligen Raum werden, in dem jeder Atemzug anstrengend war.

Meine Schultern sackten herab. Irgendwas in mir gab auf, und ich hatte keine Kraft mehr, es dazu zu bewegen, weiterzumachen.
„Ich kann dir nicht versprechen, dass es einfach wird." murmelte er.

„Und ich weiß nicht, ob ich dir jemals wirklich vertrauen kann." Es war eine ehrliche Antwort, und obwohl ich die Worte aussprach, fühlte ich den stechenden Schmerz der Verletzlichkeit in meiner Brust.

„Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll," gab ich zu, meine Stimme zitterte.
„Du fängst an, indem du einfach hier bleibst..."

All Eyes on MeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt