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Jeder Tag verlief gleich, jeder Tag zog in derselben stummen Monotonie dahin. Niemand meldete sich wegen weiterer Trainingseinheiten, und das Zirkusleben spielte sich einfach ohne mich ab. Ab und zu sah ich Xilian, wie er zum Zirkuszelt ging. Wenn er mich bemerkte, ließ er sich nichts anmerken, als wäre meine Existenz für ihn völlig bedeutungslos.

So vergingen zwei Wochen. Zwei Wochen, in denen ich zwar meine Ruhe hatte, aber trotzdem keine echte Stille fand. Mein Kopf war wie ein wirbelnder Strudel voller Fragen, die keine Antworten zuließen.

Warum war er so schnell gegangen, wenn ihm doch am Anfang so viel daran gelegen hatte, alles langsam und mit Bedacht anzugehen?

Was genau hatte ich gesagt, dass ihn so aus dem Konzept gebracht hatte?

Es schien, als hätten meine Worte ihn abgeschreckt, aber ich konnte nicht herausfinden, warum.
Jedes Mal, wenn ich darüber nachdachte, fühlte ich eine Mischung aus Ärger, Verletzung und einer Leere, die mich immer wieder zurückzog.

Ich warf mich auf mein Bett und vergrub stöhnend mein Gesicht in einem der Kissen, als wollte ich die Gedanken damit ersticken. Es war sinnlos. Die zweite Hälfte der Abendshow musste gerade begonnen haben. Ich hörte das dumpfe Dröhnen der Musik in der Ferne und spürte das vage Ziehen einer Erinnerung in mir. Ich erinnerte, wie es war, lebendig zu sein. So lebendig wie in jenen Nächten, in denen ich selbst in der Manege stand, das Publikum um mich spürte und diesen Moment lebte.

Irgendwo in mir hatte sich etwas verändert, als ich Xilian von dem letzten Auftritt mit Jase erzählt hatte. Es war wie eine Tür, die einen Spalt weit aufgestoßen wurde. Ich wusste, dass ich nicht einfach wieder zu der Person werden konnte, die ich einmal war – nicht so, als wäre nichts geschehen. Aber vielleicht musste es auch nicht genau wie früher sein. Vielleicht konnte ich in kleinen Schritten wieder dorthin finden, wo ich mich lebendig fühlte. Vielleicht gab es einen Weg zurück, einen Weg, der irgendwo jenseits der Schwere meines Wohnwagens lag.

Etwas in mir schaltete um, ein kleiner Hebel wurde umgelegt, und bevor ich verstand, was geschah, hatte ich mich schon aufgerichtet. Ohne groß darüber nachzudenken, griff ich zu der nächsten Haarbürste und glättete mein zerzaustes, mittlerweile fast bis zum Bauchnabel reichendes Haar. Der Entschluss hatte sich gefestigt, während ich nach meiner Jacke griff und langsam die Tür öffnete. Ich trat hinaus, spürte die kühle Abendluft und ließ den Klang des Zirkus in der Ferne auf mich wirken.

Ich lief den Schotterweg entlang, in Richtung des Zirkuszelts. Die kleinen Steine knirschten unter meinen Schritten, während die kunstvoll gestalteten Laternen mir den Weg leuchteten. Vorbei am Essenszelt und am Wohnwagen der Maske. Alles lag in Dunkelheit, nur das Zelt strahlte bereits in der Ferne, hell und einladend. Der große, leuchtende Schriftzug „Royal Circus Velaris" war schon von weitem zu sehen, und ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich darauf zuging. Aus dem Inneren hörte ich Musik und das Lachen des Publikums. Der
unverkennbare Hinweis, dass Giuliano – unser Clown, gerade auf der Bühne war.

Ich blieb am Artisten-Eingang stehen, doch der Gedanke, dort hineinzugehen, ließ mich innehalten. Die anderen würden mich wahrscheinlich ansehen, als sei ich ein Kalb auf einer Auktion. Also entschied ich mich für den Haupteingang, vorbei an den Snack-Ständen und Getränkebuden, bis ich den Zuschauerbereich erreichte. Es waren bedauerlich viele Plätze frei, was mir einen Stich versetzte.
Ich setzte mich neben eine ältere Dame, die völlig in die Show versunken war und mich gar nicht bemerkte.

Kaum hatte Giuliano die Bühne verlassen, begann die Eröffnungssequenz eines Liedes, das ich sofort erkannte – „Into the Woods" von Joel Sunny. Die ersten magischen Töne erfüllten das Zelt, und die Spannung wuchs. Ich wusste genau wer jetzt dran war. Irina und Ivan die
„Ethereal Equines". Vier schneeweiße Lipizzaner trabten elegant in die Manege und teilten sich von selbst auf. Zwei trabten in einem Kreis links, die anderen beiden nach rechts. Nach ein paar Runden kamen sie in der Mitte zusammen und verbeugten sich gegenüber voneinander.
Die Köpfe gesenkt und ein wenig Platz zwischen ihnen. Das Publikum wartete in atemloser Erwartung.

Neben mir veränderte sich die Haltung der Dame, sie war völlig gefesselt. Dann donnerte Irina auf ihrem weißen Wallach Shiro in die Manege, direkt aus dem dunklen Vorhang heraus. Shiro schoss mit halsbrecherischem Tempo auf das Ende der Arena zu, bevor Irina ihn in einem präzisen Sliding Stop hielt. Sofort stieg der Schimmel auf die Hinterbeine, die Muskeln seines Körpers angespannt und seine Mähne schimmernd im Licht, das nun in einem sanften Grün und Gelb über die Manege glitt, wie das Sonnenlicht in einem magischen Feenwald.

Irina sah dabei aus wie ein Teil dieser Welt.
Ihr Kleid war in einem zarten Hellgelb gehalten und die langen Schleier wehten wie Nebel um ihre Beine, während sie Shiro geschickt durch die Bewegung führte. Es war ein Bild, das sowohl Stärke als auch eine Art überirdische Leichtigkeit verkörperte. Kurz darauf stürmte Ivan mit seinem Wallach Shade heraus – ein Pferd, das das perfekte Gegenstück zu Shiro war. Shade war tiefschwarz, ein wunderschöner, imposanter Kontrast in der hell erleuchteten Arena.

Ivan trug einen feenartigen Anzug und dieselben elfenhaften Ohren wie Irina, und beide wirkten, als wären sie Geschöpfe aus einer anderen Welt. Sie lenkten ihre Pferde durch die Manege, duellierten sich im Tempo und durch atemberaubende akrobatische Bewegungen, die sie scheinbar schwerelos vollführten. Die weißen Pferde standen still, den Kopf gesenkt, fast ehrfürchtig, während Shiro und Shade in einem wilden Tanz wirbelten. Das Publikum hielt den Atem an, und die Spannung war fast greifbar.

Gänsehaut überzog meine Arme, obwohl ich die Nummer schon unzählige Male gesehen hatte.

Die Show war im Kern dieselbe geblieben, doch jedes Detail in Irinas und Ivans Darbietung fühlte sich immer wieder neu und fesselnd an. Irina sprang mühelos von ihrem Wallach Shiro ab und schwang sich auf den Rücken einer der Stuten, die bereits wieder in die Show involviert waren.

Ohne Sattel und allein durch das feine Zusammenspiel aus Körpersprache und Vertrauen manövrierte sie die Stute in eine Reihe weiterer Kunststücke. Ihr Sitz war so sicher, als sei sie eins mit dem Pferd. Unterdessen galoppierte Ivan auf Shade in einem perfekten Kreis um sie herum, beinahe schwebend, mit einem Griff am Sattel, seinen Körper dicht an den muskulösen Flanken des schwarzen Hengstes – ein Sinnbild von Kraft und Eleganz.

Die Beleuchtung wurde gedimmt, dann blitzte ein Strahl weißen Lichts über die Manege und ließ die Szene fast magisch wirken. Das Glitzern der Lichter spiegelte sich im glänzenden Fell der Pferde wider, und für einen Moment sah es aus, als wären sie Fabelwesen aus einer anderen Welt. Der Höhepunkt rückte näher, als Irina sich langsam aufrichtete und auf dem Rücken der weißen Stute stehend Balance fand. Ihre Bewegungen wirkten leicht und dennoch voller Kraft. Shiro blieb dicht neben ihr, seine Augen wachsam, als ob er wüsste, dass sie hier nicht bloß Tiere, sondern die Helden einer Geschichte waren, die mit jedem Schritt lebendiger wurde.

Bei einem der Beatdrops in der Musik sprang Irina in einer fließenden Bewegung zurück auf Shiro, und der weiße Wallach nahm sofort Fahrt auf, als ob er genau auf diesen Moment gewartet hätte. Die Zuschauer brachen in Applaus aus, doch es war noch nicht vorbei.

In diesem Moment zogen sich die vier Stuten elegant und diszipliniert aus der Manege zurück, eine nach der anderen, als ob sie dem Abschluss der Show den Weg freimachen wollten. Zurück blieben nur Irina und Ivan mit ihren beiden Pferden, die in einem engen, harmonischen Kreis galoppierten, hintereinander, ein Bild vollkommener Symmetrie.

Der Anblick war majestätisch – der strahlende Schimmel und der tiefschwarze Rappe bewegten sich so dicht beieinander, dass ihre Gegensätze kaum zu fassen waren. Sie wirkten wie ein Tanz der Nacht und des Morgens, eine stille Verschmelzung der Gegensätze, die ohne Worte etwas Magisches übermittelte. Ivan und Irina standen beide auf den Rücken ihrer Pferde, die Muskeln gespannt, ihre Körper wie Spiegelbilder.

Als die letzten Töne der Musik verklangen, ließen sich beide gleichzeitig in ihre Sättel gleiten.
Ein kurzer Atemzug und dann schossen sie mit demselben kraftvollen Tempo hinaus, mit dem sie gekommen waren, hinter dem Vorhang verschwunden, bevor der Applaus überhaupt voll aufbrannte.

Ich schluckte und blinzelte, überrascht von der feinen Träne, die sich in meinem Augenwinkel gesammelt hatte. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich die ganze Zeit gelächelt hatte. Und ich lächelte noch immer, völlig überwältigt von der Schönheit dessen, was ich gerade gesehen hatte.

Es war weit mehr als nur eine Show – es war ein Tor zu einer Welt, die sonst nur in unseren Träumen existierte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: 4 days ago ⏰

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