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Die Übelkeit, die sich vorhin wie ein Knoten in meinem Magen festgesetzt hatte, war mittlerweile verflogen. Ich hatte ihm alles erzählt. Jedes Detail, jedes verdammte Detail von dem letzten gelungenen Auftritt, ohne auch nur zu merken, dass ich sprach. Vorsichtig ließ ich meinen Blick zu ihm wandern, suchte nach irgendeinem Anzeichen von Reaktion, irgendetwas, das mir zeigte, dass er es verstand. Doch sein Gesicht blieb reglos, beinahe gleichgültig. Mein eigener Ausdruck verriet nichts, als hätte ich eine Mauer um meine Gefühle gebaut.

Er schluckte, und sein Kehlkopf hüpfte leicht, während er dasaß und meine Worte offenbar in sich aufnahm. Für einen Moment glaubte ich, etwas wie Trauer in seinen Augen zu sehen, doch der Moment verflog so schnell, dass ich mir nicht sicher war, ob es überhaupt real war. Mit einem unruhigen Blick sah ich wieder hinüber zum Trapez, das reglos von der Decke hing. Es war vertraut, aber in diesem Moment schien es mir fremd, als gehöre es zu einer anderen Welt, die mir zunehmend unerreichbar wurde.

Wieso musste das passieren? Warum ich, warum?

Ein Räuspern durchbrach meine Gedanken. Ich schrak leicht zusammen und drehte mich um. Durch den Spalt des schweren Vorhangs schaute ein dunkler Schopf hindurch – Jacko. Am Zügel seine Vollblut Stute. Ehe ich etwas sagen konnte, erhob sich Xilian mit einer schnellen, fast genervten Bewegung und warf einen Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk. Die Uhr sah alt aus, irgendwie teuer und passend zu seiner unnahbaren Art.

„Das Training ist vorbei." sagte er schließlich, seine Stimme klang plötzlich anders, distanziert, beinahe schneidend. Der abrupte Stimmungswechsel war fast erschreckend, und für einen Moment wusste ich nicht, wie ich reagieren sollte. Es verwirrte mich, diese plötzliche Kälte.

Ich beobachtete ihn, wie er in Richtung des Vorhangs ging, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen. Er rempelte Jacko an, fast beiläufig, so als sei es ihm vollkommen egal, ob dort jemand mit einem Pferd stand. Und dann verschwand er hinter dem Vorhang,
ohne ein weiteres Wort.

Jacko sah mich fragend an, als er durch den Vorhang trat, seine Stute Avena an der Seite. Die kräftige Braune mit dem glänzend gepflegten schwarzen Schweif und der dunklen Mähne schnaubte leise, während Jacko ihre Zügel locker in der Hand hielt.

„Wer war das denn?" fragte er, ein Hauch von Skepsis in seinem Ton.

Ich verdrehte die Augen. „Mein neuer Partner." Ich spuckte das letzte Wort fast vor ihm auf den Boden, als wäre es ein bitterer Geschmack, den ich loswerden wollte.

„Oh, fuck." Seine Augen weiteten sich, sein Mund stand leicht offen. Dann senkte er den Blick. Natürlich tat er das – der Anflug von Mitleid war ihm deutlich anzusehen. Und das war das Letzte, was ich gerade brauchte. Ich tat ihm leid? Dabei war ich längst an diesem Punkt vorbei und wollte Mitleid einfach nicht mehr zulassen.

Ich griff nach meiner Jacke und nach der Tasche, die offen auf einem der Sitze lag, während ich mich zum Gehen bereit machte. „Trainierst du jetzt?" Es war die einzige halbwegs sinnvolle Frage, die ich in diesem Moment zustande brachte, nur um das Schweigen zu durchbrechen.

Er nickte und seine Miene entspannte sich etwas. „Ja, das hatte ich vor. Avena ist momentan nicht ganz bei der Sache, glaube ich." Er lächelte ein wenig, und seine Grübchen wurden sichtbar.
Als er Avena sanft den Hals klopfte, schnaubte die Stute leise, als würde sie seine Gedanken teilen.

Ich atmete tief durch und zwang mich zu einem knappen Lächeln. „Na gut, dann bin ich mal weg." Mit einer leichten Handbewegung winkte ich ihm zum Abschied zu, bemühte mich um ein sanftes, ehrliches Lächeln, das meine Müdigkeit von irgendwie allem überspielen sollte.

„Bis dann." Jacko lächelte mich ein letztes Mal an, bevor er sich auf den Rücken von Avena schwang. Ich beobachtete ihn einen Moment lang, wie er sicher im Sattel saß und tauchte dann durch den Vorhang, um nach draußen zu treten.

Es war bereits Ende August, und die Nachmittagsstunden in Prag hatten ihre sommerliche Wärme verloren. Ich überlegte kurz, zu Lorenza zu gehen, um mir einen Tee zu holen, doch letztendlich entschied ich mich für den Weg zu meinem Wohnwagen.

Der Himmel war bewölkt, doch die Sonne ließ sich gelegentlich durch die dichten Wolken blicken, als ob sie sich nicht entscheiden konnte, ob sie für einen Moment scheinen oder sich wieder zurückziehen wollte. Ich reckte mein Kinn gen Himmel und schloss die Augen, um die sanften Strahlen auf meiner Haut zu spüren. Es war wie ein kleiner Moment des Friedens.

Mit den Händen tief in den Taschen meines Kapuzenpullovers vergraben, schlenderte ich den Weg entlang, der zu meinem Wohnwagen führte.

Wie jeden Tag öffnete ich die Tür und trat in den Wohnwagen ein. Ich hing meine Jacke an die Garderobe, das Geräusch des Stoffes, der über den Haken rutschte, drang in die Stille. In einer unüberlegten Bewegung warf ich meine Tasche in die Ecke, als ob ich damit auch den emotionalen Ballast des Tages ablegen könnte.

Ich wandte mich der Küchenzeile zu, wo ich nach meiner Lieblingstasse und dem Tee griff. Den Wasserkocher füllte ich mit Wasser und stellte ihn auf die Herdplatte, wartete geduldig, während das Wasser zum Kochen kam. In der Zwischenzeit sah ich auf mein Handy, das mir mit neuen Nachrichten aus einer Welt, die ich versucht hatte zu meiden, entgegenleuchtete.

Einige Instagram-Nachrichten wurden angezeigt, und ich spürte sofort, wie mir der Magen knotete. Diese App hatte ich lange nicht mehr geöffnet, nicht seit dem Unfall. Zu viel Propaganda, zu viele sorgfältig inszenierte Momente. Und die tausend Beileidsbekundungen, die nach dem Unfall eingegangen waren, schienen mir damals wie ein schwerer Schleier, der mich erstickte.

Natürlich waren sie nur nett gemeint, die Worte von Menschen, die ich nicht kannte. Doch ihre Anteilnahme fühlte sich oft so fern und unpersönlich an. Sie wussten nichts von den stillen Kämpfen, die ich mit mir selbst ausfocht, von der Leere, die der Verlust in meinem Leben hinterlassen hatte. Diese Fremden, die auf dem Bildschirm lebendig wurden, hatten keine Ahnung, wie tief der Schmerz saß, und dass ihre Botschaften mir nicht den Trost bringen konnten, den sie mir vermutlich geben wollten...

Der Wasserkocher pfiff laut, und ich legte mein Handy zur Seite. Mit einem kurzen Ruck zog ich den Stecker aus der Steckdose und goss das kochende Wasser vorsichtig in die Tasse. Der Teebeutel fiel hinein und spritzte ein paar Tropfen auf den Rand, während Dampf leise aufstieg. Ich setzte mich an den kleinen Tisch, ließ den Tee ziehen, bis die Farbe sich langsam verdichtete, und griff dann erneut zum Handy. Nach kurzem Zögern klickte ich auf Instagram, obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, es ruhen zu lassen.

Ich begann, wahllos durch ein paar Stories zu tippen und alte Nachrichtenverläufe zu löschen, als ob ich damit einen Teil der Erinnerung auslöschen könnte. Bis ich plötzlich auf ein bestimmtes Konto stieß: @xiliannoxville. Neugierde ergriff mich. Ich öffnete das Profil und spürte einen Anflug von Unbehagen, als ich das Bild sah. Er stand vor einem dunkelblauen Zirkuszelt, über dem ein Logo prangte: цирк Rodina – „Zirkus Rodina". Ich erinnerte mich vage an das, was ich darüber gelesen hatte; dieser Zirkus war im Zuge des Krieges aufgelöst worden, die Truppe zerstreut, die Tiere verkauft. Es musste sein letzter Arbeitsplatz gewesen sein.

Mein Daumen wanderte langsam weiter nach unten und scrollte durch die Bilder, während ich mich tiefer in seine Welt hineinzog. Die neuesten Fotos waren sieben Wochen alt, ein Gruppenbild mit der Rodina-Crew. Die Bildunterschrift war ein kurzer, einfacher Dankestext auf Ukrainisch, der mit einem blauen und gelben Herz endete. Trotz der Leichtigkeit auf den Bildern, konnte ich die Traurigkeit und die Schwere in den Gesichtern erkennen, besonders in seinen Augen.

Ich scrollte weiter und entdeckte Fotos von seinem Training. In vielen Bildern war ein anderer junger Mann dabei, der immer wieder neben ihm auftauchte – sie schienen mehr zu sein als nur Kollegen, vielleicht gute Freunde? Und ja, seine Muskeln waren auf jedem Bild zu sehen. Er schien darauf bedacht, seine Athletik nicht nur zu zeigen, sondern vielleicht auch eine Art Stolz damit auszudrücken. Männer halt. Er war definitiv ein Angeber, dachte ich, und trotzdem musste ich zugeben, dass es eine Art Faszination in seiner Präsenz gab.

Schließlich stieß ich auf seine Bio. Die Worte dort waren kurz und klar, eine einfache Botschaft, geschrieben auf Ukrainisch: зупиніть війну – „Stoppt den Krieg." Ich las die Worte noch einmal, diesmal langsamer, fast ehrfürchtig. Das war mehr als nur ein Spruch. Es war ein stiller, aber fester Protest, eine Erinnerung an alles, was er verloren hatte.

Als ich den ersten Schluck Tee nahm, fühlte ich, wie eine seltsame Beklemmung in mir aufstieg. Trotzdem klickte ich auf das kleine „Folgen"-Symbol und legte das Handy dann entgültig zur Seite.

All Eyes on MeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt