Die Nacht hatte sich schon längst unbemerkt und auf leisen Sohlen über das Land geschlichen und der Mond, der hoch und in all seiner Pracht und Schönheit am Firmament stand, warf seinen silbrig glänzenden Schatten auf das klare, schwarz schimmernde Meer.
Sam Kingson hockte auf der alten, grauen Mauer direkt an der Küste, die nackten Füße tief im, immer noch von der knallenden Mittagssonne, lauwarmen Sand vergraben und starrte auf den Ozean hinaus. Beobachtete die kleinen weißen Schaumkrönchen, die immer wieder hier und da auf der ansonsten ruhigen Oberfläche aufblitzten und helle Striche in die Dunkelheit der Nacht zauberten.Er hätte sie gerne gehört, die Wellen. Ihnen gelauscht wie sie sachte über den Sand gleiten, wenige Fuß vom ihm entfernt brechen. Wie das Salz knistert und winzige Wirbel durch das Wasser zieht. Wie der Wind die Gischt gen Himmel trägt. Doch stattdessen dröhnte ein monotoner, dumpfer Klang in seinen eh schon schlechten Ohren und zerstörte damit die unwirkliche Idylle um ihn herum, mit jedem pochenden Bass, der durch seine Adern zog und den Boden unter ihm erbeben ließ.
Sam Kingson griff zu der kühlen Flaschen, die neben ihm auf der Mauer Platz gefunden hatte und nahm einen kräftigen Zug. Der Alkohol rann seinen Rachen hinunter, kribbelte angenehm im Magen nach und machten den Krach, der aus den Boxen dröhnte, etwas erträglicher.
Er legte den Kopf in den Nacken und schaute gen Himmel. Die Sterne waren ganz vernebelt von dem Qualm der Zigaretten, der zu ihnen aufstieg und die Luft verpestete. Vermischt mit der salzigen Freiheit des Meeres bildete der kräftige, raue Geruch einen komischen Kontrast, der Sam irgendwie zum Nachdenken brachte. Er nahm noch einen Schluck."Na, was erzählen sie dir?". Sam zuckte zusammen und verschüttete ein gutes Drittel der grünlichen Flasche, die ohnehin schon fast leer war. Er fluchte unterdrückt und schüttelte das kalte Nass von seinen nackten Zehen während sie ihre langen Beine über die Mauer schwang und sich neben ihn hinhockte.
Sie winkelte die Beine an und schlang ihre dünnen Arme darum, wie um sich selbst Halt zu geben. Und Wärme.
Sam fragte sich sowieso, warum Mädchen sich immer so kühl anzogen, wenn sie doch genau wussten, dass es windig und kalt war, hier unten am Meer.
Er musterte die nackte Haut ihrer Beine. Wie sich winzige Pocken auf ihr bildeten und der Mond sie beschien und in goldfarbenes gelbes Licht tauchte. Sah ihre zitternde Hand, die dünnen Fingerchen, welche die Zigarette umklammert hielten und zu ihrem Mund wanderten. Er nahm noch einen Zug und die Welt wurde etwas heller, fühlte sich etwas weniger verloren an. Den Bass nahm er kaum noch war. Nur ihren Körper, der unwillkürlich näher an seinen rückte."Du sitz hier gerne und guckst raus in die Welt, was?". Sie musterte ihn neugierig, nahm einen Zug, Rauch stieg auf, spielte vor Sams Augen ein wirbelndes, stummes Ballet. Er erwiderte ihren Blick. Das Blau ihrer Augen war ganz trüb. Das Make-up gab langsam seinen Geist auf und die dunklen Ringe unter ihren Augen zeichneten sich mittlerweile selbst im faden Licht des Mondes deutlich ab. Er kannte sie, schon seit er als kleiner Junge hierher gezogen war. In dieses Drecksloch. Caroline. Sie hieß Caroline Manderd. Und sie war noch ärmer dran als er.
"Irgendwie schon.". Er nahm noch einen Schluck, dann war die Flasche leer und er begann, die Etikette abzupulen.
Sie kam noch ein Stückchen näher. Er spürte jetzt ihre nackte Haut durch den Stoff seiner Jeans an seinem rechten Bein. Sie zitterte. Er schlang den Arm um sie, dann fanden ihre zarten, dünnen Finger ebenfalls den Weg zur Flasche und sie pulten gemeinsam."Was hast du eigentlich die ganze Zeit gemacht in den Jahren wo du weg warst?". Ihr Kopf lehnte an seiner Schulter und er stellte erleichtert fest, dass sie zu zittern aufhörte. Spürte, wie es langsam warm wurde, an der Stelle, wo ihre Beine sich berührten.
"Nichts besonderes.". Er dachte an die Zeit vor knapp zwei Jahren zurück. Gott, so lange war es jetzt schon her?
Sah ihre funkelnden Augen vor sich. Dunkel, geheimnisvoll, gefährlich.
Hörte die scharfen Klingen frisch geschliffenen Schwerter aufeinander prallen. Funken sprühen.
Spürte den Schmerz, diesen schrecklichen Schmerz. Ihre Krallen, die sich tief in das Fleisch an seinem Rücken bohrten. Sah sich ein weiteres Mal vorm Spiegel stehen, schwitzend, das Gesicht vor lauter Schmerzen verzerrt, langsam das Shirt bis zum Kinn hoch ziehend, zitternd, das glühende Mal auf seiner blassen, geschundenen Haut betrachtend.
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After Death, Das Geheimnis
VampireDer Inspektor senkte die Stimme und beugte sich so weit vor, dass die Gesichter der beiden alten Männer sich beinah berührten. "Das waren keine normalen Morde. Die Male, Halber, sie hatten alle diese schrecklichen Male.". "Aber das kann nicht sein"...