23, 5, 1, 18, 5, 3, 15, 13, 9, 14, 7
Christopher Herik Berebler starrte die Zahlen vor sich an.
23, 5, 1, 18, 5, 3, 15, 13, 9, 14, 7
Er hockte auf dem Boden, die Beine im Schneidersitz verwoben, den Oberkörper nach vorne gelehnt, auf die Ellenbogen gestützt, den brummenden Schädel mit den Händen aufrecht haltend. Neben sich eine Tasse, halbvoll gefüllt mit kaltem Kaffee und vor sich diesen Zettel. Diesen Zettel mit den Zahlen darauf. Mit diesen beknackten Zahlen.
23, 5, 1, 18, 5, 3, 15, 13, 9, 14, 7
Christopher stöhnte laut auf, fuhr sich in einer fast schon verzweifelten Geste durch das strubelige, rabenschwarze Haar und griff nach der Tasse, die neben ihm auf dem Boden stand.
Als die inzwischen abgekühlte Flüssigkeit seinen Hals hinunter rann, verzog er kurz angeekelt das Gesicht, hatte den schrecklichen Geschmack in der nächsten Sekunde jedoch schon wieder vergessen.23, 5, 1, 18, 5, 3, 15, 13, 9, 14, 7
Seine Gedanken kreisten nur um diese eine Frage. Was? Was wollten diese Zahlen ihm sagen? Was für eine Bedeutung hatten sie? Waren es am Ende gar keine Zahlen, sondern etwas ganz anderes, was er nur falsch gedeutet hatte? Er nahm noch einen Zug, dann war die Tasse leer. Mindestens genauso leer wie die Einöde, die gerade in seinem Kopf herrschte.
Christopher lachte über diesen unglaublich schlechten Vergleich, doch dann verfinsterte sich seine Miene direkt wieder. Der Kaffee. Er war leer. Die Maschine. Sie war meterweit entfernt. Er seufzte.
Dann vergrub er das Gesicht in den großen Händen, rieb sich verdrieslich über die müden Augen und starrten den kalten Fliesenboden unter sich an. Das Licht einer einzigen Lampe warf ihren kühlen, blauen Schein auf den schwarzen Marmor und geflektierte leicht das dunkle Funkeln seiner tiefbraunen Augen. Er war bloß froh, dass man in dem trüben Licht nicht die dunklen Ringe darunter sehen konnte, die mittlerweile mit hundertprozentiger Sicherheit ein ganz neues Ausmaß an Schwärze angenommen haben mussten.
Wäre Julie jetzt hier, sie würde ihn zwingen, auf der Stelle schlafen zu gehen. Christopher musste grinsen. Sie würde ihn sogar eigenhändig aus dem Labor tragen, würde er ihr nicht gehorchen. Doch seine Mundwinkel zogen sich immer weiter nach unten je länger er an ihre langen, dunklen Haare, ihren durchdringenden, intensiven Blick, den schmalen, wohlgeformten Körper unter dem weißen Kittel denken musste.
Denn Julie war nicht hier.
Seit knapp einem Jahr hatte er sie jetzt schon nicht mehr gesehen.
Und er würde nicht schlafen gehen.
Nicht jetzt.
Er konnte nicht.
Sie hielten ihn wach.
Die Zahlen.23, 5, 1, 18, 5, 3, 15, 13, 9, 14, 7
Er kniff kurz die Lider zusammen um das eingebrannte Bild der Zahlen vor seinem inneren Auge zu verdrängen, dann stemmte er sich auf, griff nach seiner Tasse und schob seinen müden Körper langsam Richtung Kaffemaschine.
Die wie vielte Tasse war das jetzt schon? Er hatte vergessen zu zählen. Schon über fünf? Nein! Oder etwa doch?
Gedankenverloren ließ er ein Pet in die Maschine fallen, klappte den Deckel zu und goß frisches Wasser dazu, dann betätigte er den kleinen schwarzen Knopf, das rote Lämpchen flackerte auf und das vertraute Geräusch von arbeitenden Mechanismen und fließendem Wasser erfüllte die Leere des Raumes.
Ach, was solls. Auf die eine Tasse mehr oder weniger kam es jetzt auch nicht mehr an. Christopher konnte ohnehin nicht schlafen. Und das schon mittlerweile seit mehreren Monaten nicht mehr. Zumindest nicht gut. Und wenn er schon nicht schlafen konnte, dann half der Kaffee ihm zumindest, etwas aus der dazugewonnenen Zeit zu machen und nicht bloß jede Nacht auf seinem Bett herumzuliegen und an die Decke zu starren, in jedem Schatten die Umrisse ihres bezaubernden Gesichts zu sehen und sich wie der übelste Stalker vorzukommen oder Lukas dabei zuzugucken, wie er und Forsake sich jede Nacht beinah umbrachten.Der Blick des jungen Mannes glitt durch den nahezu leeren Raum und blieb an der gläsernen Wand mit den Fotos hängen. 11 Tote innerhalb von 11 Tagen. Den letzten Tagen, in denen sie noch etwas von ihnen gehört hatten. Den letzten Tagen vor der Wende. 11 Tage vor etwas mehr als zwei ganzen Jahren und er lungerte immernoch hier herum und starrte auf die Bilder.
Die Bilder ihrer zerschundenen Körper. Eingeritzt in die linke Brust, den Bauch oder den Rücken waren die Striche. Bei der ersten Leiche waren es die meisten. 23 schmale, rote Linien zogen sich über die dünne Haut über der Brust. Bei dem zweiten Toten waren es fünf feine Strieme knapp über dem Bauchnabel.Christopher wandte den Blick ab. Er konnte es immernoch nicht gut sehen. Nach all den Jahren, nach all den schrecklichen Bildern, die sich für immer in sein Gehirn eingebrannt hatten. Ihm wurde immernoch leicht schlecht und jedes Mal aufs neue überkam ihn dieses beklemmende Gefühl. Eine Mischung aus nackter Angst, blankem Entsetzten und schierem Unverständnis, wie jemand zu so etwas fähig sein konnte.
Er schaltete wieder ab.23, 5, 1, 18, 5, 3, 15, 13, 9, 14, 7
Keine Zahlenfolge, keine Zahlengruppe. Vielleicht die 5. Die 5 kam zweimal vor. Sein Hirn arbeitete auf Hochtouren, sein Kopf schmerzte und er kippte den ersten Schluck der heißen Flüssigkeit den Rachen hinunter. Der Kaffee verbrannte ihm die Zunge und schmerzte in der Speiseröhre, tat aber gut. Er spürte förmlich, wie sein Körper neu aufgeladen wurde. Genug zumindest, dass sein Kopf wieder etwas Zeit zum Arbeiten hatte, ohne zu sehr von dem schmerzenden und nach Schlaf trachtendem Rest beansprucht zu werden. Vielleicht auch noch die 15 dazu?
Der nächste Schluck folgte und Christopher sah wieder klarer. Sah die Striche vor seinem inneren Auge, die Zahlen. Ihren Zusammenhang. Die Zahlen?Was wenn?
23
ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVW... W!
5
ABCDE... E!
23, 5, 1, 18, 5, 3, 15, 13, 9, 14, 7
Glas zerschepperte auf den kalten Fliesen und braune, schimmernde Flüssigkeit bedekte in sekundenschnelle das Grau des Bodens, als Christopher Herik Berebler die Kaffeetasse aus den zitternden Händen fiel.
Die Augen und den Mund weit aufgerissen griff er wie in Trance zu dem Handy in der Tasche seiner Jogginghose. Er musste ihn anrufen.
Jetzt sofort.
Er musste ihm sagen, was da stand.
Was sie ihnen hinterlassen hatten vor mehr als zwei ganzen Jahren.
Die Botschaft.
Nur drei Worte. Elf simple Buchstaben. Mehr brauchte es nicht um ihm das Blut in den Adern gefrieren zu lassen.WE ARE COMING
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After Death, Das Geheimnis
VampireDer Inspektor senkte die Stimme und beugte sich so weit vor, dass die Gesichter der beiden alten Männer sich beinah berührten. "Das waren keine normalen Morde. Die Male, Halber, sie hatten alle diese schrecklichen Male.". "Aber das kann nicht sein"...