Lukas Berebler & Forsake Feral

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Die Stille schnürte ihm die Kehle zu. Machte ihm das Atmen schwer. Ließ ihn japsen nach Luft. Jagte ihm in regelmäßigen Abständen kalte, schreckliche Schauer über den Rücken. Flüsterte mit zahllosen, zischelnden Stimmen auf ihn ein. Machte ihn verrückt.

Die Dunkelheit fraß sich in seine Augen. Machte ihn blind. Lähmte ihn. Sie legte sich über ihn wie ein graues, staubiges Tuch aus Angst und Schmerz und ließ seinen Körper gefrieren unter ihrem eisigen Griff. Ließ ihn zucken. Panik glomm auf. Machte ihn verrückt.

Lukas Berebler kniff die Augen zusammen und versuchte verzweifelt, seinen rasselnden Atem unter Kontrolle zu bekommen. Presste sich gegen die kalte Steinmauer. Legte sich die zitternde Hand an die Pulsschlagader. Spürte das Leben. Atmete. Kam zur Ruhe.

Darum ging es. Darum, und um nichts anderes. Ruhe bewahren. Sich seinen Ärgsten stellen. Bis da am Ende nichts mehr ist. Nur noch Stärke.

Warum gerade die Stille? Was machte ihm so sehr Angst an ihr? Was ließ sein Herz rasen, seine Muskeln erbeben, den Schweiß laufen? Ganz einfach, gegen sie war er vollkommen machtlos.
Wenn sie da war, lief etwas falsch. Ganz schrecklich falsch. Und es war längst zu spät, noch etwas dagegen zu unternehmen. Denn wenn die Stille einmal da war, dann war es schon passiert.
Sie kam entweder, wenn da zuviel war, was gesagt werden musste. Wenn da zu viele Worte waren. Zu grausam, zu brutal, zu mächtig, als dass sich jemand trauen würde, sie auszusprechen, auch wenn alle bereits wussten, das sie da waren. Nur versteckt. Eingehüllt im düsteren, dornigen Mantel der Stille.
Oder sie war da, wenn da sonst nichts mehr zu sagen war. Wenn alle Worte dieser Welt plötzlich keinen Sinn mehr zu ergeben schienen. Wenn das Herz schwer wurde und man nicht mals mehr genau wusste, warum. Wenn da nichts mehr war. Genau dann fraß sich die Stille wie ein gieriges, lauerndes Monster in die Herzen, brach sie. Lautlos.
Lukas war sich nicht sicher, was schlimmer war.

Und die Dunkelheit? Die Dunkelheit schränkte ihn ein, nahm ihm eine seiner stärksten Waffen, sein Augenlicht. Machte ihn mit einem Schlag verletzlich und hilflos. Machte ihn blind.
Lukas hasste es, nicht Herr der Lage zu sein. Mehr als alles andere hasste er es.
Und genau dagegen galt es, sich zur Wehr zu setzten.

Er schlug die Augen wieder auf und starrte in die Dunkelheit. Lauschte durch die Finsternis, in die Totenstille hinein. Nichts. Absolut gar nichts.

Er spürte den sicheren Stein, kühl und beruhigend in seinem Rücken. Solange er diese Wand hinter sich hatte, konnte er nur noch von der Seite oder direkt von vorne kommen. Na ja, vielleicht auch noch von oben. Doch egal. Solange er nur den festen Stein an seinem Körper spürte, wusste er, dass sein Rücken gedeckt war. Eine Sache weniger, um die er sich kümmern müsste. Und doch... Eine Chance weniger, ausweichen zu könnten, selber zum Angriff über zu gehen.
Er überlegte nicht lange, dann trat er nach vorne. Erst einen kurzen, beherzten Schritt, dann gleich mehrere Meter.

Lukas Berebler schloss die schwitzige Hand fester um den Griff seines Schwertes. Konzentrierte sich. Drehte sich auf der Stelle im Kreis, die Augen weit aufgerissen, das Schwert hoch erhoben.

Er wusste, dass es gleich passieren würde, ja musste. Und er wäre bereit. Trotz seines Herzens, dass wild und ohrenbetäubendem laut gegen seine Brust schlug. Trotz des Schweißes, der ihm den Nacken herunter rann, sich in den Stoff seines Shirts fraß. Trotz der Tatsache, dass er ganz allein war. Niemand, der ihm helfen würde. Nur er und sein Schwert. Doch das würde genügen, das hatte es schon immer.

Lukas Berebler verstärkte den Griff um die Halterung der Klinge noch etwas mehr, rührte sich jedoch sonst keinen Millimeter. Hielt die Luft an. Verursachte keinen Mucks. War unsichtbar. Aber gefährlich. Brandgefählich. Nahezu wie ein tollwütiges Tier, dem man tagelang nichts zu futtern gegeben hatte.

Er sah es kommen, sah ihn kommen. Sprang mit einem Satz mehrere Meter beiseite und landete in Kapfhaltung und ohne auch nur einmal leicht zu schwanken wieder auf beiden Beinen. Das Schwert gezückt. Den Atem flach. Die Augen weit aufgerissen.
Das Messer sirrte durch die Luft und Lukas Kopf flog nach unten. Er spürte den scharfen Luftzug, den die Klinge verursacht hatte, deutlich über sich. Eine Sekunde des Zögerns hätte ihn einen Großteil seines linkes Ohres gekostet. Er schnaubte verärgert . Ging zum Gegenangriff über.
Sein Gegner war zwar schnell und geschickt wie eine Raubkatze, aber er musste immer noch in Reuchweite sein. Irgendwo da vorne. Noch ein Stückchen weiter rechts. Lukas holte aus und messerscharfer Stahl traff klirrend und scheppernd aufeinander. Der Druck wurde immer größer, doch Lukas hielt locker dagegen an. Darin war er gut. Trainiert. Vorbereitet. Er könnte hier so noch gut sechs weitere Stunden stehen und würde nicht aufgeben. Niemals.

Für einen kurzen Augenblick flackerten die grellen, weißen Augen seines Angreifers durch die Dunkelheit zu ihm hindurch. Sie funkelten, schienen ihn fast schon herauszufordern, dann brach sein Gegenüber mit einem Mal den Kontakt ab und ließ sich und sein Messer zu Boden fallen, rollte sich ab. Direkt durch Lukas Beine hindurch, nur um dann im nächsten Moment sofort wieder von der Dunkeltheit um sie herum verschluckt zu werden.

"Lektion Eins. Sieh ihnen niemals direkt in die Augen.". Hallte es durch den gesamten Raum.
Lukas stand kerzengerade da, fest sein Schwert umklammernt. Angestrengt lauschend, von woher die Stimme kam.

Da! Jemand rannte direkt an ihm vorbei! Er riss seine Klinge durch die Luft. Verfehlte.

"Lektion Zwei. Lass sie allerdings auch niemals aus den Augen.". Mit diesen Worten traf den Jungen ein heftiger, gezielter Schlag mitten in die Kniekehle und er knickte stöhnend ein.

"Los, Junge! Steh auf, verdammt!". Die Stimme war jetzt direkt vor ihm. Lukas zögerte nicht lange und setzte zu einem erneuten Hieb an. Sein Gegner parierte gekonnt. "Gut so. Weiter!"

Weiter? Das konnte er haben! Lukas zog sein Schwert zurück, nur um dann mit voller Kraft von der anderen Seite zuzustechen. Erneut abgeblockt. Nun ging der Mann vor ihm zum Gegenangriff über. Funken sprühten. Die Klingen flogen aufeinander. Das Gekeuche der Kämpfenden erfüllte die Stille, vergrub sie unter sich.

"Nicht so heftig, Brauner. Lass dich nicht reizen, verstanden?". Lukas schnaubte, vollführte im Sprung eine hundertachtzig Grad Drehung und stieß mit voller Wucht mit dem Fuß zu. Sein Angreifer taumelte ein paar Schritte zurück, keuchte. Doch er ließ ihm nicht die Zeit, sich zu erholen. Setzte an und stach zu. Der Mann vor ihm parierte noch im Fallen, verschwand dann jedoch urplötzlich direkt unter Lukas und tauchte hinter ihm wieder auf. Der Junge spürte seinen Atem in seinem Nacken. Die kräftige Hand, die nach ihm griff und ihn an der Flucht hinderte. Er wollte gerade ausholen, da blockte der Mann auch schon ab und Lukas Schwert fiel klirrend zu Boden.

"Lektion drei. Denke niemals. Wirklich niemals, du hättest gewonnen.
Und viertenes. Lass sie unter keinen Umständen näher als einen Meter an dich heran kommen.". Und mit diesen Worten drückte er ihm die kühle, schwarfe Klinge seines Messers direkt an die Halsschlagader.

Das Licht sprang an und überflutete die gesamte Szenerie unter sich sinnflutartig. Forsake Feral nahm die Klinge vom Hals seines Schützlings, zog ein rotes Taschentuch aus der Tasche seiner Leinenhose und begann damit, seelenruhig sein Messer zu polieren, während er davon schritt ohne sich noch einmal umzuschauen.
Lukas Berebler zog missmutig die Luft ein. Fasste sich an die Stelle an seinem Hals, an der vor wenigen Sekunden noch die tödliche Waffe geruht hatte. Er hasste es mehr als alles andere, nicht Herr der Lage zu sein.

Noch einmal schnaubte er voller Widerwillen und Ärger, dann hob er sein Schwert vom Boden der Trainingshalle auf und folgte dem Sieger, dem alten Mann mit den weißen Augen.

After Death, Das GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt